
Fragen und Antworten
Migrationsreform – was wird sich an den Grenzen ändern?
Union und SPD haben teils unterschiedliche Rechtsauffassungen über die künftige Flüchtlingspolitik – insbesondere bei Zurückweisungen an deutschen Grenzen. Dieser Konflikt dürfte sie auch in einer neuen Koalition begleiten.
Montag, 10.03.2025, 15:51 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 10.03.2025, 15:54 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
Um die geplanten Änderungen in der Migrationspolitik haben Union und SPD bei ihren Sondierungsgesprächen besonders lange gerungen. Wie sich die getroffenen Vereinbarungen in der Praxis auswirken, wird unterschiedlich gesehen. Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Was wird sich an den Grenzen ändern?
Direkt ändert sich dort gar nichts. Denn es handelt sich bei dem Sondierungspapier bisher lediglich um eine unverbindliche Marschroute, auf die sich CDU, CSU und SPD geeinigt haben. In ihrem gemeinsamen Papier kündigen sie unter anderem umfassendere Zurückweisungen an den Landgrenzen in Abstimmung mit den Nachbarländern an. Sollten die drei Parteien in einigen Wochen einen Koalitionsvertrag unterzeichnen, dürften konkrete Schritte folgen. Die SPD sieht tendenziell mehr rechtliche Hürden als die Union, was eine Zurückweisung auch von Asylsuchenden an den Landgrenzen betrifft. CDU und CSU dürften deshalb daran interessiert sein, dass künftig jemand aus ihren Reihen an der Spitze des zuständigen Innenministeriums steht. Dieses leitet aktuell die SPD-Politikerin Nancy Faeser.
Sie hat zwar sukzessive stationäre Kontrollen für alle Landgrenzen angeordnet, was die Zurückweisung von Menschen mit Einreisesperre und allen, die nicht Asyl beantragen wollen, dort ermöglicht hat. Zu mehr war sie aber unter Verweis auf das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) nicht bereit.
Welche europarechtlichen Hürden gibt es?
Die Koalitionäre in spe haben vereinbart, „in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn“ Zurückweisungen vorzunehmen, auch wenn jemand sagt, er wolle in Deutschland Asyl beantragen. Das ist bisher nicht so. Wer „Asyl“ sagt, darf die Grenze passieren, wenn kein temporäres Einreiseverbot vorliegt. Im vergangenen Jahr wurden laut Bundesinnenministerium rund 80.000 unerlaubte Einreisen festgestellt. Dabei kam es in etwa 47.000 Fällen zu einer Zurückweisung – etwa wenn jemand gefälschte Dokumente vorlegte oder weil nach einer Abschiebung eine Einreisesperre ausgesprochen worden war.
Nach der Einreise wird geprüft, ob vielleicht ein anderes Land für das Asylverfahren verantwortlich ist. Ist das nicht der Fall oder die Überstellung dorthin scheitert aus anderen Gründen, beginnt das deutsche Asylverfahren.
Heiko Teggatz, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, die immer wieder mit steilen Thesen und rechtspopulistischen Positionen von sich reden macht, hält Zurückweisungen von Asylsuchenden für möglich. Wenn die Nachbarstaaten dann ebenso agieren würden wie Deutschland, entstünde ein „Dominoeffekt, der durchaus erwünscht wäre“.
Zu Ende gedacht ist diese These allerdings nicht. Selbst wenn die Nachbarstaaten an ihren Grenzen zurückweisen, stellt sich die Frage, was mit Menschen geschieht, die EU-Boden über das Mittelmeer erreichen. Länder wie Italien und Spanien fordern deshalb schon seit Längerem eine gerechtere Verteilung von Geflüchteten. Klar ist: Ein Zurückdrängen auf das offene Meer, sogenannte Push-Backs, sind verboten. Das Dominoeffekt würde spätestens hier zum Erliegen kommen.
