
„Rückschrittskoalition“
Union will mehr Zurückweisen und mehr Abschieben
Merz hat Änderungen bei der Regelung von Einwanderung und Asyl versprochen. Ob die neuen Verschärfungen umgesetzt werden können, wird sich in einigen Monaten zeigen. CDU und CSU zeigen sich optimistisch. Es gibt aber praktische und juristische Hürden – sowie scharfe Kritik.
Sonntag, 13.04.2025, 10:12 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 13.04.2025, 12:23 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
Politiker von CDU und CSU sind ungeachtet möglicher rechtlicher und praktischer Hürden optimistisch, dass der von ihnen angekündigte Kurswechsel – im Kern geht es um Verschärfungen – in der Flüchtlingspolitik gelingen wird. Der von Union und SPD ausgehandelte Koalitionsvertrag sei eine „verlässliche Grundlage“, um die Zahl der Asylsuchenden kurzfristig weiter zu reduzieren, sagt Bayerns Innenminister, Joachim Herrmann (CSU).
Unionsfraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei versprach für die Zukunft regelmäßige Abschiebeflüge nach Afghanistan und Syrien. „Darauf können sich die Deutschen verlassen“, sagte der CDU-Politiker dem Boulevardblatt „Bild“. Der SPD-Vorsitzende Lars erwartet, dass es unter der geplanten schwarz-roten Bundesregierung mehr Zurückweisungen an den Grenzen geben wird als unter der Ampel-Koalition. „Wir sind uns einig: Es gibt mehr Grenzkontrollen, damit gibt es auch mehr Zurückweisungen“, sagte er demselben Blatt. „Aber (CDU-Chef) Friedrich Merz und ich sind uns einig, dass es in Abstimmung mit den europäischen Partnern passiert“, fügte er hinzu.
Die wichtigsten geplanten Änderungen
Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD heißt es: „Wir werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen.“ Neue freiwillige Bundesaufnahmeprogramme wird es nicht geben. Mindestens zwei Jahre lang soll es keinen Familiennachzug zu Menschen mit eingeschränktem Schutzstatus geben.
Um Herkunftsländer von Ausreisepflichtigen um mehr Zusammenarbeit bei der Rücknahme ihrer Staatsbürger zu bewegen, soll notfalls Druck ausgeübt werden – etwa über die Entwicklungszusammenarbeit, die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen und die Visa-Politik. Die „Turbo-Einbürgerung“ von besonders gut integrierten Ausländern bereits nach drei Jahren soll es demnächst nicht mehr geben.
Zurückweisung von Asylsuchenden
Dass der Vorbehalt, dies „in Abstimmung“ mit den Nachbarn zu machen, den Plan bremsen könnte, weist Herrmann zurück. Zum einen dürfe nun einmal jeder Staat an seinen Grenzen entscheiden, wer einreisen dürfe und wer nicht. Vor allem aber wollten ja auch die anderen EU-Länder eine Reduzierung der Flüchtlingszahlen. Er glaubt: „Da wird es überhaupt kein Problem geben.“
Merz selbst hatte am Abend nach der Vorstellung des Koalitionsvertrages bei „RTL Direkt“ gesagt: „Wir werden das in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn machen. Und diese Abstimmung läuft.“ Ob das bedeute, dass künftig alle Asylsuchenden an den Grenzen abgelehnt werden, wollte er nicht sagen.
Schweiz pocht auf europäisches Recht
„Die Schweiz behält sich vor, entsprechend zu reagieren, sollten die Zurückweisungen aus unserer Sicht gegen das geltende Recht verstoßen“, teilte ein Sprecher des Schweizer Bundesamtes für Migration auf Nachfrage mit. Man erwarte, dass der allgemeine Personen- und Warenverkehr weiterhin möglichst unbeeinträchtigt bleibe. Der Sprecher verwies insbesondere auf das „bilaterale Rückübernahmeabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz, das Dublin-Recht sowie die Genfer Flüchtlingskonvention“.
Österreich begrüßt die Pläne der schwarz-roten Koalition grundsätzlich. Zur geplanten Zurückweisung von Migranten an der deutschen Grenze sagte ein Sprecher des Innenministeriums in Wien: „Wir sind zuversichtlich, dass das Handeln der deutschen Behörden an den EU-Binnengrenzen auf dem Boden der Rechtsordnung erfolgt.“
Polen zurückhaltend, Tschechien kooperativ
Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk hatte bereits Ende März laut Nachrichtenagentur PAP erklärt, es gebe zwar ein gültiges Abkommen mit Deutschland über Geflüchteten-Rückübernahmen. Polen sei aber wegen der Aufnahme einer hohen Zahl an Flüchtlingen aus der Ukraine und aufgrund des Migrationsdrucks an seiner Ostgrenze zu Belarus nicht in der Lage, Geflüchtete aus anderen EU-Ländern zu übernehmen.
Tschechien zeigte sich offen für einen Dialog. Man stehe mit den deutschen Kollegen in regelmäßigem Kontakt, sagte ein Sprecher des Innenministeriums in Prag auf Anfrage. Bei einem Anstieg der illegalen Migration sei Tschechien bereit, Gegenmaßnahmen bis hin zur Wiedereinführung von Personenkontrollen an den Schengen-Binnengrenzen zu ergreifen, sagte der Ministeriumssprecher. Er verwies zudem auf die geplante Verschärfung des Asylrechts in Tschechien. Geplant sind unter anderem eine schnellere Abschiebung von ausreisepflichtigen Ausländern, erweiterte Sicherheitsüberprüfungen und beschleunigte Asylverfahren.
