Lars Castellucci, Migration, Integration, SPD, Bundestag, Politik
Prof. Dr. Lars Castellucci ist migrations- und integrationspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

Beispiel Zypern

Flüchtlingspolitik national nicht machbar

Zypern zeigt: Migration lässt sich nicht durch nationale Maßnahmen steuern – nur internationale Zusammenarbeit bringt nachhaltige Lösungen.

Von Montag, 14.04.2025, 10:16 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 13.04.2025, 8:15 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Während in Deutschland eine Diskussion über Flucht und Asyl geführt wird, als ließen sich diese Themen durch nationale Maßnahmen wie Grenzkontrollen, Zurückweisungen und vermehrte Abschiebungen „lösen“, verdeutlicht ein Blick nach Zypern die Herausforderungen der europäischen Asylpolitik. Menschen erscheinen schließlich nicht einfach an nationalen Grenzen, sondern kommen von einem bestimmten Ort, legen oft lange, beschwerliche Routen zurück und haben meist triftige Gründe für ihre Flucht.

Auf ihren Wegen sind sie fast immer gezwungen, sich Schleppern und Schleusern anzuvertrauen. Eine „Lösung“ – oder besser gesagt, eine effizientere Steuerung und Ordnung im Sinne sowohl der Geflüchteten als auch der aufnehmenden Länder – wird es nur geben, wenn die gesamten Routen in den Blick genommen und entlang dieser Ketten international zusammengearbeitet wird.

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Die Fluchtbewegung der Jahre nach 2014 hat Zypern weitgehend unberührt gelassen. Die Hauptroute führte damals über die Türkei, und Zypern, kaum 100 km von der syrischen Küste entfernt, lag schlicht nicht im Fokus. Doch in den Jahren 2022 und 2023 ist Zypern das europäische Land mit den meisten Geflüchteten im Verhältnis zu seiner Bevölkerung geworden. Zwar sind dies in absoluten Zahlen vergleichsweise wenige (2022: 21.500; 2023: 11.600), doch genau dies zeigt, dass allein absolute Zahlen oft irreführend sind und nicht die ganze Dimension des Themas erfassen.

Eine traurige Besonderheit der Insel Zypern ist ihre Teilung. Sie ist durch eine von den Vereinten Nationen überwachte Pufferzone getrennt – die sogenannte „grüne Linie“. Diese Linie wird jedoch nicht als Grenze anerkannt, da die internationale Gemeinschaft die Teilung der Insel nicht legitimiert. Für den Süden verbieten sich daher Grenzbefestigungen. Die ersten Geflüchteten, die Zypern in die oberen Ränge der europäischen Aufnahmestatistik katapultierten, nutzten dies für den relativ leichten Übergang aus dem Norden. Mittlerweile ist dieser Zugang jedoch praktisch geschlossen. Im August 2024 befand sich nur noch eine mittlere zweistellige Zahl Geflüchteter in der Pufferzone, die von den Vereinten Nationen und Hilfsorganisationen notdürftig versorgt wird. Die Betroffenen können oder wollen nicht zurück und haben auch kaum eine Möglichkeit, in den Süden zu gelangen.

„Es ist ein offenes Geheimnis, dass es in diesem Zusammenhang auch zu Pushbacks an Land und auf See kommt, mit denen europäisches Recht verletzt wird.“

Nach der Corona-Pandemie stieg dagegen die Zahl der Anlandungen über das Mittelmeer nach Zypern an. Zudem nahm das Land im Verhältnis mehr Geflüchtete aus der Ukraine auf als beispielsweise Deutschland. Im Jahr 2022 schlug Zypern schließlich Alarm: Die Unterkünfte waren völlig überlastet, ebenso die Verwaltung. Im Rahmen freiwilliger Umsiedlungsprogramme erklärte sich unter anderem Deutschland bereit, bis zu 3.500 Geflüchtete aus Zypern aufzunehmen, darunter vorrangig besonders schutzbedürftige Personen. Im Jahr 2023 sanken die Zahlen der Neuankömmlinge um ein Drittel. Die Regierung setzte die Bearbeitung von Asylanträgen syrischer Geflüchteter aus. Trotz umfangreicher Unterstützung durch die europäische Asylbehörde blieben rund 21.500 Asylanträge unbearbeitet. Zur Jahresmitte 2024 waren die Anlandungen dann praktisch auf null zurückgegangen, und im August standen die Unterkünfte nahezu leer.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass es in diesem Zusammenhang auch zu Pushbacks an Land und auf See kommt, mit denen europäisches Recht verletzt wird. Eine neue Vereinbarung zwischen der EU-Kommission und dem Libanon sieht zudem Rückführungen und eine intensivere Kontrolle irregulärer Migration nach Zypern vor, was kurzfristig zu einer Verringerung der Flüchtlingszahlen aus dem Libanon führte. Dennoch bleibt die Situation angesichts der angespannten Lage im Nahen Osten fragil.