Auch die sogenannten Dublin-Regeln, die festlegen, in welchem europäischen Staat ein Schutzsuchender sein Asylverfahren durchlaufen muss, funktionieren nicht, weshalb man sich daran nicht gebunden fühlt. Italien etwa, wo viele Bootsflüchtlinge ankommen, nahm zuletzt praktisch keine Menschen mehr nach den Dublin-Regeln zurück.
Was sagen die Nachbarländer?
Aus Sicht des österreichischen Innenministeriums würde die formlose Rückweisung von Asylbewerbern ohne Dublin-Verfahren dem EU-Recht widersprechen. Österreich werde keine solchen abgewiesenen Personen an der Grenze übernehmen, hieß es in einer ersten Reaktion aus Wien. „Das Innenministerium hat deshalb die betroffenen Landespolizeidirektionen angewiesen, unionsrechtswidrige Einreiseverweigerungen seitens der deutschen Behörden nicht zu akzeptieren und über Wahrnehmungen unverzüglich Bericht zu erstatten“, hieß es aus dem Nachbarland.
Auch Nachrichten aus Polen deuten eher darauf hin, dass die Union ihre Forderungen wohl kaum umsetzen kann. Erst am Wochenende haben polnische Nationalisten den Grenzverkehr in Frankfurt (Oder) und Slubice aus Protest gegen die Migrationspolitik Deutschlands zeitweise blockiert. Es kam zu Verkehrsbehinderungen in dem Grenzgebiet. Mit der Aktion wenden sich polnischer Nationalisten gegen die Rückführung von Migranten von Deutschland nach Polen.
Tschechien dürfte ebenfalls kaum Interesse daran haben, Asylbewerber, die nach Deutschland wollen, an der Grenze aufzunehmen. Denn auch dort bereitet die liberalkonservative Koalition eine deutliche Verschärfung des das Asyl- und Migrationsrecht vor. Das vornehmliche Ziel sei Abschreckung sagte Regierungschef Petr Fiala in Prag. Ein entsprechender Gesetzentwurf sieht eine schnellere Abschiebung von ausreisepflichtigen Ausländern, erweiterte Sicherheitsüberprüfungen und beschleunigte Asylverfahren vor.
Was genau haben Union und SPD vereinbart?
Die SPD interpretiert das Sondierungsergebnis zur Migrationspolitik anders als die Union. Beide Seiten hatten sich verständigt, bei den Grenzkontrollen künftig auch Asylsuchende zurückzuweisen – „in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn“. Unions-Fraktionsvize Jens Spahn (CDU) sagte, „Abstimmung“ erfordere nicht Zustimmung, notfalls könne auch gegen den Willen der Nachbarländer gehandelt werden.
Esken interpretierte die Passage im Ergebnispapier strenger. „Wir haben was anderes vereinbart, und dabei bleiben wir auch“, sagte sie im Deutschlandfunk. Man wolle das Thema bei den nächsten Verhandlungen mit der Union klären. „Aber wir haben ein Sondierungspapier, in dem das auch ganz klar beschrieben ist.“ Man müsse auf europäischer Ebene näher zusammenkommen, statt „mit dem Kopf durch die Wand zu gehen“, sagte sie. „Das halte ich für brandgefährlich und werde auch ganz klar dagegenhalten, wenn es weiter debattiert wird.“
Nach den Spitzengremien von CSU und SPD hat auch die CDU-Führung grünes Licht für Koalitionsverhandlungen gegeben. Sie sollen am Donnerstag starten.
Wie effektiv sind Zurückweisungen überhaupt?
Nicht besonders. „Viele der Zurückgewiesenen tauchen am nächsten Tag oder wenige Tage später wieder an anderer Stelle auf“, sagt Andreas Roßkopf, Vorsitzender des Bezirks Bundespolizei/Zoll der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Dänemark weist an seiner Grenze zu Deutschland bereits Asylsuchende zurück. Allerdings gibt es nur relativ wenige Asylbewerber, die versuchen über die Landgrenze von Deutschland nach Dänemark zu gelangen.
