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Kino

Drama der Ungewissheit

Die Verfilmung des "Transit"-Romans verlegt die Geschichte der Flucht eines Mannes vor den Nazis ins zeitgenössische Europa. In Marseille warten Migranten auf ihre Papiere - ein geisterhaftes Leben zwischen Gestern und Heute, Heimat und Ferne. Kinostart: 5. April 2018. Von Gerhard Midding

Donnerstag, 05.04.2018, 6:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 08.04.2018, 21:17 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Es ist erstaunlich, wie viele Möglichkeiten dem Helden in Christian Petzolds „Transit“ noch offenstehen. Georgs Glück mutet, verglichen mit dem Los der anderen Flüchtlinge in einem von „Faschisten“ überrannten Europa, geradezu obszön an. Er könnte sich nach Mexiko einschiffen, die Papiere dazu hat er. Auf dieser Passage könnte er vielleicht die Liebe von Marie erringen. Auch die Fluchtroute über die Pyrenäen ist noch frei; Georg könnte sie nehmen in Begleitung des kleinen Driss, der es gern sähe, wenn er ihm den toten Vater ersetzte.

Aber es ist kein echtes Glück, das Georg (Franz Rogowski) widerfährt. Er hat keinen Grund, ihm zu trauen, denn er hat es gestohlen. Das Entkommen in ein besseres Leben ist nie eine wirkliche Option für Christian Petzolds Figuren: Schon die Heldinnen seiner vorangegangenen Filme, „Barbara“ und „Phoenix“, schlugen sie aus. Der Fluchtinstinkt ist nicht stärker als der, zu bleiben. Georgs Leben findet in einer Zwischenzeit statt, in welche der Film ihn anfangs wirft und aus der er ihn nicht mehr entlässt.

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Info: Regie: Christian Petzold. Buch: Christian Petzold (nach dem Roman von Anna Seghers). Mit: Franz Rogowski, Paula Beer, Godehard Giese, Lilien Batman, Barbara Auer, Matthias Brandt. Länge: 102 Minuten. FSK: ab 12 Jahre. FBW: besonders wertvoll.

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Er schlittert in seine eigene Geschichte hinein. Georg soll dem Schriftsteller Weidel einen Brief überbringen. Aber der Empfänger hat seinem Leben selbst ein Ende gesetzt, Georg findet im Hotelzimmer neben der Leiche nur noch sein letztes Manuskript und die Reisedokumente nach Mexiko vor. Georg flieht vor den Faschisten, die Paris bereits besetzt haben, nach Marseille. Als man ihn im mexikanischen Konsulat für den Toten hält, räumt er das Missverständnis nicht aus. Während er auf die Schiffspassage wartet, sucht er die Witwe und den Sohn eines anderen Kameraden auf. Und er begegnet einer Unbekannten, die ihn mit jemand anderem verwechselt.

Petzold lässt dieses Drama der Ungewissheit zwischen zwei Epochen schillern: der Gegenwart und dem Zweiten Weltkrieg, der Zeit, in der Anna Seghers‘ Exilroman spielt. Die Faschisten werden von französischen Polizisten repräsentiert, was der existenziellen Bedrohung eine Doppeldeutigkeit des Gespenstischen und Konkreten gibt. Historische Requisiten (eine mechanische Schreibmaschine, Notizen und Briefe in Sütterlinschrift) schleichen sich als Spurenelemente in die Gegenwärtigkeit der Szenerie ein; auch in den Dialogen überlappen die Zeiten. Petzold schließt damit nicht treuherzig zur aktuellen Flüchtlingsthematik auf, sondern erobert sich erzählerische Beweglichkeit. Sie gestattet es ihm, die Gegenwart in den Kontext deutscher Zeitgeschichte zu stellen.

Einerseits scheint in „Transit“ die universelle Flüchtlingserfahrung auf, dass die Heimat zu Feindesland geworden ist und die Existenz sich im Wartestand der Duldung zuträgt. Aber mit jeder Figur eröffnet der Film einen je eigenen Blickwinkel auf das Exil. Er stellt sie in eine brüchige Realität. Jeder neue Tag könnte ihre Pläne durchkreuzen. Es gibt keinen moralischen Kompass, auf den sie sich verlassen könnten.

In diesem Klima der Ambivalenz agiert Georg nicht als ein gewiefter Identitätsdieb wie Patricia Highsmiths Tom Ripley, sondern als jemand, der seinen Ort in der Welt sucht. Franz Rogowski entdeckt darin eine große Traurigkeit. Sie erwächst aus der Erkenntnis, Verrat zu begehen und Erwartungen zu enttäuschen. Eingangs war er noch ein Eigenschaftsloser. Nun, nachdem er in das Leben der anderen geworfen wurde, spürt er eine Verantwortung in sich, die er nicht begreifen, aber annehmen kann. (epd/mig) Aktuell Feuilleton

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