Deutlicher Rückgang der Asylzahlen
Im vergangenen Jahr hatten 229.751 Menschen erstmals in Deutschland einen Asylantrag gestellt. Das waren rund 100.000 Asylerstanträge weniger als im Jahr zuvor.
Auf EU-Ebene wird aktuell über einen Punkt diskutiert, der womöglich in der bereits vereinbarten Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) noch verschärft werden könnte. Konkret geht es darum, ob das sogenannte Verbindungselement aus dem Konzept des sicheren Drittstaats gestrichen wird. Vor allem die Grünen hatten das abgelehnt.
Bisher dürfen Asylsuchende laut GEAS-Reform nur in Drittstaaten geschickt werden, zu denen sie eine persönliche Verbindung haben – etwa weil sie früher einmal dort gelebt haben. Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD steht jetzt, Deutschland werde auf europäischer Ebene nun eine Initiative zur Streichung des „Verbindungselements“ ergreifen. Allerdings hat sich bislang noch kein Staat gefunden, der bereit wäre, im großen Stil Asylbewerber aus Europa aufzunehmen.
Mehr Abschiebungen durch Visa-Keule?
Dass Ausreisepflichtige Deutschland verlassen, wollte erklärtermaßen auch die Ampel-Koalition. Tatsächlich stieg die Zahl der Abschiebungen in den vergangenen zwei Jahren. 2024 gab es laut Bundesinnenministerium 20.084 Rückführungen, nach 16.430 Abschiebungen im Jahr zuvor. Das Niveau der Jahre vor der Corona-Pandemie wurde jedoch nicht erreicht.
Das liegt unter anderem daran, dass es in den vergangenen Jahren eine Sammelabschiebung nach Afghanistan und keine Abschiebungen nach Syrien gab. Die beiden Staaten zählen seit langer Zeit zu den Hauptherkunftsländern von Asylbewerbern in Deutschland. Vor allem Straftäter möchte die Bundesregierung dorthin bringen.
Bei einigen Herkunftsländern könnte die Aussicht auf restriktivere Visa-Regeln oder Handelshemmnisse, wie sie der Koalitionsvertrag für Staaten vorsieht, die bei der Rücknahme ihrer Ausreisepflichtigen nicht kooperieren, vielleicht zu mehr Kooperationsbereitschaft führen. Doch ohne ein europäisch abgestimmtes Vorgehen dürfte die Wirkung solcher Drohungen gering sein.
Praktische Hürden für Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien
Abschiebungen nach Afghanistan sind besonders schwierig. Ende August 2024 waren mit Hilfe von Katar 28 männliche Straftäter aus Deutschland nach Afghanistan gebracht. Seither gab es trotz entsprechender Bemühungen der Ampel-Regierung keine weitere Abschiebung in das Land, das seit August 2021 wieder von den Taliban regiert wird.
Der CDU-Politiker Frei bleibt dennoch optimistisch. Dem „Bild“ sagt er, der Flug im Spätsommer 2024 habe schließlich gezeigt, dass das funktioniere. „Deswegen sind wir davon überzeugt, dass wir das auch zukünftig, dauerhaft und in wesentlich größeren Bereichen auch hinbekommen.“
Mit Vertretern der Übergangsregierung, die sich in Syrien nach dem Sturz von Langzeitmachthaber Baschar al-Assad etabliert hat, gab es zwar schon einige Begegnungen, die Abschiebungen in das arabische Land wieder in den Bereich des Möglichen gerückt haben. Doch noch ist die Lage dort so instabil, dass die geschäftsführende Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) Ende März einen geplanten Kurzbesuch in Damaskus absagen musste.
Pro Asyl: Rückschrittskoalition gegen Menschenrechte
Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl ist alarmiert über die Pläne der künftigen Bundesregierung. Union und SPD hätten massive Verschärfungen für Schutzsuchende festgeschrieben, statt sich an Humanität und geltendem Recht zu orientieren. „In den Koalitionsergebnissen wird eine gefährliche Abkehr von menschenrechtlichen Errungenschaften deutlich – es droht eine Rückschrittskoalition gegen Menschenrechte und Humanität“, warnt Pro-Asyl-Geschäftsführer Karl Kopp.
Das zeige sich insbesondere an den geplanten Zurückweisungen von Schutzsuchenden an deutschen Grenzen. Dies sei weiterhin europa- und verfassungswidrig. Fatal sei, dass Union und SPD sich auf die Streichung des sogenannten Verbindungselements für „sichere Drittstaaten“ geeinigt haben. „Hier geht es darum, Deals mit Ländern à la Modell Ruanda zu schließen. Damit soll dann ein Flüchtling in einen Drittstaat außerhalb der EU geschickt werden können, obwohl er dort nie zuvor war“, so die Kritik. „Damit schließt sich Deutschland den europäischen Hardlinern an ”, sagte Kopp.
Massive Verschärfungen beklagt Pro Asyl unter anderem auch im Asylverfahren durch die Beweislastumkehr zu Lasten der Schutzsuchenden sowie die geplante Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte oder die Beendigung humanitärer Aufnahmeprogramme. „Der Koalitionsvertrag kappt zentrale lebensrettende Maßnahmen. Wer reguläre Wege versperrt, zwingt Menschen auf lebensgefährliche Fluchtrouten“, kritisiert Kopp. (dpa/mig) Leitartikel Politik
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