Expertin Schwarz-Friesel
Bei Antisemitismusbekämpfung ist Deutschland „scheinheilig“
Antisemitismus-Forscherin Monika Schwarz-Friesel wirft Deutschland Scheinheiligkeit im Kampf gegen Antisemitismus vor. Die Justiz beispielsweise versage regelmäßig bei antisemitischen Straftaten. Von Elisa Makowski
Von Elisa Makowski Donnerstag, 25.01.2018, 6:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 30.01.2018, 17:19 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Frau Schwarz-Friesel, gerade ist das Thema Antisemitismus wieder verstärkt in der politischen Diskussion. Ist das nicht positiv, weil es ein Problembewusstsein schärft?
Monika Schwarz-Friesel: Die aktuelle Diskussion über die Definition von Antisemitismus ist leider oft unseriös und unproduktiv, da viele Laien mit subjektiven Meinungen die Debatte prägen. Charakteristisch ist zum Beispiel, dass linker Antisemitismus geleugnet und muslimischer Antisemitismus bagatellisiert wird.
„Charakteristisch ist zum Beispiel, dass linker Antisemitismus geleugnet und muslimischer Antisemitismus bagatellisiert wird.“
„Charakteristisch ist zum Beispiel, dass linker Antisemitismus geleugnet und muslimischer Antisemitismus bagatellisiert wird.“
Oftmals wird auch der Antisemitismus als Fremdenfeindlichkeit definiert, dabei ist Judenfeindschaft kein Vorurteilssystem, sondern ein kulturell verankertes Glaubenssystem: Antisemiten haben ein geschlossenes Weltbild, sie glauben, dass Juden das Übel der Welt sind. Mit Aufklärung ist dem nicht beizukommen. Auch gebildete Antisemiten sind faktenresistent. Ihr judenfeindliches Gefühl bestimmt ihr Denken.
Antisemitische Stereotype haben keinerlei Bezug zur Realität: Im Mittelalter sollen die Juden die Brunnen vergiftet haben, im 19. Jahrhundert galten sie als Vertreter einer minderwertigen Rasse und heute steht Israel im Fokus von Antisemiten. Der Antisemitismus ist als kulturhistorisches Phänomen einzigartig, mit nichts zu vergleichen und er ist in nahezu jedem Milieu zu finden. Dazu müssen wir nicht in die Schmuddelecke gehen.
Politiker und der Zentralrat der Juden haben zuletzt Pflichtbesuche in ehemaligen KZs von Schülern und Flüchtlingen gefordert. Wenn, wie Sie sagen, bei Antisemitismus selbst Bildung versagt, was bringt dann ein solches Programm?
Ein Besuch kann positiv sein, weil wir Menschen aus anderen Kulturkreisen zeigen können, was es gerade für Deutschland bedeutet, mit Antisemitismus umzugehen. Aber solche Besuche brauchen Fingerspitzengefühl und gute Vorbereitung. Wenn dort wieder nur wiederholt wird, dass alle Menschen Opfer von Vorurteilen werden können und nicht auf die Einzigartigkeit des Antisemitismus eingegangen wird, bin ich skeptisch, was diese Besuche bringen sollen.
Zuletzt hat sich der Bundestag für einen Antisemitismusbeauftragten ausgesprochen. Welche Erwartungen haben Sie an diese Position?
„Ich erlebe in Deutschland eine Scheinheiligkeit, wenn es um Antisemitismus geht, die frappierend ist.“
„Ich erlebe in Deutschland eine Scheinheiligkeit, wenn es um Antisemitismus geht, die frappierend ist.“
Grundsätzlich unterstütze ich den Vorschlag – wenn es keine Pappfigur wird. Ich erlebe in Deutschland eine Scheinheiligkeit, wenn es um Antisemitismus geht, die frappierend ist.
Turnusmäßig wird betont: Wehret den Anfängen! Doch gleichzeitig beobachte ich unter anderem ein regelmäßiges Versagen der Justiz, wenn es um antisemitische Straftaten geht. Wenn ein Anschlag mit Molotow-Cocktails auf eine Synagoge, wie 2014 in Wuppertal, nicht als Volksverhetzung sanktioniert wird, weil die Angeklagten angeben, ein Zeichen gegen Israel setzen wollten, ist das skandalös. Noch klarer kann sich Antisemitismus nicht äußern.
Wir brauchen eine grundlegende Wende im Umgang mit Judenfeindschaft: in der Politik, der Justiz und in der Zivilgesellschaft. (epd/mig) Leitartikel Politik
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Kritische Einlassungen zur Forderung nach einem „Antisemitismusbeauftragten‘:
https://www.jungewelt.de/artikel/325863.es-deutet-sich-ein-ressentiment-an.html
http://www.rationalgalerie.de/home/unter-falscher-flagge.html
http://der-semit.de/das-zeitalter-der-neuen-inquisition/
Schwarz-Friesel sagt: „Antisemitische Stereotype haben keinerlei Bezug zur Realität: Im Mittelalter sollen die Juden die Brunnen vergiftet haben, im 19. Jahrhundert galten sie als Vertreter einer minderwertigen Rasse und heute steht Israel im Fokus von Antisemiten.“
Der „jüdische Brunnenvergifter“ ist ein ganz gutes Beispiel für ein antisemitisches Stereotyp ohne Bezug zur Realitit.
Die Aussage „Israel im Fokus“ ist dagegen interessant. Richtig ist, dass Antisemiten „Israel im Fokus“ haben. Allerdings kann man Israel auch aus ganz anderen Gründen im Fokus haben. Zum Beispiel, wer für das Menschenrecht und Völkerrecht einsteht und deswegen die deutsche Staatsräson des Blanko-Schecks ablehnt, hat zwangsläufig „Israel im Fokus“. Ein Bezug zur Realität ist vorhanden und welche antisemitische Stereotype hier bedient wird ist unklar.
Wie unverschämt die Aussage von Schwarz-Friesel ist, wird bei der folgenden Analogie deutlich: Die oben verlinkte Antisemitismus-Definition lässt sich problemlos zu einer gleichlautenden Islamophobie-Definition übertragen, wenn man das Wort „Juden“ durch „Muslime“ ersetzt. Nun stelle man sich vor, eine Person sagt: Antimuslimische Stereotype haben keinerlei Bezug zur Realität […] heute steht Saudi-Arabien im Fokus von Antimuslimen.
Es gibt viele Gründe, die gegen den islamistischen aller muslimischen Staaten sprechen, z.B. der völkerrechtswidrige Krieg, den die Saudis in Yemen führen. Auch Saudi-Arabien wird von der westlichen Koalition inklusive Deutschland unterstützt. Es versteht sich von selbst, dass wir Saudi-Arabien im Fokus haben. Das in Verbindung mit einer antimuslimischen Gesinnung zu bringen, ist nicht mehr als ein dreister Versuch Kritik an Saudi-Arabien zu unterbinden.
Ebenso sehe ich die Aussage von Schwarz-Friesel als typischen Mechanismus, eine offene Debatte über die völkerrechtswidrigen Verbrechen Israels abzuwürgen.