Nicht rassistisch, sondern hilflos
Ausländerstopp bei der Essener Tafel Folge von Systemversagen
Ehrenamtliche der Essener Tafel fühlen sich von der Politik alleingelassen. Wissenschaftler Stefan Selke sieht die gemeinnützigen Organisationen am Rande ihrer Belastbarkeit. Trotz massiver Kritik bleibt die Essener Tafel bei ihrem vorläufigen Aufnahmestopp für Ausländer als Neukunden.
Von Claudia Rometsch Mittwoch, 28.02.2018, 6:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 05.03.2018, 15:05 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
„Das haben wir nicht verdient.“ Der ehrenamtliche Mitarbeiter der Essener Tafel ist empört. Seit Tagen prasselt auf die 120 Helfer scharfe Kritik für den Beschluss ein, die Aufnahme von Ausländern als neue Kunden auszusetzen. Einige Ehrenamtliche kämen nun aus Angst nicht mehr, nachdem in der Nacht zum Sonntag mehrere Fahrzeuge der Tafel mit Nazi-Beschimpfungen beschmiert worden waren, sagt der Mann, der namentlich nicht genannt werden möchte. Dabei habe man nur mehr Gerechtigkeit bei der Verteilung der Lebensmittel schaffen wollen.
Die Essener Tafel stand offenbar bereits seit einiger Zeit unter Druck. Seit 2015 war der Anteil der Migranten unter den 6.000 Kunden von 35 auf 75 Prozent gestiegen. Und während die Nachfrage durch den Zuzug von Flüchtlingen anschwoll, nahm die Menge der gespendeten Lebensmittel ab. Zwei Logistikzentren großer Lebensmittelhändler seien geschlossen worden, erklärt der Tafel-Mitarbeiter. „Das fehlt uns nun einfach.“ Dass nun Politiker auf Ehrenamtliche schimpfen, die versuchen, einen immer kleiner werdenden Kuchen an mehr Menschen zu verteilen, empfinden die Essener Tafel-Mitarbeiter als „bodenlose Unverschämtheit“. „Die kümmern sich ja sonst auch einen Dreck um uns.“
Immer weniger Lebensmittel-Spenden
Tatsächlich müssen auch andernorts Tafeln mit weniger Lebensmittelspenden bei hoher Nachfrage zurechtkommen. Der Grund: Die Logistik der Lebensmittelhändler werde immer besser, sagt der Leiter der Hamburger Tafel, Christian Tack. „Daher gibt es immer weniger überschüssige Ware.“ Teilweise hätten deshalb einige der 26 Hamburger Ausgabestellen auch schon einmal vorübergehende Aufnahmestopps verhängen müssen. Die galten jedoch dann für alle Gruppen.
Auch in Essens Nachbarstadt Oberhausen, wo 60 Prozent der Tafel-Kunden Migranten sind, gibt es keinerlei Schwierigkeiten bei der Ausgabe. Während die Kunden in Essen ihre Waren in einem bestimmten Zeitfenster abholen dürfen, arbeiten die Oberhausener – so wie die meisten Tafeln – mit Nummern. Die ziehen die Kunden bei ihrem Eintreffen und erhalten später vorbereitete Lebensmittelpakete. „Das läuft hier ganz diszipliniert ab“, sagt Tafel-Leiter Josef Stemper.
Verteilung nach Pass keine gute Lösung
Der Vorsitzende des Dachverbandes der Tafeln, Jochen Brühl, räumt ein, dass die Essener Tafel keine gute Lösung für ihre Verteilprobleme gefunden habe. Heuchlerisch seien allerdings die empörten Reaktionen von Politikern wie Bundessozialministerin Katarina Barley (SPD), deren Ministerium die Schirmherrschaft über die Tafeln hat, sagt er. Denn schließlich sei es Aufgabe von Politik und Gesellschaft, Flüchtlinge und andere Bedürftige ausreichend zu versorgen. Stattdessen verwiesen offizielle Stellen Migranten aber oftmals gezielt an die die privat und ehrenamtlich geführten Tafeln. Die Mitarbeiter seien mit dem Ansturm teilweise überfordert. „Das ist kein Rassismus, das ist Hilflosigkeit,“ sagt Brühl.
Die Ereignisse in Essen machten deutlich, dass die Tafeln „am Punkt ihrer Belastungsgrenze“ angekommen seien, sagt der Armutsforscher und Tafel-Kritiker Stefan Selke. Obwohl derzeit noch viele Tafeln besser mit den Problemen zurechtkommen, glaube er nicht an eine Ausnahmesituation. „Essen ist vielleicht der erste Fall, wird aber kein Einzelfall bleiben“, sagt Selke. „Essen ist der Indikator für das Systemversagen der Tafeln.“ Die Überforderung werde weitere irrationale Lösungsversuche ähnlich wie in Essen hervorrufen. Die Tafeln erlebten nun den „Bumerang-Effekt ihrer eigenen Expansion“.
