
Colonia Dignidad
Deutschlands Mitverantwortung für ein dunkles Kapitel in Chile
Deutschlands Mitverantwortung an Folter, Zwangsarbeit und Mord in Chile: Die Colonia Dignidad steht für ein verdrängtes Unrecht. Nun soll eine Gedenkstätte entstehen – doch Opfer fordern Mitsprache und Gerechtigkeit.
Mittwoch, 26.03.2025, 10:52 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 26.03.2025, 10:52 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Ein deutsches Kapitel der Menschenrechtsverletzungen, das Jahrzehnte in den Hintergrund gedrängt wurde, rückt erneut in den Fokus: Colonia Dignidad in Chile. Gegründet von einem aus Deutschland geflüchteten Straftäter, wurde die Siedlung zu einem Ort systematischer Gewalt, Zwangsarbeit und Folter – unter den Augen deutscher Diplomaten. Die Aufarbeitung dieses Unrechts ist bis heute unvollständig.
Historische Entwicklung
Was ist passiert: 1961 gründete Paul Schäfer in der chilenischen Region Maule die Siedlung „Colonia Dignidad“ – zu Deutsch: „Siedlung der Würde“. Schäfer war zuvor aus Deutschland geflohen, weil gegen ihn wegen Kindesmissbrauchs ermittelt wurde. In Chile errichtete er ein abgeschottetes Regime aus Kontrolle, Zwangsarbeit und sexuellem Missbrauch. Der Alltag der Bewohner war von Gewalt, Isolation und Medikamentenzwang geprägt.
Mit dem Militärputsch 1973 unter Augusto Pinochet wurde die Colonia Dignidad zu einem geheimen Folterzentrum für das Regime. Etwa 100 Menschen wurden dort ermordet. Auch in dieser Zeit hielt die deutsche Botschaft in Santiago de Chile an einem verharmlosenden Bild der Siedlung fest. Bereits seit 1966 lagen der Botschaft Hinweise auf die Zustände vor. Erst ab 1987 setzte ein vorsichtiges Umdenken ein. Nach der Flucht Schäfers vor der chilenischen Justiz im Jahr 1996 begann eine langsame Öffnung des Geländes.
Politische Aufarbeitung
Erst viele Jahre später reagierten deutsche Stellen offiziell. 2016 räumte der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier ein, dass die deutsche Botschaft „eindeutig zu wenig für den Schutz ihrer Landsleute“getan habe. 2017 wurde eine deutsch-chilenische Expertenkommission ins Leben gerufen. Eine ihrer zentralen Empfehlungen: die Einrichtung einer Gedenkstätte auf dem Gelände der ehemaligen Siedlung.
Im Rahmen der Aufarbeitung stellte die Bundesregierung seit 2020 rund 3,5 Millionen Euro für Hilfsleistungen zur Verfügung. Wie das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ unter Berufung auf einen offiziellen Bericht meldete, wurden bis Anfang 2025 rund zwei Millionen Euro an 398 Betroffene ausgezahlt. 49 Anträge wurden abgelehnt, auch weil sich Opfer und Täter in einigen Fällen schwer voneinander abgrenzen lassen.
Aktuelle Entwicklungen
Im März 2025 kündigte die chilenische Regierung an, zentrale Gebäude der Colonia Dignidad zu enteignen, um dort ein Erinnerungszentrum zu errichten. Im Zentrum der Enteignungspläne stehen unter anderem das ehemalige Wohnhaus von Paul Schäfer, der als Folterkeller genutzte Kartoffelkeller sowie das Krankenhaus, in dem Bewohner zwangsmedikamentiert wurden. Auch das derzeit betriebene Hotel und Restaurant mit bayrischem Flair sind betroffen.
Die Bundesregierung unterstützte das Vorhaben und kündigte an, sich „auf angemessene Weise“ an der Errichtung der Gedenkstätte zu beteiligen. Ein Sprecher des Auswärtigen Amts betonte in Berlin, verschiedene Opfergruppen würden eine solche Einrichtung ausdrücklich begrüßen.
Opferperspektive heute
Am 20. März überreichten ehemalige Siedler dem chilenischen Präsidenten Gabriel Boric einen Brief, in dem sie mehr Mitsprache beim Betrieb der Gedenkstätte fordern. „“, sagte Winfried Hempel, Anwalt der Betroffenen, dem „Evangelischen Pressedienst“. Zugleich verlangen die ehemaligen Siedler, dass die Entschädigungszahlungen aus der Enteignung nicht an wirtschaftliche Profiteure gehen, sondern zur Tilgung ausstehender Löhne aus über 40 Jahren Zwangsarbeit verwendet werden.
Ein Teil der ehemaligen Sektengemeinschaft lebt bis heute auf dem Gelände. Viele von ihnen sind inzwischen im Rentenalter und erhalten nur eine chilenische Mindestrente von rund 200 Euro monatlich. Grund dafür sind unbezahlte Sozialabgaben während der Zeit in der Siedlung. Gleichzeitig profitieren einige frühere Führungspersonen vom wirtschaftlichen Betrieb vor Ort.
Gerechtigkeit für die Betroffenen
Die Einrichtung einer Gedenkstätte auf dem Boden der Colonia Dignidad ist für die Opfer mehr als ein symbolischer Akt. Sie steht für die späte Anerkennung eines schweren Unrechts, das Deutsche im Ausland verübt haben – unter Duldung und mit Wissen der deutschen Botschaft. Damit aus Erinnerung Verantwortung wird, brauche es nicht nur Orte, sondern auch Gerechtigkeit für die Betroffenen.
Das Unrecht in Colonia Dignidad wurde 2015 filmisch aufgegriffen in dem Spielfilm Colonia mit Emma Watson und Daniel Brühl in den Hauptrollen. Der Thriller basiert lose auf den historischen Ereignissen und erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die in die Siedlung eindringt, um ihren Freund zu retten. Der Film beleuchtet die menschenverachtenden Strukturen der Sekte und enttäuschte an den Kinokassen trotz Starbesetzung. In deutschen Kinos besuchten den Film 276.000 Zuschauer – Platz 95 in den Jahrescharts. (mig/epd)
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