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Erdin Kadunić © privat, Zeichnung: MiG

Falsche Prioritäten

TÜV für muslimische Moscheegemeinden

Muslime werden in Deutschland immer öfter diskriminiert. Den Kopf in den Sand zu stecken, ist aber keine Option. Staat und Gesellschaft müssen etwas tun. Aber auch Muslime sind aufgefordert, ihr Verhalten zu hinterfragen.

Von Montag, 31.03.2025, 11:40 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 31.03.2025, 11:40 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Anlässlich des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors, der vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung herausgegeben wird, lässt sich feststellen, dass die Diskriminierung von Muslimen in Deutschland weiter zugenommen hat. Ein weiterer Aspekt ist, dass 23 Prozent der Befragten der Meinung sind, ethnische und religiöse Minderheiten würden zu viele Forderungen stellen.

Angesichts dieser Ergebnisse könnte man den Kopf in den Sand stecken oder sich darüber beklagen, dass Muslime ein noch schwereres Los tragen als andere Gruppen in der Gesellschaft. Es wäre durchaus berechtigt, die Politik der letzten Jahre und Legislaturperioden zu kritisieren – Fälle wie Hanau zeigen, dass der Staat bisweilen unfähig ist, adäquat und rechtmäßig zu handeln.

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Doch ist nicht auch die Zeit gekommen, die eigenen Strategien, Taktiken und Verhaltensweisen als Muslime zu hinterfragen? Nur mit dem Finger auf andere zu zeigen, ohne selbstkritisch zu sein, führt nicht weiter. Der Bericht mit seinen ernüchternden Ergebnissen bietet Imamen, Moscheeverantwortlichen und allen Beteiligten die Gelegenheit, die eigene Arbeit kritisch zu reflektieren. Ziel sollte es sein, bestehende Strukturen und Arbeitsweisen zu evaluieren, um Verbesserungsbedarf zu erkennen. Aus meiner Sicht gibt es zentrale Bereiche, die dringend einer Überprüfung bedürfen.

Nicht auf Deutschland ausgerichtet

„Ein Hindernis in manchen Gemeinden sind die standardisierten Freitagspredigten, die nicht an die deutschen Verhältnisse angepasst sind.“

Viele muslimische Gemeinden in Deutschland sind nach innen orientiert. Es fehlt häufig an transparenter Kommunikation nach außen – über ihre Aktivitäten, Werte und ihren Beitrag zur Gesellschaft. Dieses Informationsvakuum wird allzu oft von Vorurteilen oder negativen Schlagzeilen gefüllt. Ein Hindernis in manchen Gemeinden sind die standardisierten Freitagspredigten, die nicht an die deutschen Verhältnisse angepasst sind.

Ein Beispiel: In vielen bosnischen Moscheegemeinden wird eine Zentralpredigt der Islamischen Gemeinschaft Bosnien-Herzegowinas verlesen. Ich erinnere mich an eine Predigt, in der dazu aufgerufen wurde, landwirtschaftlich aktiv zu werden, um schwierige Zeiten zu überstehen – sicher ein relevantes Thema in Bosnien, aber in Deutschland, wo kaum ein Prozent der Gemeindemitglieder in der Landwirtschaft tätig ist, völlig deplatziert. Ähnliches gilt für nationale Feiertage wie den Tag der Armee, die im hiesigen Kontext kaum Bedeutung haben – besonders für nicht-bosnische Gemeindemitglieder, deren Zahl stetig wächst.

„Es mangelt vielerorts an rhetorischer und kommunikativer Schulung für Imame.“

Zudem mangelt es vielerorts an rhetorischer und kommunikativer Schulung für Imame. Nur wenige setzen sich im Vorfeld einer Predigt intensiv mit aktuellen gesellschaftlichen Themen auseinander, um eine lebendige, kontextgerechte Ansprache zu entwickeln. Häufig bleibt es bei einer routinierten, wenig ansprechenden Wiederholung.

