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Afghanistan-Flagge © de.depositphotos.com

Abschieben um jeden Preis

Debatte über Verhandlungen mit einem „Terrorregime“

Als Folge des Anschlags von München wird erneut über Abschiebungen nach Afghanistan gestritten. Dazu müsste die Bundesregierung wohl mit den Taliban verhandeln – eine Terrororganisation. Will man das wirklich?

Dienstag, 18.02.2025, 12:11 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 18.02.2025, 12:11 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Nach dem Anschlag von München mit zwei Toten und vielen Verletzten wird der Ruf nach Verhandlungen mit der Taliban über Abschiebungen nach Afghanistan lauter. Union und FDP sprachen sich dafür aus, von den Grünen kam eine strikte Ablehnung. Die Bundesregierung steht nach Angaben des Auswärtigen Amtes über ein in Doha eingerichtetes Büro punktuell in Kontakt mit den Machthabern in Kabul – aber nur auf technischer und nicht auf politischer Ebene.

In der RTL-Viererrunde der Kanzlerkandidaten sagte der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz am Sonntagabend, man könne nach Afghanistan abschieben. „Dazu muss man allerdings dann bereit sein, mit den Taliban zu verhandeln“, betonte der Unions-Kanzlerkandidat. „Wir geben 300 Millionen Euro Entwicklungshilfe nach Afghanistan. Warum machen wir das, ohne mit den Taliban darüber zu sprechen?“ Was Merz nicht erwähnte: Entwicklungshilfe wird an Hilfsorganisationen gezahlt und nicht an die Taliban. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) weigere sich, solche Gespräche zu führen.

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Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte im Boulevardblatt „Bild am Sonntag“ gesagt, es brauche jede Woche einen Flug nach Afghanistan. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte bereits am Samstag die Abschiebung des Attentäters von München angekündigt. In der RTL-Viererrunde wies er darauf hin, dass es im vergangenen Jahr einen Abschiebeflug nach Kabul gegeben habe. „Und glauben Sie mal, da hatten wir auch Kontakte mit der afghanischen Regierung.“ Weitere Abschiebeflüge werde es geben.

Auch FDP fordert direkte Kontakte mit den Taliban

Die FDP fordert ebenfalls direkte Kontakte der Regierung mit den Taliban, um die Voraussetzungen für Abschiebungen im großen Stil zu schaffen. Die Liberalen wären auch bereit zu akzeptieren, dass es wieder eine konsularische Tätigkeit des afghanischen Staates in Deutschland gebe, sagte Parteichef Christian Lindner in Berlin.

Er forderte Außenministerin Baerbock auf, unmittelbar in Gespräche einzutreten – „auf einer technisch-logistischen Ebene“. Es müsse möglich werden, afghanische Staatsangehörige, die ausreisepflichtig sind, „automatisiert und schneller in ihr Ursprungsland auszufliegen“.

Der designierte FDP-Generalsekretär Marco Buschmann – in der Ampel-Koalition zuvor Bundesjustizminister – sagte, es gebe Monate, in denen mehrere tausend Menschen aus Afghanistan nach Deutschland kämen. „Viele davon haben kein Recht, dauerhaft hier zu sein und damit erkennt man schon die großen Zahlen, um die es geht. Da ist es mit zwei Abschiebeflügen alle paar Monate nicht getan“, sagte Buschmann.

„Deutsche Gerichte würden Abschiebungen immer dann untersagen, wenn Menschen konkret Todesstrafe, Folter oder eine unmenschliche Behandlung drohen würde“, sagte er. Es sei Aufgabe der Außenministerin, solche Zusicherungen auszuhandeln.

Grüne gegen direkte Verhandlungen mit den Taliban

Die Grünen lehnen direkte Verhandlungen mit den Taliban und einen deutschen Alleingang beim Umgang mit ihnen ab. „Das ist ein Terrorregime“, sagte ihr Kanzlerkandidat Robert Habeck in dem Quadrell, wie RTL die Viererrunde der Kanzlerkandidaten am Sonntagabend nannte. Es gebe kein Land, das mit den Taliban diplomatische Beziehungen unterhalte. „Wenn man das tun wollen würde, das ist ja ein Adelsschlag für dieses Regime, das schlimme Dinge tut, dann muss man sich dringend mit seinen europäischen Partnern und – wenn die Amerikaner noch gesprächsbereit sind – mit den Amerikanern absprechen.“

Außenministerin Baerbock lehnte beim Talk „Ohne Ausrede“ der „Heilbronner Stimme“ ebenfalls Verhandlungen mit den Taliban ab. Mit den Taliban „gemeinsame Sache zu machen, das schafft nicht mehr Sicherheit, sondern gefährdet unsere Sicherheit“, sagte sie. Solche Verhandlungen würden alles kaputtmachen, was man in den vergangenen Jahren im Kampf gegen den IS aufgebaut habe. Daher könne man mit diesem Regime nicht so umgehen wie mit anderen Ländern.

Die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Lamya Kaddor, sagte der „Rheinischen Post“, immer wieder bekundeten die Taliban ihre Bereitschaft, direkt mit der Bundesrepublik in Verbindung treten zu wollen. „Davor kann man nur warnen, da dies dem Aufbau offizieller diplomatischer Beziehungen gleichkommt, die wir aus gutem Grund bisher nicht aufgebaut haben.“

Deutsche Botschaft in Kabul hat Dienstbetrieb eingestellt

Deutschland ist in der afghanischen Hauptstadt derzeit diplomatisch nicht vertreten. Die deutsche Botschaft habe den Dienstbetrieb 2021 mit der Machtübernahme der Taliban eingestellt, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin. Dies hätten auch alle anderen europäischen Staaten gemacht. Es sei aber ein Verbindungsbüro in Doha eingerichtet worden. „Die Bundesregierung steht über dieses Büro auf technischer Ebene mit der De-facto-Regierung in Kontakt.“ Mitarbeiter des Büros reisten auch immer wieder nach Afghanistan.

Afghanistan unterhält weiterhin eine Botschaft in Berlin. Die Diplomatinnen und Diplomaten dort wurden laut Auswärtigem Amt schon vor der Machtübernahme der Taliban ernannt, erledigten aber weiter ihre konsularischen Aufgaben.

Anschlag von München kostete zwei Menschenleben

Bei der Attacke in München war am Donnerstag ein 24-jähriger Afghane mit seinem Auto in eine Demonstration der Gewerkschaft Verdi gefahren. Ein zweijähriges Mädchen und seine 37 Jahre alte Mutter mit algerischen Wurzeln wurden so schwer verletzt, dass sie am Samstag im Krankenhaus starben. Mindestens 37 weitere Menschen wurden verletzt.

Die Ermittler gehen derzeit davon aus, dass die Tat einen religiösen Hintergrund hat. Die bislang veröffentlichten Indizien sind jedoch dünn bis widersprüchlich. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte, dass der Täter vorab nicht auffällig gewesen sei. (dpa/mig) Aktuell Politik

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