Tafel wurde zum staatlichen Ersatz
Das Problem liegt aus Selkes Sicht darin, dass die Tafeln ihr Angebot immer weiter ausgebaut und sich damit vielerorts zum Äquivalent einer sozialstaatlichen Dienstleistung entwickelt haben. Oftmals würden die Tafeln als Vollversorger wahrgenommen. „Dann ist es kein Wunder, dass sie überrannt werden.“ Die Tafel-Idee müsse wieder zu ihren Ursprüngen zurückkehren, nämlich Überflüssiges zu verteilen, fordert Selke. Stattdessen versuchten die Tafeln vielfach, Fehlendes zu ersetzen, was darin gipfele, dass sogar vereinzelt aus Spenden Lebensmittel zugekauft würden.
Wer über der ganzen Debatte vergessen werde, seien die Menschen, die oft mit großer Scham aus Not auf das Angebot der Tafeln angewiesen seien, kritisiert Brühl. In einem Punkt ist er mit Selke einig: „Diese Menschen werden zu wenig gehört.“ Eigentlich müsse es darum gehen, Perspektiven zu entwickeln, die die Tafeln überflüssig machten. In Essen fühlen sich die Tafel-Helfer im Stich gelassen und überfordert. „Wir können kein Korrektiv für eine verfehlte Sozialpolitik sein,“ schimpft der ehrenamtliche Mitarbeiter.
Weiter Aufnahmestopp für Ausländer
Am Dienstag, teilte der bundesweite Dachverband der Tafeln nach einer Sitzung in Essen mit, dass die Essener Tafel trotz teilweise massiver Kritik vorerst an ihrem Aufnahmestopp für Ausländer als Neukunden festhält. Ein Runder Tisch soll nach Lösungen für die Probleme bei der Lebensmittelausgabe suchen. Unter der Moderation des Essener Sozialdezernenten Peter Renzel sollen in dem Gremium neben Vertretern der Tafel auch die örtlichen Wohlfahrtsverbände und Migrantenvereine sitzen. Der Runde Tisch werde sich in den kommenden zwei Wochen konstituieren.
Der verabredete Runde Tisch soll nach Angaben des Dachverbandes und weiterer Beteiligter Lösungsansätze erarbeiten, „damit die Essener Tafel ihre Zielgruppen bestmöglich erreicht“. Dabei sollten im Fokus der Essener Tafel „ganz besonders Alleinerziehende, Familien mit minderjährigen Kindern und Seniorinnen und Senioren stehen“. An dem Treffen nahmen Vertreter der Essener Tafel, des Landes- sowie Bundesverbandes der Tafeln und der Stadt Essen teil. (epd/mig) Leitartikel Politik
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RASSISMUS UND SOLIDARITÄT, eine Begriffsklärung.
Der Begriff „Rassismus“ dient ganz sicher keiner objektiven Kennzeichnung einer gesellschaftlichen oder politischen Haltung, zu der sich Menschen in irgendeinem Sinne auch bewußt bekennen würden. Es handelt sich vielmehr um einen Kampfbegriff, mit dem Gegner verächtlich gemacht werden sollen. Das ist „Hetzen“ im fast biologischen Sinne, siehe z.B. das Hetzen der Enten. Am deutlichsten wird dies, wenn man der Frage nachgeht, wie man denn im Rahmen eines seriösen Begriffsapparats dem Vorwurf, „Rassist“ zu sein, argumentativ entgegentreten könnte. Das geht gar nicht, denn es handelt sich, wie gesagt, eben nicht um einen seriösen Begriff, der sich in unsere sonstige Begriffswelt widerspruchsfrei einfügen ließe. – Die Antwort, man SEI gar kein „Rassist“, ist deswegen das denkbar dümmste „Gegenargument“, denn dadurch unterstellt man dem Begriff eine klare Bedeutung, die ihm in Wirklichkeit nicht zukommt.
