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Forsa-Chef im Gespräch
Migrationsthema „strategischer Fehler“ von Merz
Der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, sieht das Thema Migration, auf das CDU und CSU im laufenden Bundestagswahlkampf setzen, als „strategischen Fehler“. Merz solle sich eher auf das Thema konzentrieren, das die Mehrheit der Wähler beschäftige.
Von Susanne Rochholz Montag, 17.02.2025, 13:12 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 17.02.2025, 13:12 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Seit der letzten Januarwoche, als die Unionsfraktion im Bundestag für ihr letztlich gescheitertes „Zustrombegrenzungsgesetz“ und eine vorherige Resolution zur Migration die Zustimmung der AfD in Kauf genommen hat, regt sich viel Protest gegen rechts. Nur in den Umfragen zur Bundestagswahl am 23. Februar macht sich das kaum bemerkbar. Können Sie erklären, warum das so ist?
Manfred Güllner: Der Eindruck, dass sich da nichts tut, ist so nicht ganz richtig. So kam die Union nach dem Bruch der Ampel-Koalition im Herbst bei den seriösen Umfrage-Instituten auf Werte zwischen 33 oder 34 Prozent – jetzt aber oszilliert sie um die 30-Prozent-Marke oder liegt sogar unter 30 Prozent. Und das hat natürlich etwas damit zu tun, was im Bundestag passiert ist. Was die Union eigentlich wegen der Unzufriedenheit mit der Ampel hätte gewinnen können, das hat sie durch ihr Vorgehen im Bundestag wieder verspielt.
Und die andere Partei, bei der wir auch deutliche Auswirkungen sehen, das ist die Linke, die nicht zuletzt durch die Auftritte von Heidi Reichinnek im Bundestag wieder an Zustimmung gewonnen hat. Die kommt ja jetzt wahrscheinlich ohne die drei Direktmandate und die Grundmandatsklausel wieder in den Bundestag. Die Renaissance der Linken hat sich durch das, was im Bundestag passiert ist und wie die Linke sich dazu verhalten hat, verstärkt. Insofern gibt es schon Bewegung.
„Die AfD wird durch das forsche Auftreten von Merz in der Migrationsfrage eher stabilisiert. Und das ist der strategische Fehler von Merz.“
Nur die grundsätzlichen Strukturen des Parteienmarkts haben sich dadurch nicht verändert. Der harte Kern der CDU-Anhänger hat sich natürlich eher bestärkt gefühlt durch Herrn Merz und wandert auch nicht ab. Aber auch die AfD wird durch das forsche Auftreten von Merz in der Migrationsfrage eher stabilisiert. Und das ist der strategische Fehler von Merz, dass er und Teile der Union glaubten, sie könnten von der AfD durch die Überbetonung des Themas Migration Wähler zurückgewinnen. Das ist eine krasse Fehleinschätzung, wie man sieht.
Denken Sie denn, dass die AfD mit dem Anteil, den sie jetzt in den Umfragen erreicht, ihr Potenzial ausschöpft?
Ich denke schon, dass das so ist. Die AfD hat ja zwei Wählergruppen. Das eine sind die, die immer schon zum rechtsradikalen Milieu gehörten, so um die 10 bis 12 Prozent der Wahlberechtigten, also nicht nur der Wähler. Dieses Potenzial haben die früheren rechtsradikalen Bewegungen meist nicht voll ausgeschöpft. Das hat aber die AfD geschafft.
„Aber das wichtigere Thema ist für die meisten Menschen vor dieser Wahl – bis auf die AfD-Anhänger – die ökonomische Lage. Darum hätten sich die Parteien schwerpunktmäßig kümmern müssen.“
Darüber hinaus profitiert sie von der Unzufriedenheit mit der Ampel. Zur Jahreswende 2023/24 lag die AfD den Umfragen bei 22 oder 23 Prozent. Das ist dann erst wieder zurückgegangen durch die Potsdamer Remigrationskonferenz, so dass die AfD bei der Europawahl im vergangenen Jahr nur noch auf 16 Prozent kam. Das ist leider wieder angestiegen durch die Überbetonung des Migrationsthemas. Es ist zwar seit jeher so, dass die Mehrheit sagt: „Wir müssen die Zuwanderungspolitik verschärfen, die Abschiebungen müssen funktionieren.“
Aber das wichtigere Thema ist für die meisten Menschen vor dieser Wahl – bis auf die AfD-Anhänger – die ökonomische Lage. Darum hätten sich die Parteien schwerpunktmäßig kümmern müssen und nicht nur um die Migrationsfrage. Übrigens haben auch die Medien diesen Fehler gemacht und damit der AfD genutzt, so dass sie jetzt wieder von 16 auf 20 Prozent hochgeschnellt ist.
