
Hackordnung in Deutschland
Edelausländer – und andere
„Gute“ Migranten, „schlechte“ Migranten: Deutschland sortiert und bestimmt, wer aufsteigt, wer unten bleibt. Diese Hackordnung sortiert nach Wert und Nützlichkeit – und wer nicht unten steht, macht mit.
Von Kiflemariam Gebre Wold Dienstag, 08.04.2025, 11:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 11.04.2025, 10:42 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
„Ausländer“, „Menschen mit Migrationshintergrund“, „diasporische Community“. Mittlerweile gibt es viele Begriffe, die verwendet werden, um migrantische Menschen zu benennen. Doch keiner der Begriffe gibt Rückschlüsse auf die bestehende „Hackordnung“ zwischen den migrantischen Communitys. Dabei war und ist die „Hackordnung“ – wie ich sie nenne – ein ständiger Begleiter von Menschen, die aus aller Welt für Ausbildung oder Arbeit nach Deutschland kamen und als Angehörige ihrer Communitys von der Mehrheitsgesellschaft hierarchisiert wurden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Deutschen ganz schön überrascht, als sie feststellten, dass nicht mehr sie – die einstigen „Herrenmenschen“ – das Sagen hatten, sondern die Besatzungsmächte, allen voran die wirtschaftlich überlegenen Amerikaner. Diese mutierten im Nachkriegsdeutschland zu „Edelausländern“, bei denen viele Deutsche froh waren, Arbeit zu finden. Die Situation änderte sich rasch und grundlegend. Deutschland wurde gebraucht, um dem Stalinismus zu begegnen. Die USA ließen ihre Programme zur Entnazifizierung mehr oder weniger auslaufen. Die Agenda der neuen Zeit war klar: Die deutsche Wirtschaft wurde hochgefahren – als Gegenmodell zum Osten – und der Wiederaufbau wurde allem untergeordnet. Das bedeutete auch, dass für so einen wirtschaftlichen Aufschwung Ex-Nazis zu Fachkräften avancierten und sich nahtlos in die bundesrepublikanische Gesellschaft reintegrieren konnten.
„Klar ist, die Anwerbung von Arbeitskräften war ein Akt, der ausschließlich aus eigenem Interesse betrieben wurde, damals wie heute.“
Die ökonomische Lage erforderte eine große Anzahl an Arbeitskräften. Im Jahr 1955 kamen die ersten italienischen „Gastarbeiter“ nach Deutschland. Das war das Ergebnis eines bilateralen Anwerbeabkommens zwischen Deutschland und Italien. Der industrielle Boom erforderte weitere Anwerbeabkommen mit den Ländern Spanien/Griechenland (1960), Türkei, Marokko, Portugal, Tunesien und Jugoslawien (1968). Insbesondere nach der schleichenden und dann abrupten Schließung der Grenze zwischen der DDR und Westdeutschland war Deutschland dringend auf „Fremdarbeiter“ und „Gastarbeiter“ aus dem Ausland angewiesen, um das Wirtschaftswunder abzusichern. Hinzu kam, dass das Land enorme Summen brauchte, um Reparationskosten zu zahlen. Klar ist, die Anwerbung von Arbeitskräften war ein Akt, der ausschließlich aus eigenem Interesse betrieben wurde, damals wie heute.
Alles, was dem Herkunftsdeutschen fehlte, schienen die Italiener zu haben. Leichtigkeit, Eleganz, Wetter, kulinarische Vielfalt. Sie wurden trotz existierender Diskriminierung zu Edelausländern. In der Frühphase der Arbeitsmigration hatten auch die Griechen und Spanier eine besondere Position. Sie kamen aus christlichen Ländern und galten im Falle Griechenlands als Quelle der Philosophie. Als orthodoxe Christen gründeten sie ihre eigenen Kirchen oder durften vorhandene Kirchen mitnutzen. Die Spanier wurden von der katholischen Kirche unterstützt und in einigen Städten wurden spanische Arbeiterkantinen eröffnet. Griechenland tritt 1981 und Spanien fünf Jahre später in die EU ein. Damit wurden sie EU-Bürger und -zumindest nominell – zu Edelausländern.
