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MiGAZIN Kolumnist Sven Bensmann © privat, bearb. MiG

Nebenan

Gauland Deutschland

Es wird Zeit, dass Deutschland sich selbst eingesteht, ein Einwanderungsland zu sein und die Konsequenzen daraus zieht. Es muss die Idee des deutschen Volkes zu Gunsten des deutschen Staatsbürgers aufgeben. Dann können wir auch gern über eine Leitkultur reden. Von Sven Bensmann

Von Dienstag, 05.12.2017, 6:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 06.12.2017, 17:21 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Nachdem am Wochenende die AfD-Schläger in dunkelblauer Uniform in Hannover demonstrierende Unterschenkel gebrochen haben, während auf dem Parteitag selbst die letzten halbwegs gemäßigten Kräfte entmachtet wurden, und weil mit dem Verstreichen der Deadline für diesen Text noch immer nicht klar ist, ob das Impeachment-Verfahren im US-Congress schon eine Mehrheit erhalten hat oder nicht, reden wir doch über das Einwanderungsgesetz, das Deutschland durchaus brauchen könnte, das aber mit dem Scheitern von Jamaika erst einmal wieder von der Agenda gestrichen ist.

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Denn wie, wenn nicht durch ein geregeltes Aufnahmeverfahren für Migranten sollen Menschen denn in Deutschland ankommen? Ein Einwanderungsgesetz, das Menschen eine klare Perspektive bietet, und nicht nur Menschen auf Halde parkt, wäre da ein Fortschritt zum aktuellen Dauervegetieren. Praktisch ohne die Chance, deutsch zu lernen, eine Arbeit oder Ausbildung aufzunehmen oder das Land überhaupt kennen zu lernen, bis nicht die langsam mahlenden Mühlen deutscher Ämter und Gerichte nach Jahren über ein Bleiberecht entschieden haben, lagern wir Menschen derzeit fast wie Waren. Und auch das ist klar: Wer neu in ein Land kommt, hat noch keine Netzwerke, in denen er oder sie sich einrichten könnte. Das schafft viele Möglichkeiten für eine gelungene Integration. Wer von diesen ausgeschlossen wird, muss sich unter jenen Menschen, die ebenso ausgeschlossen sind, einrichten und wird es schon dadurch womöglich für immer bleiben.

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Das einzige, was einem Einwanderungsgesetz heute noch widerspricht, ist die völkische Prägung der Idee einer deutschen Nation, die tief durch die Adern der CDU/CSU und ihrer nationalistischeren Vettern von der AfD fließt und nach der niemand deutsch sein kann, der nicht deutsche Vorfahren hat, die schon für Kaiser und Führer in den Krieg gezogen sind, in der das gerede einer deutschen Leitkultur nur Ablenkung von der „Blut und Boden“-Ideologie ist, und in der Deutsche immer Deutsche bleiben, egal, wie viele Generationen sie schon im Ausland leben, und daher natürlich ein Bleiberecht behalten. Denn eines ist diesen Leuten klar: Aus einem ordentlichen Deutschen wird doch kein slavischer Untermensch, nur weil seine Ahnen seit über 200 Jahren in Russland leben. Dass man andersherum nie ein anderes Land erlebt hat, als Deutschland, macht einen noch lange nicht zum Deutschen – eine Form von völkischem Nationalismus, die man sonst in Polen oder Ungarn findet, die den Nationen der westlichen Welt aber fremd ist.

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Dabei sind gerade eine Perspektive und eine vernünftig organisierte Integration die besten Mittel, der AfD das Wasser abzugraben: Niemand ist kriminell per se, auch die paar von den Rechten durchs Dorf getriebenen kriminellen Ausländer nicht; ebensowenig wie jeder Ostdeutsche dumm, faul und gewalttätig per se ist – es sind immer die Umstände, die den Menschen zu dem machen, was er ist: Das Sein bestimmt das Denken, nicht andersherum, da können sich die rechten pseudointellektuellen des Deutschen Idealismus auf den Kopf stellen und mit den Beinen wedeln.

Und so, wie die Perspektivlosigkeit ostdeutscher Hauptschulabbrecher diese in die AfD treibt, weil sie befürchten, dass ungelernte, kaum deutsch sprechende Afrikaner eine zu große Konkurrenz auf dem deutschen Arbeitsmarkt sind, treibt auch die Perspektivlosigkeit von Migranten, die nicht arbeiten und nicht deutsch lernen dürfen, deren Frustration an. Immerhin können sich die Nazis inzwischen nicht mehr beschweren, die Migranten würden billiger arbeiten: Dafür gilt schließlich der Mindestlohn – es muss also doch an der Kompetenz liegen.

Es wird daher Zeit, dass Deutschland sich selbst eingesteht, ein Einwanderungsland zu sein und die Konsequenzen daraus zieht. Es muss die Idee des deutschen Volkes zu Gunsten des deutschen Staatsbürgers aufgeben und die Voraussetzungen für eine legale Immigration schaffen. Dann können wir auch gern über eine Leitkultur reden – solange am Ende niemand von Dirndl und Lederhose, Karneval, Schützenfest oder Volksmusik redet. Was den Deutschen zum Deutschen macht, sind nicht Reinlichkeit, Fleiß oder Ordnung – was ihn zum Deutschen macht, wusste schon Friedrich Nietzsche vor 140 Jahren: es ist, dass bei ihm die Frage, was deutsch sei, niemals ausstirbt.

Letzteres ist zudem eine Form von Kultur, die in sich potenziell so progressiv ist, dass diese ewige Verhandlung der deutschen Kultur nicht nur bereits gelebte Realität vieler ist, sondern auch hervorragend als Leitkultur taugt, ohne dass die Gefahr bestünde, fragwürdigem Brauchtum oder psychopathischen Reinlichkeitsfimmeln Verfassungsrang zu geben. Aktuell Meinung

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