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Zentralverband der Ukrainer
Auch hier gibt es kein Leben ohne Probleme
Der Zentralverband der Ukrainer in Deutschland kümmerte sich um den Erhalt der Kultur, Sprache und Identität. Mit dem russischen Überfall wurde alles anders, sagt die Vorsitzende Lyudmyla Mlosch im Gespräch.
Von Dirk Baas Mittwoch, 19.02.2025, 13:59 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 19.02.2025, 14:35 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Lyudmyla Mlosch ist Vorsitzende des Zentralverbands der Ukrainer in Deutschland mit Sitz in Berlin. Dieser kümmert sich seit 2007 um den Erhalt der Kultur, Sprache und Identität unter den hier lebenden Ukrainern. Doch mit dem russischen Überfall wurde alles anders, veränderte sich die Arbeit des Vereins radikal, wie die Modedesignerin, die seit Jahrzehnten in Deutschland lebt, im Gespräch berichtet: „Eigentlich ist nichts mehr so, wie es vorher war.“
Frau Mlosch, der andauernde Krieg in der Ukraine gefährdet auch die Solidarität mit den Opfern. Bröckelt die Willkommenskultur im Land? Wie fällt Ihre Bewertung aus?
Lyudmyla Mlosch: Wir sind sehr froh, hier meist gut aufgenommen zu werden. Viele Deutsche haben uns die Hand gereicht. Sie verstehen, welche Schicksale die Flüchtlinge hinter sich haben. Und wir sehen auch, dass sich viele Bürgerinnen und Bürger für uns interessieren, selbst aktiv werden und schauen, wo sie helfen können. Wir tun auch viel, um in Kontakt zu kommen und unsere Kultur, etwa bei Konzerten, lebendig werden zu lassen.
Machen Ihnen die Debatten über eine Verschärfung der Migrationspolitik Sorgen?
Natürlich bekommen wir Ukrainer mit, was aktuell im Wahlkampf zur künftigen Migrationspolitik diskutiert wird. Da gibt es schon die Sorge bei vielen Flüchtlingen, ob sie nicht doch das Land bald unter Druck verlassen müssen. Doch ich sage dann immer, dass diese Diskussion uns nicht betrifft. Wir sind froh, dass die Aufenthaltsgenehmigung für die Flüchtlinge aus der Ukraine zumindest bis März 2026 verlängert wurde. Das gibt Sicherheit.
Der Zentralverband der Ukrainer in Deutschland (ZVUD) besteht schon seit 2007. Er kümmerte sich zunächst um den kulturellen Austausch und will auch helfen, Ihre Landsleute mit der deutschen Gesellschaft vertraut zu machen. Wie hat sich mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine Ihre Arbeit verändert?
Eigentlich ist nichts mehr so, wie es vorher war. Es waren radikale Veränderungen für uns. Unsere Arbeit haben wir in diesen drei Jahren mehrfach geändert, haben die Angebote erweitert. Kinderbetreuung ist zu nennen, aber auch die psychologische Betreuung von traumatisierten Personen. Vor allem kümmern wir uns und die Hilfen bei der Integration, beim Absolvieren von Sprachkursen, helfen bei Anträgen bei den Behörden. Wir versuchen auch, dass die Landsleute Wohnungen finden. Doch das ist nicht nur in Berlin oft kaum möglich. Ein weiterer Bereich unserer Arbeit ist es, Kriegsverletzten zu helfen, bei der Behandlung, aber auch bei der Rehabilitation und die Rückkehr ins Leben.
Über eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine leben derzeit in Deutschland. Kommen denn noch immer Menschen zu uns, die vor dem Krieg flüchten?
Genaue Zahlen habe ich auch nicht. Es kommen noch immer vereinzelt Menschen aus der Ukraine hierher. Doch es sind nicht mehr die großen Menschenmassen, die in den ersten Monaten geflohen sind. Ich weiß von vielen Bekannten und Verwandten, dass die Menschen versuchen, im eigenen Land zu bleiben, etwa im Westen des Landes, wo der Krieg noch nicht hingekommen ist. Auch in Polen und anderen Staaten, die ehemals zum Ostblock gehörten, gibt es oft Verwandte, die die Flüchtlinge aufnehmen. Und, das darf man auch nicht vergessen: Es ist keineswegs immer leicht, hier zu leben, in der Fremde, und sich auch zu integrieren. Vor allem ältere Menschen tun sich da schwer und quälen sich mit der deutschen Sprache.
Viele Flüchtlinge sind ja auch schon wieder zurückgekehrt …
Ja. Wenn keine Gefahr mehr besteht in den Heimatregionen, wenn sie nicht von den Russen besetzt sind, dann kehren die Menschen zurück. Ein weiterer Grund könnte sein, dass sie dort Arbeit gefunden haben. Aus Erfahrung wissen die Menschen, dass es auch hier in Deutschland kein Leben ohne Probleme gibt. Auch deshalb bin ich sicher, dass nach Kriegsende 80 Prozent meiner Landsleute wieder zurück in ihre Heimat gehen werden.