„Für türkische Arbeitsmigranten galt eine religiöse und kulturelle Barriere. Hier begann das Ranking der Aufnahmegesellschaft im vollen Umfang durchzuschlagen.“
Für türkische Arbeitsmigranten galt eine religiöse und kulturelle Barriere. Hier begann das Ranking der Aufnahmegesellschaft im vollen Umfang durchzuschlagen. Neben Türken wurden auch Marokkaner, Tunesier und teilweise auch Jugoslawen zuerst als Moslems wahrgenommen. Ihnen war es unmöglich, Edelausländer zu werden. Ihre Religion, ihr Aussehen, der Palästinakonflikt – alles wurde auf sie projiziert. Unabhängig von ihrem persönlichen Status, ihrer Befähigung und Leistung wurden sie als Ausländer der zweiten oder dritten Klasse gebrandmarkt. Das gleiche Schicksal ereilte Ausländer afrikanischer Herkunft, die in den 60er Jahren fast ausschließlich zur Ausbildung und zum Studium einreisten.
Das Leben der Gastarbeiter spielte sich in Gastarbeiterlagern, Pardon, Wohnheimen, ab. Das war für alle Ausländer alles andere als edel. Es war geprägt von „Heim-Arbeit-Bahnhof“. Die Trennung der Wohnheime nach Herkunftsländern war keine Seltenheit und diente nicht nur dem Zusammenwohnen gleichsprachiger Menschen. Es sollte auch Auseinandersetzungen in den engen Baracken vorbeugen. Vor allem aber hatte diese Trennung einen politisch gewollten „Nebeneffekt“. So war es nämlich viel schwieriger, über Gastarbeitergruppen hinweg Annäherungen, Absprachen oder sogar Solidarität zu schaffen. Das half, Arbeitskämpfe zu minimieren.
„Je nach Bedarf wurden einzelne Ausländergruppen aus tatsächlicher oder imaginärer Nähe zur Mehrheitsgesellschaft in der Hackordnung nach oben geschoben.“
Dieses System war ein elegantes Instrument der Aufnahmegesellschaft, um Ausländer in Schach zu halten. Je nach Bedarf wurden einzelne Ausländergruppen aus tatsächlicher oder imaginärer Nähe zur Mehrheitsgesellschaft in der Hackordnung nach oben geschoben, dafür mussten andere weichen. Für manche Ausländer, z.B. aus Bulgarien, Rumänien und vor allem dem nicht-muslimischen Balkan, hatte die Hackordnung oberflächlich Vorteile. Sie wurden als Teil des Abendlandes angesehen und als leichter integrierbar. Solange es eine Schicht unter ihnen gab, wurden sie zumindest zeitweise in Ruhe gelassen. Eine besonders perfide Rolle innerhalb der Hackordnung kommt den Russlanddeutschen zu. Diese werden als „Bollwerk“ gegen den Rest eingesetzt. Teile dieser Community nehmen diese Rolle an und agieren als „Wachhund“ der Mehrheitsgesellschaft. Im Notfall sind sie die Pufferzone zwischen uns und der Mehrheitsgesellschaft.
Eine besondere Gruppe von Gastarbeitern waren die koreanischen Arbeitsmigranten, die Vietnamesen und japanische Investoren. Hier wird das Ranking noch komplizierter. Auch die frühen koreanischen Arbeitsmigranten sind in den 60er Jahren durch Anwerbeabkommen eingereist. Weil die Mehrheitsgesellschaft ihnen „Fleiß“ zuschrieb, hatten sie einen halb-edlen Status. Jahre später, als Korea sich als Wirtschaftsmacht etablierte, avancierten sie zu Edelausländern und zogen fast gleich mit den Japanern, die als Investoren auftraten und diesen Status schon ziemlich früh durchsetzten.
Die „Boatpeople“, die aus Vietnam immigrierten, blieben im Bewusstsein Deutschlands Boatpeople, weil sie nur aus humanitären Gründen hereingelassen wurden. Die vietnamesischen Kontraktarbeiter aus DDR-Zeiten konnten ihren Status bei der Wiedervereinigung nicht verbessern, im Gegenteil. Grundsätzlich sind Geflüchtete in der „Hackordnung“ auf der untersten Stufe – abhängig davon, ob sie Muslime, Schwarz oder eher „hellhäutig“ sind. Für Menschen aus Sri Lanka, die in den 80er Jahren geflüchtet waren, sind ihr Aussehen und ihr „Asylant-Status“ damals wie heute ein Hindernis für einen Edelausländer-Status, so das Urteil der Mehrheitsgesellschaft.
