
Leben in Ostdeutschland
Wir brauchen ein Rassismus-Begrenzungsgesetz
Deutschland war einmal Zuflucht, doch viele Migranten verlieren das Vertrauen. Wenn hier keine Zukunft mehr bleibt – wohin können sie noch gehen?
Von Mamad Mohamad Mittwoch, 26.03.2025, 10:12 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 25.03.2025, 18:54 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
„Papa, du musst endlich richtig Englisch lernen“, sagt meine Tochter aus heiterem Himmel zu mir. „Wenn wir weggehen, dann musst du Englisch sprechen. Wenn es schlimmer wird und wir aus Deutschland wegmüssen, wohin wollen wir denn überhaupt gehen?“ Was sage ich meiner 15-jährigen Tochter? Dass sie nicht gemeint ist? Das glaubt sie nicht. Nach 28 Jahren in Deutschland denke auch ich über einen Plan B nach.
Täglich erreichen uns als Verein zehn Nachrichten von Menschen, die sagen, dass sie es in Ostdeutschland nicht mehr aushalten. Einer von zehn Menschen mit Migrationsgeschichte fasst konkrete Pläne ins Auge, um auszuwandern. Mehr als jeder vierte Mensch mit Migrationsgeschichte denkt darüber nach. Das sind konkrete Auswirkungen der migrationsfeindlichen Politik der letzten Monate und Jahre.
Ich lebe in Halle, wo wir auch 2019 einen antisemitischen und rassistischen Anschlag erlebt haben. Ich war oft in Magdeburg nach dem rechtsextremen Anschlag dort, bei dem sechs Menschen getötet worden sind, und der mich erschüttert hat wie alle in Deutschland. Seit dem Anschlag vergeht kein Tag, an dem ich als Person oder wir als Verein nicht zahlreiche Drohungen erhalten. Auch unsere Mitglieder berichten uns von Übergriffen und Anfeindungen. Gerne zähle ich Ihnen einiges auf: verbale und körperliche Angriffe, rassistische Beleidigungen sowie Sachbeschädigungen und Vandalismus. Und natürlich trifft es die Falschen. Denn welchen Einfluss spielt die Herkunft eines Menschen, wenn die Ideologie hinter einer Tat eine rechtsextreme ist?
Wo bleibt das Rassismusbegrenzungsgesetz?
„Schon lange fühlen sich die meisten Migranten in diesem Land weder sicher noch willkommen.“
In diese Stimmung hinein serviert die CDU einen Fünf-Punkte-Plan, der das Recht auf Asyl faktisch abschaffen und damit geltendes Recht brechen würde. Mit den Stimmen der FDP und der AfD, einer Partei, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft wird. Wenn wir das Wort Brandmauer hören, können wir nur müde lächeln. Schon lange fühlen sich die meisten Migranten in diesem Land weder sicher noch willkommen. Wo bleibt ein Rassismusbegrenzungsgesetz? 30 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland leiden täglich darunter.
Einem Bericht des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) zufolge geben zwar 64 Prozent der Migranten an, dass sie sich bei ihrer Ankunft willkommen geheißen fühlten. Sieben Jahre nach ihrer Ankunft jedoch ist der Wert auf 28 Prozent gesunken. Wie kann das sein? Ich will es Ihnen sagen. Schon ein paar Jahre nach ihrer Ankunft sind viele Migranten desillusioniert. Je mehr wir versuchen, uns einzubringen, umso mehr stoßen wir gegen gläserne Decken, die uns am Vorankommen hindern. Wenn wir denken, wir haben eine Decke durchbrochen, kommt schon die Nächste.
Wir Migranten werden nicht vertreten. Weder in der Politik noch in unseren Berufen treffen wir auf Menschen, die uns ähnlich sind. In Sachsen-Anhalt, dem Bundesland, in dem ich lebe, gibt es im Landesparlament nicht einen einzigen Politiker mit Migrationshintergrund. Unsere Chefs heißen Markus, Matthias und Andreas, aber niemals Cihan, Ali oder Lütfiye. Es fehlt uns an Möglichkeiten der Teilhabe sowie an Mitspracherecht. Würden alle Migranten wählen dürfen, also auch jene ohne deutschen Pass: Eine Migranten-Partei, die sich für ihre Rechte einsetzen würde, könnte die zweit- oder drittstärkste Kraft im Bundestag werden.
