Demonstration, Türkei, Türken, Erdogan, AKP, Menschen, Fahnen
Pro-Erdoğan-Demonstration in München im Jahr 2013 © de.depositphotos.com

Wahlverhalten

Erdogan-Wähler, Putin-Wähler – und die Doppelmoral

Während türkeistämmige Wähler für ihre Unterstützung Erdogans hart kritisiert wurden, schweigt Deutschland zum Wahlverhalten postsowjetischer AfD-Wähler. Warum?

Von Dienstag, 25.03.2025, 10:12 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 27.03.2025, 11:34 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Erinnern Sie sich noch, als bekannt wurde, dass eine Mehrheit der in Deutschland lebenden türkeistämmigen Menschen Recep Tayyip Erdoğan gewählt hatte? Die politischen und medialen Wellen schlugen hoch. Es entbrannte eine hitzige, monatelang anhaltende, Diskussion über Integration, Heimat und Loyalität. Selbstverständlich kann man die Wahl Erdogans kritisieren – und viele Gründe dafür gab es tatsächlich, heute noch mehr als vor einigen Jahren. Problematisch aber war, dass die Debatten um diese Wahlentscheidung nicht etwa sachlich blieben. Sie eskalierten.

Türkeistämmige Menschen gerieten pauschal unter Generalverdacht. Ihnen wurde kollektiv vorgeworfen, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit abzulehnen. Viele fühlten sich deshalb ausgegrenzt und geächtet, trauten sich nicht mehr, öffentlich über ihre Wahlentscheidung zu sprechen. Diese gesellschaftliche Dynamik, bei der alle Türkeistämmigen „geothert“ und stigmatisiert wurden, ging weit über legitime politische Kritik hinaus. Sie wirkte spaltend und demoralisierend.

___STEADY_PAYWALL___

„Doch im Gegensatz zur heftigen Empörung über die Wahlentscheidung türkeistämmiger Menschen herrscht zu den politischen Präferenzen postsowjetischer Wähler:innen weitgehend Schweigen. Warum ist das so?“

Nun zeigt eine Analyse des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM), dass Wähler:innen mit Migrationshintergrund aus der ehemaligen Sowjetunion bei der Bundestagswahl 2025 vergleichsweise verstärkt die AfD gewählt haben – eine Partei, die offen rechtsradikal ist, gegen Minderheiten hetzt und sich sogar eng mit Putins Russland verbunden zeigt. Putin führt derzeit einen brutalen Krieg gegen die Ukraine, indirekt auch gegen europäische Werte und Demokratien.

Doch im Gegensatz zur heftigen Empörung über die Wahlentscheidung türkeistämmiger Menschen herrscht zu den politischen Präferenzen postsowjetischer Wähler:innen weitgehend Schweigen. Warum ist das so? Weshalb bleiben die Diskussionen über die AfD-Nähe postsowjetischer Communitys aus? Warum sorgt die politische Nähe zu einer Partei, die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft ist, nicht für ähnliche gesellschaftliche Debatten wie seinerzeit bei den Türkeistämmigen? Warum werden keine Debatten darüber geführt, ob diese Menschen in Deutschland angekommen sind, warum in ihren Brüsten zwei Herzen schlagen und eine immer noch für Putin, auf welchem der beiden Stühle ihr Hintern mehr sitzt, ob ihre Integration gescheitert ist, wem ihre Loyalität gehört im Fall der Fälle – hier gar nicht mal so theoretisch und abwegig. Liegt es daran, dass Türkeistämmige südländisch aussehen oder dass sie mehrheitlich Muslime sind? Kurz: Ist es schlicht Rassismus – nur so eine vage Vermutung?

„Welche Mechanismen stecken hinter dieser Doppelmoral? Welches Denken legitimiert, dass Türkeistämmige pauschal unter Verdacht geraten, Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion hingegen nicht?“

Wer hieraus ableitet, man sollte nun das Wahlverhalten von Wähler:innen mit Migrationshintergrund aus der ehemaligen Sowjetunion kritisieren oder eine ähnliche Türken-Debatte führen, hat den Kern der Kritik nicht verstanden. Es müssen die richtigen Fragen gestellt werden – so unbequem sie auch sind: Welche Mechanismen stecken hinter dieser Doppelmoral, wenn es um Türkeistämmige geht? Warum geraten Türkeistämmige eher unter Verdacht als andere? Welche Gesinnung verbirgt sich dahinter, dass man aus dem Wahlverhalten Türkeistämmiger endlos viele Schlussfolgerungen ableitet, während man dem Wahlverhalten von Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion kaum öffentliche Aufmerksamkeit schenkt, obwohl ihre Wahlentscheidung unmittelbar die Zukunft Deutschlands – und nicht die eines entfernt liegenden Landes –, die deutsche Demokratie, den deutschen Rechtsstaat, den gesellschaftlichen Zusammenleben in Deutschland unmittelbar betrifft?

