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Islamfeindlichkeit (Symbolfoto) © MiGAZIN

Bedient Vorurteile

Debatte über Wort „Islamismus“

Die Berliner Jusos wollen den Begriff „Islamismus“ nicht mehr nutzen, weil er die Religion stigmatisiert. Im Netz wird diskutiert. Forschungsminister und Experten haben Vorbehalte – es gibt aber auch gute Gründe für einen Begriffswechsel.

Mittwoch, 09.04.2025, 16:10 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 09.04.2025, 16:10 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die Berliner Jusos wollen den Begriff Islamismus in ihrem Sprachgebrauch nicht mehr verwenden und sprechen stattdessen künftig nur noch von „religiös-begründetem Extremismus“ – ohne Bezug zu einer konkreten Religion. Einen entsprechenden Beschluss, der nun für Kritik sorgt und im Netz heißt diskutiert wird, fasste der Berliner Landesverband der SPD-Nachwuchsorganisation bei einer Delegiertenversammlung.

Die begriffliche Nähe zwischen Islam und Islamismus sei ein Problem, heißt es in dem Beschluss vom vergangenen Samstag. „Dadurch entsteht ein Bild, bei dem der Islam als solcher problematisiert und mit Negativität assoziiert wird.“ Eine ganze Religion werde stigmatisiert. Zudem würden als Muslime gelesene Menschen unter Generalverdacht gestellt – sie stünden permanent unter Druck, sich von Extremismus etwa der Hamas oder des „Islamischen Staats“ (IS) zu distanzieren. Folge sei auch ein Erstarken von antimuslimischem Rassismus.

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Özdemir offen für passendere Bezeichnung

Der geschäftsführende Bundesforschungsminister Cem Özdemir (Grüne) und Extremismusforscher zeigten sich grundsätzlich offen für eine Alternative zum Begriff Islamismus. Sie geben aber zu bedenken, dass eine Debatte über das Wort nicht die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema verdrängen sollte. Bisher gebe es keine andere passendere Bezeichnung.

Es spreche nichts dagegen, sich einen besseren Begriff zu überlegen, sagte Özdemir auf Nachfrage vor Journalisten in Berlin. Er warnte aber davor, „dass der Streit um den Begriff dazu führt, dass man sich mit dem Phänomen nicht mehr primär beschäftigt“. Der Minister erinnerte an die Debatte über sogenannte „Clankriminalität“ – ein Begriff, der ebenfalls massiv in der Kritik steht.

Forscher halten am Begriff fest

Der Terrorismusexperte Peter Neumann vom King’s College in London sagte bei dem gemeinsamen Auftritt mit Özdemir, er kenne die Debatte seit 20 Jahren. Auch er zeigte sich offen für eine andere Bezeichnung. Allerdings hätten ihn die Alternativvorschläge, die es bisher gebe, nicht überzeugt. Der Begriff beschreibe das Problem relativ gut. „Bei Islamismus geht es darum, dass aus einem Glauben, aus einer Religion, eine politische Ideologie abgeleitet wird“, sagte Neumann.

Der Extremismusforscher Julian Junk verwies ebenfalls auf eine lange Begriffsdebatte. Im Gespräch mit muslimischen Gemeinschaften würden andere Begriffe wie radikaler Islam oder politischer Islam als wesentlich problematischer empfunden. Mit dem Begriff Islamismus habe man sich ganz gut einigen können. „Es ist klar, was damit gemeint ist, und grundsätzlich, in der Wissenschaft halten wir nichts von begrifflichen Verbotsdebatten.“

Ministerium fördert Forschung mit Millionen

Anlass des gemeinsamen Auftritts waren eine Bilanz und ein Ausblick zum Thema Islamismus-Forschung. Das Bundesforschungsministerium hat für Projekte in dem Bereich nach Angaben Özdemirs in den vergangenen fünf Jahren 15 Millionen Euro bereitgestellt. Ab dem kommenden Jahr sollen es für weitere Forschungsvorhaben erneut bis zu 15 Millionen sein. Projektskizzen könnten ab sofort eingereicht werden. Antragsberechtigt sind Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Vereine und Verbände.

CDU übt Kritik

Kritik an dem Juso-Beschluss kam von der CDU. „Probleme kann man nicht lösen, indem man sie unkenntlich macht“, sagte der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Burkard Dregger, der Deutschen Presse-Agentur. „Voraussetzung für die Lösung von Problemen ist es, sie klar zu benennen.“

Die begriffliche Nähe des Wortes Islamismus zum Islam sei unabdingbar für eine zutreffende Bezeichnung dieses Extremismus-Phänomens. „Denn die Angehörigen dieser extremistischen Ausrichtung berufen sich ja explizit auf den Islam. Der Begriff ‚religiös begründeter Extremismus‘ hingegen vernebelt diesen Zusammenhang.“

Dem halten islamische Religionsgemeinschaften entgegen, dass die allermeisten Täter nicht aus muslimischen Milieus stammten, sondern oft verwirrte und psychisch kranken Einzeltäter seien, die sich im Netz radikalisierten. Weder ihre Lebensführung noch ihre Taten seien mit religiösen Regeln vereinbar. Dennoch übernehme die Öffentlichkeit die Selbstbezeichnung der Täter, anstatt sie kritisch zu hinterfragen. Bei Tätern mit anderen religiösen Kontexten geschehe dies nicht. Die Vermengung von Gewaltverbrechen mit der Religion schüre pauschal Vorurteile gegenüber allen Muslimen.

Juso sieht Abbau von Diskriminierung

Die Berliner Juso-Landesvorsitzende Svenja Diedrich, die den Verband gemeinsam mit Kari Lenke führt, sprach angesichts der Diskussion von „viel Lärm um nichts“. Ziel des mit breiter Mehrheit gefassten Beschlusses sei ein Abbau von Diskriminierung in der Verbandsarbeit, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Es handele sich nicht um ein Verbot. „Alle Leute dürfen weiter sagen, was sie wollen.“

Extremismus, der sich auf Religionen berufe, müsse bekämpft werden – allerdings ohne „rassistische Narrative und Stigmatisierung“, heißt es im Beschluss der Berliner Jusos weiter. „Stattdessen soll in Zukunft in unserem Verband von „religiös-begründetem Extremismus“ gesprochen werden. So werden keine weiteren Vorurteile gegenüber dem Islam geschürt.“ Das solle etwa für Anträge und Debatten im Verband gelten. (dpa/mig) Aktuell Panorama

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