Welche Emotionen bestimmen die Gefühlswelt vieler Migrant:innen im Jahre 2025? Wut und Angst.
Das Vertrauen vieler Migranten in CDU, FDP und BSW ist Geschichte
„Von denjenigen, mit denen ich gemeinsam nach Deutschland gekommen bin, ist, bis auf ein, zwei Ausnahmen, niemand mehr hier in Ostdeutschland.“
Von denjenigen, mit denen ich gemeinsam nach Deutschland gekommen bin, ist, bis auf ein, zwei Ausnahmen, niemand mehr hier in Ostdeutschland. Einige von ihnen sind nach Westdeutschland gezogen, andere haben Deutschland gleich ganz den Rücken gekehrt. „Remigration“, vor einem Jahr noch ein Projekt von Rechtsextremen, hat es heute als Praxis bis ins Konrad-Adenauer-Haus geschafft, und hier in Ostdeutschland könnte es gelingen.
Auch die Menschen in den Herkunftsländern der Migranten spüren, dass dieses Land und seine Politiker uns hier nicht haben wollen. Ihre Familienmitglieder rufen aus dem Ausland an und fragen: Was ist bei euch los? Seid ihr noch in Sicherheit? Durch die sozialen Medien sind Menschen überall auf der Welt bestens darüber informiert, was in Deutschland los ist.
Das Vertrauen vieler Migranten in die Politik der Parteien von CDU/CSU über FDP und BSW ist nun natürlich Geschichte. Viele Leute werden gehen. Die Stimmung in unseren Communitys ist bitter und vergiftet. Als wir nach Deutschland kamen, hofften wir auf ein besseres Leben. Jetzt fragen sich viele nur noch: Wie lange ist es noch aushaltbar?
Für diese radikale Abschottungspolitik braucht es keine AfD
„Was in den Wahlkämpfen und Forderungen der meisten Parteien zu kurz kommt: Wir sind ein Einwanderungsland!“
Was in den Wahlkämpfen und Forderungen der meisten Parteien zu kurz kommt: Wir sind ein Einwanderungsland! Entweder, Sie sagen: Wir wollen hier eine Willkommenskultur haben, weil wir darauf angewiesen sind, dass Menschen gerne hier hinkommen und arbeiten. Oder Sie wollen es eben nicht. Dann sagen Sie es einfach, klipp und klar.
In diesem Fall ist die Sache entschieden. Bis dahin werden diejenigen von uns, die nicht schon aufgebrochen sind, dafür kämpfen, dass nicht weiter Politik gegen, sondern mit uns gemacht wird.
Es braucht gar keine AFD an der Macht, die Millionen Migranten abschieben will. Viele von uns wissen, dass sie hier unerwünscht sind und gehen von selbst. Sollte sich diese Politik der Abschottung nach der Bundestagswahl fortsetzen, dann wage ich eine Prognose: „Remigration“ wird in Ostdeutschland gelingen!
MeinungInfo: Dieser Beitrag ist eine Kooperation von MiGAZIN mit dem Netzwerk Rassismuskritische Migrationspädagogik Baden-Württemberg, das unter dem Dach von adis e.V. Antidiskriminierung – Empowerment -Praxisentwicklung organsiert ist. Das Netzwerk versteht sich als Forum von Menschen aus den Feldern Soziale Arbeit, Schule, Bildung/Weiterbildung, Hochschule sowie angrenzenden Professionen, die sich fachlich und (fach-)politisch in den Feldern Soziale Arbeit, Schule, Weiterbildung – und auch darüber hinaus – einmischen und dort Rassismus selbststärkend, reflexiv-kritisch und wenn nötig auch skandalisierend zum Thema machen. Das Netzwerk informiert Interessierte in regelmäßigen Abständen von circa zwei Monaten per E-Mail-Newsletter über aktuelle Entwicklungen, Veranstaltungen und Publikationen im Feld der Migrationspädagogik.
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