Kurz: Ja, es geht hier auch um das Wahlverhalten von Wähler:innen aus der ehemaligen Sowjetunion, im Kern aber um das Verhalten der deutschen Öffentlichkeit – Medien, Politik, Zivilgesellschaft –, damit wir vorbereitet sind auf die nächsten Türkei-Wahlen.

Hinweis: In einer früheren Version dieses Beitrags wurden Wähler:innen mit Migrationshintergrund aus der ehemaligen Sowjetunion pauschal als „Russlanddeutsche“ bezeichnet. Diese unzulässige Vereinfachung wurde korrigiert.

Meinung
Zurück zur Startseite
MiGLETTER (mehr Informationen)

Verpasse nichts mehr. Bestelle jetzt den kostenlosen MiGAZIN-Newsletter:

UNTERSTÜTZE MiGAZIN! (mehr Informationen)

Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.

MiGGLIED WERDEN
Auch interessant
MiGDISKUTIEREN (Bitte die Netiquette beachten.)

  1. Levent Öztürk sagt:

    Die Antwort liegt bei den 100.000 israelischen Staatsbürgern, die einen deutschen und israelischen Pass besitzen und sehr gut bei deutschen Medien, Parteien und in der Wirtschaft platziert wurden! Diese 100.000 Doppelpass Israelis haben ihre doppelte Staatsbürgerschaft eigenartigerweise bereits vor der gesetzlichen Legalisierung des Doppelpasses besessen, seit dem Jahr 2000 hat die deutsche Botschaft in Israel zu den bestehenden 30.000 weitere 70.000 deutsche Pässe an Israelis ausgestellt. Israel möchte keine in allen gesellschaftlichen Bereichen etablierte muslimische Gemeinde in Deutschland. Die islamophobe AfD kommt da wie gerufen. Die Medien halten bezüglich AfD wählende Russlanddeutsche still und attackieren stattdessen latent in Deutschland lebende Türken und Muslime. Wer dann noch herausbekommt, wem die deutschen Medien, allen voran die Springer-Medien (BILD, WELT, NTV etc.) gehören, versteht dann diesen Mechanismus! Intensiviert wird das alles dann durch einige Wochen vor den Wahlen sich nahezu täglich ereignende Messerattacken, durchgeführt von „muslimischen“ Flüchtlingen, wobei dann diese Attacken schlagartig und wohl rein zufällig mit dem Wahltag aufhören. Man stelle sich Mal vor, deutsche Medien würden so über Netanyahu berichten, wie sie es über Erdogan tun …! Und genau dort schließt sich der Kreis.

    • Amarat sagt:

      Ganz ehrlich, der Kommentar von Levent ist untragbar. Bei einem Artikel ohne Israel-Bezug, muss man einen dann dringend herbeileiten und dann noch das ganze als Komplott beschreiben.
      So werden ganz schnell die ‚bösen Israelis‘ daran Schuld, dass die „Türken und Muslime“ in Deutschland zur Zielscheibe werden. Das ist eine Manipulation und Unterstellung, die so nicht haltbar ist.
      Gerne kann die Redaktion prüfen, ob der Kommentar so hier nicht gegen die Netiquette verstößt.

      Und zum Artikel selbst. Es mag aus der subjektiven Perspektive des Autors so stimmen, dass es keine Thematisierung der „AfD- Nähe der Postsowjetischen Communitys“ gibt. Dem würde ich allerdings widersprechen. Die gab es in der Vergangenheit massiv. Da war es einer enormen Anstrengung der Menschen und Vereinen/Verbänden aus den Communitys zu verdanken, dass es keine Pauschalisierung in der Berichtserstattung stattfindet und fehlender Differenzierung der (post)migrantischen Gruppen entgegengewirkt wurde. Und das Thema des Wahlverhaltens der Menschen mit einem Bezug zur postsowjetischen Ländern ist ein großes und intensives Thema in den Communitys selbst.
      Vorschlag könnte sein von einander zu lernen und gemeinsam an der Sache arbeiten und nicht die Menschen gegeneinander ausspielen.
      BG

      • Levent Öztürk sagt:

        In keinster Weise konnten sie den im Artikel dargestellten Sachverhalt und die Überschrift bezüglich der Doppelmoral besser bestätigen! Vielen Dank dafür!

        • Amarat sagt:

          Es wäre spannend, wenn Sie Ihre These besser untermauern. Ich habe mir bei meinem Beitrag zumindest Mühe gegeben auf konkrete Punkte einzugehen.
          Sonst können wir hier gerne einen Wettbewerb in ‚Sacheneinfachsobehaupten‘ veranstalten, diese Sportart kann ich auch.

          BG