
Historisches Unrecht
Suche nach Herkunft von kolonialem Kulturgut
Kopfschmuck mit Perlen aus Straußeneischalen: In Hessens Museen liegt nicht nur NS-Raubgut, sondern auch manche historische Zusendung aus Deutschlands einstigen Kolonien. Was geschieht damit heute?
Von Jens Albes Montag, 31.03.2025, 13:13 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 31.03.2025, 13:13 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
1899 reist der Wiesbadener Bäckersohn Carl Berger in die damalige Kolonie Deutsch-Südwestafrika. Als Missionar erlebt er im heutigen Namibia den Völkermord an den Nama mit. Dem Museum Wiesbaden schickt Berger naturhistorische Objekte. 1972 schenkt seine Witwe Margarete dem Museum eine Sammlung afrikanischer Kulturgüter aus seinem Nachlass, darunter eine sogenannte Fettdose, Muschelschalen-Armschmuck und Kopfschmuck mit Perlen aus Straußeneischalen.
Diese Objekte befinden sich bis heute in Wiesbaden. Erst die vor wenigen Jahren begonnene verstärkte wissenschaftliche Aufarbeitung kolonialer Kulturgüter in dem Museum hat ihre Brisanz erhellt. Berger hat einst die erste Missionsstation in Rietmond aufgebaut, Hauptsitz der Gemeinschaften unter dem „Kaptein“ Hendrik Witbooi, der den blutigen Aufstand des Nama-Volkes gegen die deutsche Kolonialmacht angeführt hat und 1905 getötet worden ist.
Mit Objekten wie der Fettdose und dem Muschelschalen-Schmuck beschäftigt sich das 2021 geknüpfte hessische Verbundnetzwerk zu Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten unter Federführung des Museums Wiesbaden. Seit 2023 beherbergt es auch eine Koordinierungsstelle zu diesem Thema. Bekannter ist die ebenfalls hier angesiedelte Zentralstelle für Provenienzforschung zum Aufspüren von NS-Raubgut in hessischen Museen. Doch im Museum Wiesbaden schlummern auch Objekte der Suche des einstigen deutschen Kaiserreiches nach einem „Platz an der Sonne“ in neuen fernen Kolonien.
Hessens frühere Kulturministerin Angela Dorn (Grüne) hat einst daran erinnert, dass Deutschland als Kolonialmacht „teils unfassbare Verbrechen begangen“ habe. „Darüber gesprochen wird heute noch zu wenig.“ Auch in hessischen Museen würden die Auswirkungen deutscher Kolonialherrschaft sichtbar. Diese währte von den 1880er Jahren bis zum Ersten Weltkrieg.
„Historisches Unrecht sichtbar machen“
Der heutige Landeskulturminister Timon Gremmels (SPD) betont mit Blick auf Deutschlands einstige Kolonien: „Provenienzforschung ist eine auf Dauer angelegte historische und politische Aufgabe. Es geht uns darum, historisches Unrecht sichtbar zu machen, im Bewusstsein der Gesellschaft zu halten und einen Beitrag zu leisten, damit solches Unrecht nie wieder geschieht.“
Das Land Hessen fördert nach eigenen Angaben die Koordinierungsstelle zur Aufarbeitung von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten mit jährlich 215.000 Euro. Geleitet wird sie von dem Ethnologen Andy Reymann. Zudem erhält der Museumsverband Hessen 75.000 Euro pro Jahr für die Provenienzforschung bei NS-Raubgut und kolonialem Kulturgut in den rund 400 nicht staatlichen Museen im Land.
Reymann hat das Wirken des Missionars Berger im heutigen Namibia mit Co-Autorin Alexandra Kafitz in einem Buch dargestellt. 2022 und 2024 hat das Verbundnetzwerk jeweils eine Fachtagung zu den historischen Verstrickungen in den Kolonialismus mitorganisiert. Objekte und Ereignisse im einstigen Deutsch-Südwestafrika haben ebenso eine Rolle in der kürzlich geendeten Ausstellung „Der Hase ist des Jägers Tod“ im Museum Wiesbaden gespielt.
Geben hessische Museen koloniales Kulturgut auch an Herkunftsländer zurück? Provenienzforscher Reymann sagt, diese bekämen auf Wunsch gegenständliche oder digitale Kopien. Aber natürlich sei auch die Rückgabe von originalem Kulturgut und menschlichen Überresten möglich – was er bevorzuge.
Ahnenschädel der Maori reist nach Neuseeland
Während Carl Bergers Fettdose und Schmuckobjekte als Alltagsgegenstände ohne größere rituelle Bedeutung im Museum Wiesbaden bleiben könnten, sei es hier bei einem Ahnenschädel der Maori in Neuseeland anders gewesen: 2023 habe es in dem Museum eine „emotional ergreifende“ Rückgabe an Vertreterinnen und Vertreter der Herkunftsgesellschaften gegeben.
Der sogenannte Toi Moko war von dem Arzt Ernst Albert Fritze während seiner Tätigkeit bei der niederländischen Ostindienkompanie in den 1830er Jahren nach Wiesbaden geschickt worden. Er gelangte in das Museum, das in diesem Jahr bereits seinen 200. Geburtstag feiert – in einem Gebäude, das vor gut einem Jahrhundert errichtet worden ist.
„Die Übergabe war eine Zeremonie mit Gesang für eine neuseeländische Delegation, die mehrere Stationen in Deutschland besuchte“, erinnert sich Reymann. Solche Schädel mit Tätowierungen würden in dem fernen Land zum Andenken an besondere Ahnen oder als Kriegstrophäe aufbewahrt. „In der Vorstellung der Maori ist der Toi Moko eine lebende Person. Unser Museum haben sie als Ahnenhaus angesehen“, erklärt der Ethnologe.
Im Depot des Museums Wiesbaden, verborgen vor den Augen der Besucher, gibt es noch elf weitere menschliche Schädel, zugeschickt einst von Fritze, wie Reymann mitteilt. Zuspitzungen und Einkerbungen bei den Zähnen deuten auf Indonesien hin. „Wir haben leider keinen schriftlichen Nachlass von Fritze“, erklärt der Wissenschaftler.
Sisyphusarbeit
Die Frankfurter Rechtsmedizin habe die elf Schädel behutsam untersucht und ihre wahrscheinliche regionale Herkunft jeweils noch genauer bestimmt, etwa mit Verweis auf die indonesischen Inseln Java und Ambon. Provenienzforschung bei kolonialem Kulturgut bleibe oft eine Sisyphusarbeit, sagt Reymann. Noch heute bekomme das Museum Wiesbaden mitunter weitere Nachlässe mit historischen Objekten anderer Kontinente.
Vom 16. November 2025 bis zum 19. April 2026 lädt das Museum zu der Ausstellung „Speerspitzen der Erinnerung“ ein. Diese soll historische Sammlungsobjekte wie etwa Speere aus der einstigen deutschen Kolonie Kamerun präsentieren. (dpa/mig) Aktuell Feuilleton
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