Dies war das Bild Deutschlands aus der Sicht vieler Migranten:innen von Mitte der 50er bis ca. Mitte der 80er Jahre.1 Die Republik hat sich zu einem Einwanderungsland entwickelt, ohne dass dies von den meisten wahrgenommen, geschweige denn gewollt gewesen wäre. Teilweise unterlaufen die Lebensentwürfe und -realitäten der migrantischen Community die „Hackordnung“. Binationale Ehen sind keine Seltenheit. Auch die Globalisierung hinterlässt ihre Spuren. Seit den letzten 15 Jahren arbeiten eine größere Zahl an Indern, Osteuropäern und Kamerunern in modernen IT-Unternehmen. Sie verdienen besser als Herkunftsdeutsche und wohnen in „Temporary Living“-Anlagen, in denen nicht wenige mit ähnlichem Profil und Background wohnen. Sie spielen Cricket, haben ihre Firmennetzwerke2 und treffen sich nach Feierabend in Kneipen. Sie, diese Gruppe von IT-Spezialist:innen entziehen sich geschickt der Hackordnung der Bundesrepublik Deutschland. Auch die reichen saudischen, omanischen, emiratischen, bahrainischen und kuwaitischen Medizintouristen spielen in einer anderen Liga.3 Sie werden hofiert, solange sie zahlen und sich nur kurzfristig hier aufhalten.
„Wer aber glaubt, dauerhaft vom Status ‚Lieblingsausländer‘ profitieren zu können, hat Folgendes nicht bedacht: Sobald sich der Wind für die eigene Gruppe dreht, setzt die Hackordnung wieder ein und verstärkt sogar ihre Wirkung.“
Für viele andere, weniger privilegierte, ist und bleibt die ordnende Macht der Hackordnung aktueller denn je. Sie funktioniert, aus einem einfachen Grund: Die Mehrheitsgesellschaft setzt sie rigoros durch und einige Mitglieder der migrantischen Community helfen bewusst mit. Die Mehrheitsgesellschaft favorisiert immer wieder „Lieblingsausländer“, die diese unfaire Hackordnung mehr oder weniger hinnehmen. Wer aber glaubt, dauerhaft vom Status „Lieblingsausländer“ profitieren zu können, hat Folgendes nicht bedacht. Denn sobald sich der Wind für die eigene Gruppe dreht, setzt die Hackordnung wieder ein und verstärkt sogar ihre Wirkung. Eine solche Haltung mag zwar bequem sein, sie führt geradewegs in die Selbstaufgabe.
Alle, die sich als diasporisch/migrantisch verstehen, müssen ihren Beitrag leisten, um die Hackordnung aufzuweichen und vollends aufzuheben. Denn die Mehrheitsgesellschaft wird nicht freiwillig, aus Einsicht oder aus Nachsicht auf diese Hackordnung verzichten, weil sie ein billiges und scheinbar effektives Ordnungsinstrument ist. Für den Einstieg in die Aufweichung der Hackordnung haben wir vermutlich nur noch vier Jahre zur Verfügung. Wenn 2029 die AfD stärkste Fraktion im Bundestag wird, ist es zu spät. (mig)
- Das Jahr 2015 mit der sog. Flüchtlingswelle – also ob die Geflüchteten von damals ein Tsunami waren- wird in diesem Artikel nicht behandelt. Flüchtlinge aus der Ukraine haben bereits vor ihrer Einreise den Status eines „privilegierten Ausländers“ erhalten. Schließlich wurden alle Regelungen, die für Geflüchtete galten, für Sie aufgehoben. Vor dem Gesetz sind alle gleich!
- Beispiel Bosch: Türkisches Forum Bosch, chinese@bosch, Hispanics@Bosch, Asians@Bosch, AfricanAncestry@Bosch
- Die Münchener Geschäftswelt hat sich gegen die bayerische Staatsregierung gestellt, die ein Burka-/Nikabverbot durchsetzen wollte.
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