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Große Koalition

Einigung bei Obergrenze, Familiennachzug bei Flüchtlingen und Fachkräfteeinwanderung

Spitzen von Union und SPD haben sich auf eine sogenannte Obergrenze, Begrenzung des Familiennachzugs bei Flüchtlingen und auf ein Gesetz zur Steuerung der Fachkräfteeinwanderung geeinigt. Zuvor muss aber der SPD-Parteitag zustimmen. Türkische Gemeinde kritisiert Sondierungspapier scharf.

Montag, 15.01.2018, 6:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 18.01.2018, 15:00 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Die Spitzen von Union und SPD haben sich auf Eckpunkte einer möglichen neuen großen Koalition geeinigt. Das Sondierungspapier, das die Parteivorsitzenden Angela Merkel (CDU), Martin Schulz (SPD) und Horst Seehofer (CSU) am Freitagvormittag in Berlin nach fast 24-stündigen Verhandlungen vorstellten, enthält bereits detaillierte Kompromisse unter anderem zu den bisher strittigen Themen Flüchtlingspolitik, Gesundheit und Finanzen. Die drei Parteichefs sprachen für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen aus. Bei der SPD muss darüber ein Sonderparteitag am 21. Januar in Bonn entscheiden.

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Merkel betonte, das Sondierungsergebnis sei ein „Papier des Gebens und des Nehmens“. Seehofer zeigte sich „hochzufrieden“ und sprach von einem politischen „Aufbruch“. Schulz sagte, es gehe um Erneuerung und Zusammenhalt in Deutschland.

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Aus dem Sondierungspapier: „Grundrecht auf Asyl nicht antasten: Wir bekennen uns strikt zum Recht auf Asyl und zum Grundwertekatalog im Grundgesetz, zur Genfer Flüchtlingskonvention, zu den aus dem Recht der EU resultierenden Verpflichtungen zur Bearbeitung jedes Asylantrags sowie zur UN-Kinderrechtskonvention.“

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Maximal 1.000 Familienangehörige pro Monat

Das Papier enthält Forderungen der Union, darunter eine Begrenzung der Flüchtlingszuwanderung auf 180.000 bis 220.000 Menschen pro Jahr. Beim bis zuletzt strittigen Thema Familiennachzug bei Flüchtlingen mit eingeschränktem Schutz soll es eine Neuregelung geben. Demnach soll es einen „geordneten“ und „gestaffelten“ Familiennachzug „nur aus humanitären Gründen“ geben, in dessen Rahmen pro Monat maximal 1.000 Angehörige kommen könnten. Im Gegenzug sollen die 1.000 freiwilligen Aufnahmen pro Monat von Migranten aus Griechenland und Italien wegfallen.

Union und SPD einigten sich zudem auf ein „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“, das den Zuzug qualifizierter Arbeitskräfte nach Deutschland „ordnen und steuern“ soll. Der Solidaritätszuschlag soll der Einigung zufolge schrittweise abgeschafft werden. Ein erster Schritt in dieser Wahlperiode soll dazu führen, dass 90 Prozent der Steuerpflichtigen den Soli nicht mehr zahlen müssten.

Zusätzliche Ausgaben von 45 Milliarden Euro

In der Familienpolitik sind mehr Hilfen für Geringverdiener, ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in Grundschulen vorgesehen und eine Kindergelderhöhung um 25 Euro in zwei Schritten. Der Anstieg der Mieten soll gebremst und der Wohnungsbau weiter gefördert werden. Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung soll auf 2,7 Prozent sinken.

Insgesamt belaufen sich die Vorhaben auf zusätzliche Ausgaben in Höhe von 45 Milliarden Euro in vier Jahren. Der größte Teil davon entfällt auf die Bereiche Verkehr und Infrastruktur, worunter auch das Feld Digitalisierung fällt, Familie und Soziales sowie die finanzielle Entlastung der Bürger.

Steinmeier hofft auf baldige Regierungsbildung

Die Partei- und Fraktionschefs sowie die Sondierungsteams aller drei Parteien hatten die ganze Nacht zum Freitag im Willy-Brandt-Haus, der SPD-Parteizentrale, verhandelt. Teilnehmer schilderten die Gespräche als schwierig. Merkel und Schulz bezeichneten sie als „intensiv“. Der SPD-Chef sprach zudem von einem „konstruktiven“ und „sehr fairen Geist“. Seehofer äußerte die Hoffnung, eine Regierungsbildung „vor Ostern“ hinzubekommen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte dem Nachrichtenmagazin Focus, er hoffe auf eine baldige Regierungsbildung. Eine Minderheitenregierung oder Neuwahlen seien die Ultima Ratio. Die Demokratie lebe von kompromissbereiten und zur Zusammenarbeit fähigen Parteien.

