Dr. Soraya Moket, Frauen, Feministin, Rassismus, Flüchtling
Dr. Soraya Moket © privat, Zeichnung MiGAZIN

Verantwortung übernehmen

Migration und Flucht global denken – und nicht national

Union und SPD verhandeln über eine Koalition. Migration und Flüchtlingspolitik spielen dabei eine zentrale Rolle – aber aus nationaler Perspektive. Globale Verantwortung bleibt außen vor. Ein Fehler.

Von Sonntag, 23.03.2025, 10:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 21.03.2025, 9:01 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Migration ist ein grundlegender Bestandteil menschlicher Gesellschaften, der nicht isoliert betrachtet werden kann. Während die Mobilität für viele im Globalen Norden als selbstverständlich gilt, stehen Menschen aus dem Globalen Süden vor restriktiven Visapolitiken, politischen Abwehrmechanismen und Kriminalisierung. Diese Ungleichheit offenbart strukturelle Machtasymmetrien und stellt die Universalität der Bewegungsfreiheit infrage. Für viele ist Migration keine Wahl, sondern eine Notwendigkeit. Wer vor Krieg, Verfolgung oder existenzieller Bedrohung flieht, hat nach der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 ein verbrieftes Recht auf Schutz.

Nach dem Zweiten Weltkrieg rettete die Flucht unzählige Menschen vor dem Nationalsozialismus. Die internationale Gemeinschaft zog daraus Konsequenzen und erkannte das Asylrecht als fundamentales Prinzip an. Heute erleben wir eine Aushöhlung dieses Schutzes. Während Deutschland wirtschaftlich erwünschte Migration erleichtert, werden Schutzsuchende aus dem Globalen Süden mit restriktiven Asylpolitiken konfrontiert, an den Grenzen abgewehrt oder in ihren Rechten beschnitten. Diese selektive Politik offenbart eine Priorisierung ökonomischer Interessen über menschenrechtliche Verpflichtungen. Eine gerechte Welt erfordert jedoch, dass das Recht auf Migration und Flucht für alle gleichermaßen gilt.

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Migration und Flucht aus dekolonialer Perspektive

Flucht und Migration sind keine isolierten Phänomene, sondern Konsequenzen eines globalen Systems, das auf kolonialen Kontinuitäten, struktureller Ungleichheit und asymmetrischen Machtverhältnissen beruht. Trotz ihres Rohstoffreichtums bleiben viele Länder des Globalen Südens wirtschaftlich abhängig. Ungerechte Handelsabkommen, Rohstoffausbeutung und Schuldenmechanismen entziehen Millionen Menschen ihre wirtschaftliche und soziale Existenzgrundlage und zwingen sie zur Migration.

„Wer Fluchtursachen bekämpfen will, muss das koloniale Erbe in Wirtschaft und Finanzwesen überwinden.“

Eine nachhaltige Lösung erfordert eine grundlegende Neugestaltung der globalen Wirtschaftsordnung. Wer Fluchtursachen bekämpfen will, muss das koloniale Erbe in Wirtschaft und Finanzwesen überwinden. Es braucht tiefgreifende Reformen: fairen Handel statt Ausbeutung, Schuldenerlass statt Abhängigkeit, globale Gerechtigkeit statt neokolonialer Strukturen. Nur eine gerechte Weltordnung kann Migration als souveräne Entscheidung anerkennen und nicht als erzwungene Überlebensstrategie behandeln.

Ein Beispiel: Europäische Agrarsubventionen machen lokale Produzent:innen in Afrika chancenlos gegen Billigimporte. Gleichzeitig entzieht die Überfischung durch internationale Flotten afrikanischen Fischern die Lebensgrundlage. Solche Mechanismen zerstören wirtschaftliche Perspektiven und tragen unmittelbar zur Migration bei.

Globale Fluchtbewegungen und die Verantwortung der Rüstungsindustrie

Weltweit sind Millionen Menschen auf der Flucht – eine humanitäre Krise, die durch geopolitische Machtinteressen, wirtschaftliche Ausbeutung und militärische Interventionen des Globalen Nordens befeuert wird. Die meisten Geflüchteten suchen Schutz in Ländern des Globalen Südens, während wohlhabende Industrienationen ihre Grenzen schließen. Diese ungleiche Verteilung zeigt das Versagen einer humanitären und gerechten Flüchtlingspolitik, die die Rechte von Geflüchteten schützt.

Gleichzeitig trägt die Rüstungsindustrie zur Eskalation von Konflikten bei. Waffenexporte destabilisieren Regionen und zwingen Menschen zur Flucht. Während Rüstungskonzerne enorme Profite erzielen, tragen die Betroffenen die schwersten Folgen. Doch anstatt dieses Kreislaufs zu durchbrechen, wollen Union und SPD erneut Milliarden in die Bundeswehr investieren – eine direkte Reaktion auf Trumps Ukraine-Russland-Politik. Eine Neubewertung der Sicherheits- und Außenpolitik ist dringend erforderlich: Statt Aufrüstung und Abschottung braucht es eine klare Friedenspolitik, die auf europäischer Zusammenarbeit und internationaler Kooperation basiert.