Wollte man diesen Begriff tatsächlich seriös definieren, müßte man sich an der, jede funktionierende menschliche Gemeinschaft – und damit insbesondere jede Familie, Kultur, Zivilisation oder staatliche Gemeinschaft – kennzeichnenden Solidarität derer, die „dazugehören“, orientieren. Wenn man das im Zusammenhang mit der Essener Tafel (oder jeder anderen Tafel) versuchen würde, wird man feststellen, daß man auf diese Weise zu einer sehr stimmigen und auch sinnvollen Definition gelangen könnte, und zwar in zwei Hinsichten, nämlich mit Blick auf die Helfer UND die Geholfenen. Erstere haben das Gefühl (oder auch die Gewißheit), UNSERER Gesellschaft und deren Mitangehörigen, mit denen sie eine konkrete Gemeinschaft erleben, sinnvolle Hilfe leisten zu können. Letztere fühlen, daß sie diese Hilfe nicht als Almosen empfangen, sondern in ihrer Eigenschaft als hineingeborene oder hineingewachsene Mitglieder einer Solidar- und Schicksalsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit. Sie wissen auch i.d.R., daß sie dieser Gemeinschaft ihrerseits so viel gegeben haben, daß sie die Hilfe mit einem sehr guten und selbstbewußten – natürlich trotzdem auch dankbaren – Gefühl entgegennehmen können. Das ist im Grunde ähnlich wie bei den staatlichen Sozialversicherungen, die bekanntlich ebenfalls auf dem Prinzip der Solidargemeinschaft beruhen.
Sie verwenden in Ihrem Artikel den Begriff „Systemversagen“. Fällt Ihnen nicht auf, daß es weniger das „System“ der Solidarität als vielmehr das Gegenmodell der systematischen Nichtsolidarität ist, das versagt, versagen MUSS?
Übrigens können Einwanderer sehr wohl zur deutschen Solidargemeinschaft gehören, aber vor allem solche, die sich in JEDER Hinsicht – kulturell, sozial, national – dazu BEKENNEN. Früher sprach man von „naturalisierten“ Deutschen, m.E. ein sehr guter Ausdruck, der deutlich macht, daß es sich um Menschen handelt, die durch ihren Werdegang, ihren Schicksalsweg und in vielen Fällen auch ihre Abstammung in die deutsche Gesellschaft hineingewachsen sind und sich sowohl durch Leistung als auch durch Bekenntnis dieser zugehörig fühlen und infolge dessen auch als Deutsche angesehen werden, de facto nicht weniger als die „natürlichen“ Deutschen; daher eben das Attribut „naturalisiert“.
Fremde, die bewußt auf Distanz zum Deutschen Volk gehen oder diesem sogar den Untergang wünschen oder unverhohlen frohlocken, wenn davon die Rede ist, können m.E. NICHT zur deutschen Solidargemeinschaft gehören. Ich muß ganz offen sagen, daß sich alles in mir dagegen sträubt, sowohl seelisch, gefühlsmäßig als auch geistig, logisch. – Sie wissen auch genau, weswegen ich das schreibe, denn nach Beispielen muß man ja wahrlich nicht lange suchen!
Flüchtlinge, die vor Völkermord oder Naturkatastrophen fliehen und Asylanten, die vor menschenrechtswidriger persönlicher Verfolgung Schutz suchen, gehören ebenfalls, aber aus anderen Gründen, NICHT zur Solidargemeinschaft des Aufnahmelandes. Das Gegenteil vorgeben zu wollen, würde ad absurdum führen, besonders in Zeiten massenhafter „Flucht“-Erscheinungen, auch aus Nichtkriegsgebieten, Migrationsbewegungen, die eher an frühere Völkerwanderungen als an unmittelbare Folgen von Krieg und Verfolgung erinnern. Den wirklich Schutzsuchenden muß vielmehr durch Leistungen des deutschen Staates, d.h. letztlich der deutschen Steuerzahler, und zwar AUSSERHALB DER INNERGESELLSCHAFTLICHEN GEGENSEITIGEN SOLIDARGEMEINSCHAFT, Hilfe gewährt werden.
Hier muß allerdings zuvor eine sehr gründliche Unterscheidung zwischen wirklichen Schutzsuchenden und „Migranten“ vorgenommen werden und bei letzteren zwischen solchen, die dem Land guttun, u.a. weil sie sich voraussichtlich „naturalisieren“ lassen (bzw. WOLLEN), und solchen, bei denen dies aller Voraussicht nach NICHT der Fall sein dürfte. Menschen, die sich in Betrugsabsicht falsch ausweisen und/oder dem Aufnahmeland mit Verachtung oder einer anmaßenden Anspruchshaltung gegenübertreten, dürften in aller Regel zur letzten Kategorie gehören.
Daß Menschen, die aus Gründen der Mitmenschlichkeit bzw. der prinzipiellen Wahrung allgemeiner Menschenrechte aufgenommen und betreut werden, i.d.R. nicht in den innerdeutschen solidargesellschaftlichen Kreislauf integriert werden können, ist schon sehr naheliegenden, rein praktischen Gründen geschuldet. Aber natürlich auch prinzipiellen Gründen! Denn es würde dem grundlegenden Charakter dieses Kreislaufs in rein systemtheoretischer, hier sozialtechnischer Hinsicht widersprechen, und zwar mit der Folge, daß weder dieser Kreislauf noch die humanitäre Hilfe lange Bestand haben könnte, besonders in Zeiten globaler Massenwanderungen.