Dänemark kontrolliert seit Jahren in wechselnder Intensität seine Grenzen. Wer sich bei den Grenzkontrollen nicht ausweisen kann und über keine gültige Aufenthaltsgenehmigung verfügt, kann von den Beamten abgewiesen werden. Dänemark muss sich dabei anders als Deutschland nicht an Asyl- und Integrationsvorgaben der EU halten, da es bei seinem EU-Beitritt einen sogenannten Rechtsvorbehalt ausgehandelt hat.
Was ist mit dem Familiennachzug?
Anerkannte Flüchtlinge und Asylberechtigte dürfen nach wie vor ihre minderjährigen Kinder, Ehepartner und im Falle unbegleiteter Minderjähriger die Eltern zu sich holen. Und zwar auch dann, wenn die Flüchtlinge nicht selbst für Wohnraum und Unterhalt aufkommen können. Menschen mit eingeschränktem Schutzstatus – dazu gehören viele Syrer – sollen das vorübergehend gar nicht mehr dürfen.
Da die Zahl der Visa für ihre Angehörigen in den vergangenen Jahren ohnehin auf 1.000 pro Jahr begrenzt war, kämen etwa bei einer Aussetzung dieser Regelung für zwei Jahre 24.000 Angehörige weniger über den Familiennachzug nach Deutschland. „Schutzberechtigte werden über lange Zeiträume von ihren Angehörigen getrennt und ihres Rechts auf Familienleben beraubt“, kritisiert Pro Asyl.
Was bedeutet die Vereinbarung für die Bundespolizei?
Die Bundespolizei ist durch die stationären Kontrollen, die es inzwischen an allen Landgrenzen gibt, schon stark gefordert. Das dürfte zunehmen. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat bereits betont, dass die Kontrollen an den Grenzen intensiviert würden.
Zudem haben die Sondierungspartner vereinbart, dass sich die Bundespolizei auch an Bahnhöfen im Inland, wenn sie vollziehbar Ausreisepflichtige antrifft, um vorübergehende Haft oder Ausreisegewahrsam kümmern und somit eine Abschiebung vorantreiben kann. Bisher ist hier eine Übergabe an die Landespolizei vorgesehen.
Die Ausländerbehörde vor Ort bliebe auch bei dem nun vorgeschlagenen neuen Verfahren eingebunden, für das zusätzliche Unterbringungsmöglichkeiten geschaffen werden müssten.
Und was sagen die Kirchen dazu?
Nach Ansicht des Münchner Kardinals Reinhard Marx braucht Deutschland eine wirkliche Willkommenskultur und eine Migrationspolitik, die die Menschenwürde im Blick behält. Es könne nicht sein, dass „Menschen, die vor Hunger und Klimakatastrophen, Verfolgung, Folter, Krieg und Gewalt fliehen, an unseren Grenzen zurückgeschickt werden“, schrieb der Erzbischof von München und Freising in einem Hirtenbrief zur Fastenzeit. Diese Menschen als Bedrohung anzusehen und auszugrenzen sei „nicht nur unchristlich, sondern unvernünftig“.
Kardinal Marx empfahl, Migration aus einer anderen Perspektive zu sehen: „Wohlstand und Chancengerechtigkeit werden die kommenden Generationen nur haben, wenn es in unserem Land eine wirkliche Willkommenskultur gibt, in der Menschen, die bei uns arbeiten und sich integrieren wollen, positiv begrüßt werden.“
Er rief die Politik in Deutschland dazu auf, bei den Verhandlungen über eine neue Bundesregierung Menschlichkeit, Gerechtigkeit und das gesellschaftliche Miteinander in den Vordergrund zu stellen: „Ich hoffe und bete, dass in den nächsten Wochen konstruktiv miteinander gerungen wird.“ (dpa/mig) Aktuell Politik
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