„Asylpolitik ist keine Frage der Machbarkeit, sondern des politischen Willens.“

Dass schnelle Lösungen möglich sind, zeigte die Aufnahme von über einer Million Geflüchteter aus der Ukraine 2022. Dies beweist: Asylpolitik ist keine Frage der Machbarkeit, sondern des politischen Willens. Während ukrainische Geflüchtete große Unterstützung erfuhren, sehen sich Schutzsuchende aus dem Globalen Süden oft mit restriktiven Maßnahmen konfrontiert. Diese Ungleichbehandlung wirft Fragen zu rassistisch geprägten Migrationspolitiken auf.

Wohlhabende Staaten müssen ihrer Verantwortung gerecht werden. Eine mögliche Maßnahme wäre eine verpflichtende Abgabe auf Waffenexporte, deren Einnahmen in einen internationalen Fonds zur Unterstützung Geflüchteter fließen. Ähnliche Modelle gibt es bereits zur CO₂-Kompensation. Dies würde nicht nur finanzielle Mittel bereitstellen, sondern auch eine Debatte über die Verantwortung von Kriegsprofiteuren anstoßen. Globale Gerechtigkeit erfordert eine Politik, die strukturelle Ursachen angeht, anstatt Flucht zu kriminalisieren.

Politische Entwicklungen: Bedrohung für Menschenrechte

Genau das hatte die Union im Bundestag jedoch vorangetrieben – mit Unterstützung der AfD. Glücklicherweise scheiterte der Vorstoß, als sich mehrere FDP- und Unions-Abgeordnete enthielten oder nicht mitstimmten. Der Gesetzesentwurf hätte eine drastische Reduzierung der Asylansprüche und eine Erleichterung von Abschiebungen für Schutzsuchende bedeutet – ein Bruch mit rechtsstaatlichen Prinzipien. Diese Politik kriminalisiert Geflüchtete und widerspricht den Grundsätzen der Menschenrechte.

„Die Zusammenarbeit von CDU/CSU mit der AfD hatte nicht nur politische Sprengkraft – weit über Deutschland hinaus –, sondern auch symbolisch Gewicht.“

Die Zusammenarbeit von CDU/CSU mit der AfD hatte nicht nur politische Sprengkraft – weit über Deutschland hinaus , sondern auch symbolisch Gewicht. CDU-Mitglied Michel Friedmann trat aus Protest zurück, Angela Merkel übte scharfe Kritik, und Holocaust-Überlebender Zvi Wachsman gab aus Enttäuschung sein Bundesverdienstkreuz zurück. Solche Entwicklungen erschüttern das Vertrauen in den Rechtsstaat und universelle Menschenrechte.

Fluchtbewegungen sind nicht nur die Folge regionaler Krisen, sondern stehen in direktem Zusammenhang mit den Wirtschafts- und Außenpolitiken westlicher Staaten. Ungerechte Handelsabkommen, Ressourcenraubbau und die Unterstützung autoritärer Regime verschärfen die Ursachen von Migration. Eine gerechte Politik muss diese Ungleichheiten anerkennen und Fluchtursachen an ihrer Wurzel bekämpfen: durch faire Handelsbeziehungen, nachhaltige Entwicklung und den Stopp von Waffenexporten.

Was ist zu tun?

Die Verschärfung der Asylgesetze ist ein Angriff auf fundamentale Menschenrechte. Wer Migration mit Repression und Ausgrenzung bekämpft, ignoriert globale Ursachen und verschärft bestehende Ungerechtigkeiten. Statt diese politischen Fehlentwicklungen weiter zu zementieren, braucht es eine Politik, die koloniale Kontinuitäten durchbricht: gerechte Wirtschaftsbeziehungen, nachhaltige Entwicklung und eine aktive Friedenspolitik. Es ist an der Zeit, Verantwortung zu übernehmen und die strukturellen Ungleichheiten zu bekämpfen, die Migration nicht nur zur Notwendigkeit, sondern auch zur Überlebensstrategie machen.

„Eine verpflichtende Abgabe auf Rüstungsexporte könnte die Unterstützung Geflüchteter finanzieren.“

Eine verpflichtende Abgabe auf Rüstungsexporte könnte die Unterstützung Geflüchteter finanzieren. Globale Gerechtigkeit bedeutet, Verantwortung zu übernehmen – eine Verantwortung, die auch in den aktuellen Koalitionsverhandlungen nicht ausgeklammert werden darf. Es braucht einen politischen Ansatz, der Migration als globale Herausforderung anerkennt und nicht als Bedrohung für nationale Interessen begreift und auf nationale Interessen verengt. Nur dann kann eine gerechte, antirassistische und menschenrechtsorientierte Politik entstehen, die Flucht nicht als Bedrohung, sondern als Ausdruck globaler Realitäten begreift. Meinung

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