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Bezahlkarte statt Geld
Erfahrungen aus dem Alltag: es ist kompliziert
Erste Geflüchtete bekommen kein Bargeld mehr als soziale Leistung. Mit einer Bezahlkarte sollen sie Einkäufe erledigen und einen Teil ihres monatlichen Geldes auch abheben können. Das System sei umständlich und fehleranfällig, klagt ein Bezieher.
Von Alexander Lang Mittwoch, 19.02.2025, 12:17 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 19.02.2025, 12:17 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Siamak Sheikhbaglou zieht die blaue Plastikkarte aus der Tasche. Es sei alles nicht so leicht mit der Bezahlkarte für Geflüchtete, klagt der 30-jährige Kurde aus dem Iran. Manchmal funktioniere die Karte nicht, mit der er seine Einkäufe und Rechnungen bezahlt. „Im Januar gab es eine mehr als zehntägige Störung“, erzählt der Asylbewerber, der in Berghausen bei Speyer wohnt. Er kam nicht an seine Geldleistungen und informierte das zuständige Sozialamt. „Abwarten“, habe die Antwort gelautet. Er musste Freunde anpumpen, ihm etwas Geld zur Überbrückung zu leihen.
In Rheinland-Pfalz ist im Januar die Bezahlkarte für Asylbewerber und Geduldete mit einem Pilotprojekt in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Trier gestartet. Diese können ihre Sozialleistungen nur noch über die Bezahlkarte bekommen, nicht mehr als Bargeld oder per Überweisung wie bisher. Auf die Bankkarte wird monatlich für die Bezieher ein Guthaben aufgeladen, gemäß ihren Ansprüchen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Die Landesregierung in Mainz empfiehlt den Kommunen als Leistungserbringern, davon 130 Euro als Bargeld abhebbar zu machen.
Vor einem Jahr hatten sich die 16 Bundesländer auf die Einführung einer Bezahlkarte geeinigt. Ziel der Maßnahme ist es demnach, Auslandsüberweisungen von Geflüchteten etwa an ihre Familien zu verhindern. Zudem soll die Bezahlung von Schleppern verhindert werden. Auch soll sich durch den Wegfall der Bargeldauszahlung der Verwaltungsaufwand verringern. Einer Studie zufolge ist die Bezahlkarte allerdings nicht geeignet, die angestrebten Ziele zu erreichen. Ohnehin würden nur ganz wenige Asylbewerber Geld ins Ausland überweisen.
Ministerium: Karte mit „hoher Akzeptanz“
Dem rheinland-pfälzischen Integrationsministerium in Mainz zufolge haben der Rhein-Pfalz-Kreis und die Stadt Pirmasens bereits eigene Bezahlkartenmodelle eingeführt. Die Bezahlkarte treffe „auf eine hohe Akzeptanz vonseiten der Schutzsuchenden“, informiert ein Ministeriumssprecher. Das Pilotverfahren verlaufe „zufriedenstellend und störungsfrei“.
Flüchtlingsinitiativen kritisieren hingegen, die Bezahlkarte sei wirkungslos und diskriminiere nach Deutschland geflüchtete Menschen. „Sie soll die Kontrolle über sie ausüben“, sagt Didar Aldawdi vom Migrationsfachdienst des Vereins Lernzirkel Ludwigshafen.
Mit Bankkonto wäre Alltag viel leichter
Siamak Sheikhbaglou kann nicht nachvollziehen, wie durch die Bezahlkarte ein möglicher Missbrauch von Sozialleistungen verhindert werden könnte. 397 Euro habe er monatlich zur Verfügung, als Bargeld könne er allerdings nur 200 Euro abheben. „Das Geld reicht mir gerade so zum Leben, ich könnte nichts an meine Familie schicken“, sagt der gelernte Verkäufer, der einen Sprachkurs besucht und auf Arbeitssuche ist. Schlimm sei es, dass man mit der Bezahlkarte keine Bankgeschäfte erledigen könne. Für einen Integrationskurs habe er beispielsweise keine Fahrtkosten erstattet bekommen: „Ich konnte keine IBAN-Nummer angeben.“
Sheikhbaglou, der seit eineinhalb Jahren in Deutschland lebt, wünscht sich statt der Bezahlkarte ein eigenes Bankkonto. Damit wäre sein Alltag viel leichter, sagt der Iraner, der von der Revolutionsgarde der Mullahs gefoltert wurde. Mit Stöcken schlugen sie ihn auf Arme und Beine, noch heute hinkt er. Mit einem eigenen Konto könnte er etwa Geld für eine Bahnkarte überweisen oder einen Handyvertrag abschließen, sagt Sheikhbaglou.
Bezahlkarte ohne Ausgaben-Überblick
Mit der Bezahlkarte habe er keinen Überblick darüber, wie viel Geld er noch bis zum Monatsende übrig habe, ergänzt er. „Es gibt leider keine Handy-App, um das zu sehen. Ich muss immer zusammenrechnen.“ Er selbst sei wie viele Menschen aus dem Iran vor Krieg und Verfolgung nach Deutschland geflohen. „Ich kam nicht wegen des Geldes, sondern wegen der Sicherheit“, sagt Sheikhbaglou. Nun wolle er sich ein eigenes Leben aufbauen und nicht länger von staatlichen Leistungen abhängig sein.
Auch Helmut Guggemos, der Migrationsbeauftragte der Evangelischen Kirche der Pfalz und ihrer Diakonie, lehnt die Bezahlkarte als „einen menschenrechtlich bedenklichen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht von Geflüchteten“ ab. Das Instrument der Bundesländer schade deren gesellschaftlicher Integration. „Die Geflüchteten erhalten Leistungen, die ihnen gesetzlich zustehen“, sagt Guggemos. „Sie sollten nicht entmündigt werden bei der Frage, wie sie mit dem Geld umgehen, das ihnen zusteht.“ (epd/mig) Aktuell Panorama
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