Was macht das ständige Schauen auf Umfragen in der Berichterstattung? Wie beeinflusst das die Umfragen?
Da gibt es ja immer Thesen, die sagen, das hätte schrecklichen Einfluss. Dem ist aber in Wirklichkeit nicht so. Wenn wir auf das Beispiel USA gucken: Bei den dortigen nationalen Wahlen liegt das Ergebnis aus Florida wegen der unterschiedlichen Zeitzonen schon vor, aus Kalifornien noch nicht. Das hat die Wähler in Kalifornien nie beeinflusst in irgendeiner Weise. Wir hatten in Deutschland, wenn Kandidaten gestorben waren, Nachwahlen. In diesen Wahlkreisen ist das Ergebnis nicht anders gewesen als im Gesamttrend, obwohl es ein Ergebnis und nicht nur Umfragen gab.
„Manche Medien gehen mit Umfragen häufig wenig sorgsam um und geben – wie zum Beispiel die ‚Bild‘-Zeitung – einen halben Punkt hinter dem Komma an und werten es als Trendwende, wenn eine Partei von 19,5 auf 20 Prozent steigt.“
Und der akademische Kollege Frank Brettschneider von der Uni Hohenheim hat bei den letzten Wahlen immer auch das noch mal dezidiert untersucht und sagt auch: Es gibt keinen Einfluss von veröffentlichten Umfrageergebnissen auf die Wahlentscheidung. Die Leute nehmen Umfragen aber interessiert zur Kenntnis. Es gibt nur eine kleine Gruppe, in der Schnittmenge zwischen Union und FDP, die sich genau anschaut, ob die FDP über fünf Prozent oder darunter liegt, und überlegt dann, ob die Stimme vielleicht verschenkt sein könnte. Da spielen Umfragen eine gewisse Rolle, aber das ist wirklich eine kleine Minderheit, für die die Umfragen allerdings auch eine hilfreiche Informationsquelle sind. Aber manche Medien gehen mit Umfragen häufig wenig sorgsam um und geben – wie zum Beispiel die „Bild“-Zeitung – einen halben Punkt hinter dem Komma an und werten es als Trendwende, wenn eine Partei von 19,5 auf 20 Prozent steigt.
Letzte Frage: Wagen Sie eine Prognose, wie weit das tatsächliche Endergebnis am Abend des 23. Februar von den jetzigen Prognosen abweicht? Oder wie nah es dran liegt?
Die seriösen Institute sagen immer: Wir können keine Prognose liefern. Wir können immer nur die aktuelle Stimmung zum Zeitpunkt der Umfrage messen. Unsere letzte Erhebung fand vergangene Woche bis zum Montag dieser Woche statt und die Ergebnisse wurden am Dienstag veröffentlicht. Aber inzwischen sind wir schon wieder zwei Tage weiter. Zudem gibt es bei dieser Wahl eine große Ratlosigkeit. Wir haben die Menschen danach gefragt und über 40 Prozent haben gesagt, die Wahlentscheidung sei noch nie so schwierig wie diesmal. Und daher denke ich, gibt es wirklich doch noch viele, die bis zum Wahltag nachdenken – mehr als es sonst der Fall ist. Und deswegen können die Stimmen am Abend des 23. Februar durchaus abweichen von den Stimmungen, die wir jetzt aktuell gemessen haben.
Bei der Linken sieht es allerdings so aus, als ob sie auch ohne drei Direktmandate über 5 Prozent kommt, während es bei der FDP und beim BSW unsicher ist, ob sie 4,9 oder 5,1 Prozent erhalten. Das können wir nicht mit Umfragen vor der Wahl messen. Das weiß man vielleicht auch am 23. um 18 Uhr noch nicht, wenn die Exit Polls, die Befragungen vom Wahltag, kommen, die ja eine viel breitere Datenbasis haben und die auch nur Wähler befragen. Wir haben ja immer die Unsicherheit, dass uns Leute sagen, ich wähle Partei A, B oder C, aber nicht angeben, ob sie zur Wahl gehen oder nicht. Deshalb ist es auch an Wahltagen oft so, dass man die Frage, ob eine Partei knapp unter oder über fünf Prozent liegt, erst im Laufe des Abends auf Basis von ausgezählten Ergebnissen mit Hilfe der Hochrechnungen beantworten kann. (epd/mig) Aktuell Politik
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