„Eine neue globale Allianz für den Flüchtlingsschutz könnte dem Global Compact on Refugees frischen Schwung verleihen.“

Vor diesem Hintergrund lassen sich einige wichtige Ansätze ableiten: Mit europäischer Unterstützung und im Rahmen der Vorbereitungen auf das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) erweitert Zypern derzeit seine Kapazitäten für die Erstaufnahme. Die zentrale Aufnahmeeinrichtung in Pournara wird von bisher 1.500 auf 3.000 Plätze aufgestockt, und die Abläufe im Aufnahmezentrum sollen optimiert werden, um eine verbesserte Erstversorgung sicherzustellen. Es geht dabei nicht nur um ein Dach über dem Kopf, sondern auch um Zugang zu Asylverfahren, Rechtsberatung, Unterstützung bei sozialen Fragen, Bildungsangebote für Kinder, Gesundheitschecks und geschützte Bereiche für besonders verletzliche Gruppen.

In einem nächsten Schritt sollte in Zypern ein gezielteres „Matching“ organisiert werden, damit Menschen mit Verbindungen zu bestimmten Ländern, Sprachkenntnissen oder spezifischen Talenten dorthin gelangen, wo die Bereitschaft zur Aufnahme hoch ist und Integration besser gelingen kann.

Denn natürlich soll es Geflüchteten ermöglicht werden, auch in Länder zu gelangen, in denen sie nicht zuerst ankommen – jedoch nach den Regeln dieser Länder und nicht nach denen von Schleusern. Dafür müssen wir mehr Partnerländer gewinnen. Eine neue globale Allianz für den Flüchtlingsschutz könnte dem Global Compact on Refugees frischen Schwung verleihen.

Aber auch Arbeitsmigration ist ein Thema. Bei vielen der Geflüchteten kommen Fluchtursachen und mangelnde wirtschaftliche Perspektiven zusammen. Für diese Gruppe sollte es daher vermehrt Angebote geben, ihre Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt einzubringen, anstatt ausschließlich auf das Asylsystem verweisen zu sein – auch wenn ihnen das Recht auf Asyl zusteht. Auch auf Zypern wächst die Erkenntnis, dass es auf Dauer ohne Arbeitskräfte von außen nicht gehen wird. Die Aussage „Wir wollen alle nach Deutschland“ muss daher auch dahingehend beantwortet werden, dass andere Länder attraktiver für Einwanderung werden.

„Migration kann gut und sinnvoll geregelt werden.“

Hier können Unternehmen eine entscheidende Rolle spielen, insbesondere jene, die dringend Arbeitskräfte benötigen. Warum nicht gemeinsam mit einem von Personalengpässen betroffenen Unternehmensverband ein Modellprojekt ins Leben rufen? In einem solchen Projekt könnten Spracherwerb, Nachqualifikation und Einreiseplanung gezielt zusammengeführt werden – ein Konzept, das sich gut auf Zypern umsetzen ließe. Gerade kleine und mittlere Unternehmen, die keine eigenen internationalen Rekrutierungsstrukturen haben, könnten davon stark profitieren.

Wer erst einmal die Erfahrung macht, willkommen zu sein, Perspektiven zu haben und sieht, dass die Kinder in die Schule gehen können, der neigt auch weniger zur sogenannten Sekundärmigration. Migration kann gut und sinnvoll geregelt werden. Trotz anders lautender Diskurse sind wir bereits mitten in diesem Prozess. (mig) Meinung

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  1. Niklas sagt:

    Lieber Herr Castellucci,
    danke für Ihren Beitrag. Bezeichnend, dass der Blick nach Zypern gerichtet wird, wenn gleichzeitig das Verhandlungsergebnis in Deutschland zwischen CDU und SPD aus migrationspolitischer Perspektive den Rechtsruck vollzieht und Abschottung und stereotype Narrative über „die Migranten“ bestärkt.
    Genau die Modellprojekte mit Unternehmensverbänden werden in Deutschland kaum noch möglich sein.
    Verweise auf Dublinzentren wie Eisenhüttenstadt und große Lager auf Zypern zeigen, dass bis heute die angemessene Unterbringung unter Berücksichtigung psychosozialer, kindgerechter Aspekte keine Rolle spielt. Die GEAS-Reform wurde mit Stimmen der SPD ohne die notwendigen Mindeststandards oder zumindest Beobachtung durch unabhängige Menschenrechtsorganisationen umgesetzt.
    Für mich ist da gerade auch in der SPD in den letzten Jahren viel auf der Strecke geblieben und wenig Trennschärfe zum rechten Rand übrig.