Ist das auch eine Frage des Alters?
Ja, es kommt dabei auch auf das Alter der Personen und vor allem ihrer Kinder an. Sind die Kinder schon etwas älter, dann sagen die Eltern oft, sie sollen vorerst hier bleiben für den Schulabschluss, eine Ausbildung oder gar ein Studium. Die Kinder sind ja gut integriert. Sie selbst würden aber zurückkehren, wenn es gefahrlos möglich ist. Ich schätze, dauerhaft bleiben würden wohl nur 20 bis 30 Prozent. Aber das hängt letztlich davon ab, ob und wann der Krieg endet.
Spielt bei den Rückkehrplänen auch die Familienzusammenführung eine Rolle? Irgendwann werden die Männer ja nicht mehr an der Front sein.
Sicher. Doch der Krieg hat auch bereits viele Familien zerstört. Die Männer sind gefallen oder schwer verletzt worden, sind dauerhaft behindert. Viele Frauen sind geschieden, weil sie diese Belastungen, die Trennung und die Ungewissheit nicht ausgehalten haben. Und ich weiß auch von der Verzweiflung vieler Frauen, ob mit oder ohne Kinder, die nicht wissen, wie es weitergehen soll, hier oder in der Ukraine. Da geht es auch um die Frage der Wohnungen in der Heimat. Viele sind zerstört, oft teilen sich Familien eine eigentlich zu kleine Wohnung oder wohnen bei Verwandten. Das sind alles keine guten Bedingungen für die Familienzusammenführung. Viele haben keine Zukunft hier, in der Ukraine aber auch nicht.
Wo könnte es hierzulande besser laufen in Sachen Integration?
Wer sich integrieren will, muss die deutsche Sprache können. Das ist für viele Menschen, vor allem ältere, nicht einfach. Die Sprachkurse werden gut angenommen, doch muss man auch sehen, dass das zu erreichende Sprachniveau A2, also Grundkenntnisse, oft nicht ausreicht, um danach im angestammten Beruf zu arbeiten. Viele scheitern auch schon an diesem Level. Ich kenne eine 42-jährige Frau, die A2 nicht geschafft hat. Sie ist Buchhalterin, aber ohne die grundlegenden Sprachkenntnisse kann sie in diesem Job nicht arbeiten. Auch das ist belastend und führt zu Frust. Und die Frau ist kein Einzelfall.
Und es ist auch nicht leicht, Ausbildung oder Studium anerkennen zu lassen …
Das ist leider so. Die Hürden in der Verwaltung sind sehr hoch. Und das Verfahren dauert auch oft sehr lange. Bis dahin, wenn es überhaupt klappt und die Urkunden nach der Flucht überhaupt vorgelegt werden können, bleibt oft nur ein Job mit geringen Anforderungen. Viele Frauen müssen putzen gehen.
Wie sieht es aus mit der psychologischen Betreuung, die viele nach Traumatisierungen ja dringend brauchen?
Da sind wir wieder bei den Sprachproblemen. Therapeutische Hilfen sind nicht einfach zu bekommen, wenn man sich nicht verständigen kann. Oft geht das nur mit Übersetzungen. Denn therapeutische Praxen, wo ukrainisch gesprochen wird, sind natürlich kaum zu finden. Das gilt auch für normale Arztpraxen oder die Krankenhäuser. Muss bei Behörden übersetzt werden, dann dolmetschen wir bei Bedarf per Telefon.
Wie optimistisch sind Sie, dass der Krieg bald endet?
Der Krieg dauert schon elf Jahre. Ich sehe aktuell noch keine echten Hoffnungszeichen. Frieden muss herrschen, das ist klar. Aber auch die Bedingungen müssen für uns akzeptabel sein.
Wir blicken Sie auf den Wiederaufbau Landes?
Der Wiederaufbau nach den gewaltigen Zerstörungen besonders der Infrastruktur wird Jahre dauern. Viele meiner Landsleute, die noch hier Schutz gefunden haben, sagen, dass sie beim Wiederaufbau mithelfen wollen. Das ist eine gewaltige Aufgabe, die nur mit internationaler Hilfe gelingen kann. Für uns als Land ist das eine große Herausforderung, denn die Zahl der Bevölkerung ist innerhalb der zurückliegenden 30 Jahre und auch durch den Krieg von 52 auf 23 Millionen Menschen geschrumpft. Und durch die Kriegsverluste und die Flucht fehlt es in vielen Bereichen an Fachkräften. (epd/mig) Aktuell Gesellschaft
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