Kritik aus den SPD-Reihen

Die Kommunen sehen sich durch die Sondierungsergebnisse gestärkt. Der Deutsche Städtetag begrüßte die geplanten Investitionen in die kommunale Infrastruktur. Die Opposition äußerte sich kritisch. Die Grünen-Parteichefin Simone Peter warf der SPD vor, sie trage „eine radikale Abkehr von der humanen Flüchtlingspolitik des letzten Jahrzehnts“ mit. Die Fraktionschefin der Linke, Sarah Wagenknecht, rief die SPD-Parteibasis auf, eine neue große Koalition zu verhindern.

Kritik erntete das Sondierungspapier auch innerhalb der SPD. Aziz Bozkurt, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt in der SPD, wirft den Unionsparteien vor, bei den Themen Migration und Integration sich von der Angst treiben zu lassen. „Mit den beiden Obergrenzen, zum einen für die Zuwanderung und zum anderen für den Familiennachzug, wurden im Sondierungspapier rote Linien überschritten. Diese willkürlich festgeschriebenen Zahlen sind aus Sicht einer progressiven Integrations- und Migrationspolitik nicht annehmbar“, so Bozkurt abschließend. Unter solchen Voraussetzungen sehe die Arbeitsgemeinschaft Migration keine Grundlage für eine Zusammenarbeit mit der Union.

TGD enttäuscht über Integrationspolitik

Enttäuscht vom Ergebnis der Sondierungsgespräche zeigt sich auch die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD). „Der Fokus der Sondierungsparteien liegt im Themenbereich Migration und Integration einzig auf den Geflüchteten und auf der Begrenzung von Migration. Es läuft ein Wettbieten, wer weniger Menschen in unser Land lässt“, erklärt der TGD-Vorsitzende Gökay Sofuoğlu. Mit einer zukunftsgewandten Integrationspolitik habe das nichts zu tun.

Sofuoğlu weiter: „Keine Vorschläge für eine nachhaltige Antidiskriminierungspolitik, kein Wort über Rassismus, den NSU Komplex oder die in vielen Gesellschaftsbereichen notwendige interkulturelle Öffnung. Mit Blick auf die Gestaltung der Vielfalt in unserem Land sind diese Ergebnisse ein Armutszeugnis. Sie zeigen wie weit wir entfernt sind von einem modernen vielfaltsbewussten Gesellschaftsverständnis. Sie zeigen außerdem, wie wenig Menschen mit Einwanderungsbiografie – immerhin jeder und jede 5. – aktuell die politische Agenda mitbestimmen.“

Sachverständigenrat begrüßt Fachkräftegesetz

Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) sieht in dem GroKo-Plan im Bereich des Migrationsrechts einen Neuanfang. „Gerade im Bereich der Erwerbsmigration bestehen zwar schon derzeit viele gute Regelungen, es ist aber unübersichtlich und zum Teil ergänzungsbedürftig“, erklärt der SVR-Vorsitzende Prof. Dr. Thomas K. Bauer. Welche Reformen bei der Fachkräftezuwanderung angegangen werden sollen, ist aus dem Sondierungspapier allerdings noch nicht ersichtlich. Handlungsbedarf sieht der SVR-Vorsitzende „insbesondere für beruflich qualifizierte Fachkräfte ohne akademischen Abschluss“. Hier zeichne sich ein besonderer Bedarf der Wirtschaft ab. (epd/mig) Leitartikel Politik

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  1. panther sagt:

    Die Vereinbarungen von CDU/CSU und SPD zeigen für mich, daß sie Zuwanderung/Migration und Flüchtlinge/Asyl vermischen, wahrscheinlich bewußt: Die geplante Zuwanderung von „gut ausgebildeten Fachkräften“ erlaubt ein freundlicheres Bild, das konterkariert wird durch ein herzloses, erschreckend menschenfeindliches Vorgehen gegen Geflüchtete, was noch mehr Tote an den EU-Außengrenzen, vor allem im Mittelmeer zur Folge haben wird. Das Grundrecht auf Asyl wird durch die Internierungslager vollends geschreddert. Mit dem Import von Fachkräften aus den Krisengebieten des Nahen und Mittleren Ostens entzieht man diesen Ländern das Humankapital, das sie selbst zum Wiederaufbau ihrer auch von „unserem“ Militär zerstörten Länder dringend brauchen.
    Gegen diese Politik ist Widerstand auf breiter Front vonnöten.