Falsche Prioritäten

In vielen Gemeinden liegt der Fokus auf dem Bau immer größerer Gebäude. Oft wird sogar der Kauf eines Geländes mit dem Ziel verfolgt, dort ein monumentales Projekt zu realisieren. Dabei wird übersehen, dass viele Gemeindemitglieder finanziell kaum in der Lage sind, solche Projekte zu stemmen. Baukosten sind heute weitaus höher als vor 30 oder 40 Jahren – dennoch überschreiten manche Vorhaben mühelos die Millionengrenze. Es entsteht ein inoffizieller Wettbewerb: Welche Moschee ist größer und schöner als die der Nachbargemeinde?

„Welche Moschee ist größer und schöner? Dabei wäre das Geld besser in Personal investiert.“

Dabei wäre das Geld besser in Personal investiert, das die Gemeindearbeit erweitert und belebt. Imame sind in der Regel nicht in Sozial- oder Jugendarbeit ausgebildet – dies gehört nicht zu ihrem primären Aufgabenbereich. Dennoch bestehen große Bedarfe, insbesondere bei Jugendlichen und Senioren, die derzeit kaum aufgefangen werden.

Es reicht nicht, sich ausschließlich auf religiöse Bildung zu konzentrieren. Vielmehr braucht es professionelle Jugend- und Seniorenarbeit in den Gemeinden. Diese muss nicht zwingend religiös geprägt sein – junge Menschen, gleich welcher Herkunft, haben ähnliche Bedürfnisse. Ein muslimischer Jugendlicher möchte ebenso unterhalten und gefördert werden wie sein nicht-muslimischer Altersgenosse. Die Gemeinden könnten in diesem Bereich vergleichbare Funktionen übernehmen wie etwa die Diakonie oder die Caritas – als verlässliche Partner des Staates.

„Statt Mittel in bauliche Erweiterungen zu investieren, sollten Moscheen einen Pressesprecher einstellen.“

Dies gilt auch für die Öffentlichkeitsarbeit. Statt Mittel in bauliche Erweiterungen zu investieren, sollten Moscheen einen Kommunikationsmanager oder Pressesprecher einstellen, der als Ansprechpartner für die Mehrheitsgesellschaft fungiert. Darauf aufbauend könnten Webauftritt, Social Media und Pressemitteilungen professionell gestaltet und an die gesellschaftlichen Standards angepasst werden. Derzeit fehlt es daran, weshalb viele Gemeinden in der öffentlichen Debatte kaum wahrgenommen werden. Während kirchliche Einrichtungen kommunikationsseitig in der Champions League spielen, agieren viele Moscheevereine auf Verbandsliganiveau – eine Asymmetrie, die sich nur durch professionelles Personal auflösen lässt.

Viel fordern, wenig liefern

Diese strukturelle Schwäche zeigt sich auch in der Gemeindearbeit. Christliche Gemeinden verfügen über hauptamtliches Personal, das sich gezielt verschiedenen Themen widmet. Muslimische Gemeinden hingegen haben kaum Kapazitäten, sich gesellschaftlich einzubringen – obwohl dies regelmäßig gefordert wird.

„Religiöse Rituale sollten daher nicht zu offensiv in den öffentlichen Raum getragen werden, wie etwa beim Festtagsgebet im Park.“

Ich bin zudem kein Befürworter einer demonstrativen Präsentation des Islams im öffentlichen Raum. Religion ist in Deutschland Privatsache, viele Lebensbereiche sind säkular geprägt. Religiöse Rituale sollten daher nicht zu offensiv in den öffentlichen Raum getragen werden, wie etwa beim Festtagsgebet im Park oder bei öffentlichen Einschulungsgebeten. Das oft gebrachte Argument „Christen dürfen das ja auch“ greift zu kurz.

Denn trotz aller Diversität bleibt Deutschland ein christlich geprägtes Land. Wie das in 50 oder 100 Jahren aussehen wird, kann niemand sagen – aber aktuell sollte man Maß halten. Da die Gemeinden gesellschaftlich kaum etwas beitragen können, wäre es klüger, kleinere Brötchen zu backen und nicht mit der Einforderungskeule zu schwingen. Eine defensivere, zurückhaltendere Strategie könnte mehr Sympathien und Unterstützung erzeugen. Ob sich das in künftigen Diskriminierungs- und Rassismusberichten niederschlägt, bleibt abzuwarten – es wäre jedenfalls ein neuer Weg, um den gesellschaftlichen Diskurs zu beruhigen, Verständnis zu fördern und Vertrauen zu gewinnen. (mig) Meinung

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