Falschaussage zu Klagequoten
Massenhaft fehlerhafte BAMF-Bescheide sind der eigentliche Skandal
Während öffentlichkeitswirksam über in Einzelfällen womöglich zu Unrecht erfolgte Flüchtlingsanerkennungen in Bremen debattiert wird, erregen die vielen fehlerhaften und rechtswidrigen Ablehnungsbescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im ganzen Bundesgebiet kaum Aufmerksamkeit - trotz Unwahrheiten. Von Ulla Jelpke
Von Ulla Jelpke Donnerstag, 24.05.2018, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 27.05.2018, 16:09 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Die relative Klagequote bezeichnet den Anteil von BAMF-Bescheiden, gegen die geklagt wird. Sie ist ein Indiz für die Qualität der Asylentscheidungen des BAMF, weil die Klagequote umso niedriger ist, je gründlicher ein Bescheid begründet wurde, denn hiervon hängen die Erfolgschancen bei Gericht im Falle einer Klage ab.
BAMF-Präsidentin Cordt erklärte im Innenausschuss des Bundestages am 25. April 2018, diese Klagequote sei gleichbleibend, und ablehnende Entscheidungen würden immer zu einem bestimmten Umfang rechtlich angegriffen. Aus diesem Grund könnten aus der Klagequote keine Rückschlüsse auf die Qualität der Asylentscheidungen gezogen werden.
Diese Behauptung stimmt jedoch nicht mit Angaben der Bundesregierung auf parlamentarische Anfragen der Linksfraktion überein: Demnach wurden im Jahr 2017 49,8 Prozent aller Bescheide des BAMF beklagt, im Jahr 2016 lag dieser Anteil aber noch bei 24,8 Prozent und 2015 sogar bei nur 16,1 Prozent – das ist in etwa eine Verdreifachung der Klagequote innerhalb von drei Jahren.
Mangelhafte Qualität
Ähnlich stellt sich die Entwicklung dar, wenn nur ablehnende Bescheide des BAMF betrachtet werden: Hier lag die Klagequote im Jahr 2015 noch bei 43 Prozent, 2016 stieg sie auf 68,5 Prozent und im Jahr 2017 lag sie dann bei 91,3 Prozent. Auch das ist mehr als eine Verdoppelung innerhalb von drei Jahren 1.
Ein weiteres starkes Indiz für die mangelhafte Qualität vieler Ablehnungsbescheide ist die gestiegene Erfolgsquote der klagenden Asylsuchenden bei Gericht. Werden nur inhaltliche Gerichtsentscheidungen betrachtet, ergibt sich eine Erfolgsquote im Klageverfahren im Jahr 2017 in Höhe von 40,8 Prozent. Auch dies ist ein deutlicher Anstieg gegenüber den Vorjahren: 2016 lag diese Erfolgsquote noch bei 29,4 Prozent, 2015 bei 12,6 Prozent 2. Bei syrischen und afghanischen Geflüchteten lag sie im Jahr 2017 sogar bei 62 bzw. 61 Prozent.
Falsche Zahlen
Die Bundesregierung und das BAMF kommen auf andere Zahlen, weil sie die vielen formellen Verfahrenserledigungen bei den Gerichten (45,5 Prozent aller Entscheidungen im Jahr 2017) in die Berechnung der Erfolgsquote mit einbeziehen und dabei unterstellen, dass es sich hierbei im Regelfall um Erledigungserklärungen aufgrund fehlender Erfolgsaussichten handele.
Das ist aber nicht zutreffend: Klagen werden zum Beispiel auch dann zurückgenommen, wenn das BAMF erklärt, den eigenen ablehnenden Bescheid abzuändern und einen Schutzstatus zu erteilen – dies war im Jahr 2017 insgesamt 4.582 Mal der Fall 3. Gerichtsverfahren werden auch dadurch formell erledigt, dass einzelne Verfahren von Familienangehörigen zu einem Verfahren zusammengelegt werden, oder wenn Klagende aus dringenden persönlichen, familiären oder humanitären Gründen Deutschland verlassen, obwohl sie womöglich eine gute Erfolgschance bei Gericht gehabt hätten.
Dobrindt in unerträglicher AfD-Manier
Um es noch einmal in absoluten Zahlen auszudrücken: Im Jahr 2017 gab es 32.486 Bescheide des BAMF, die von den Verwaltungsgerichten im Sinne der Schutzsuchenden korrigiert werden mussten 4.
All das zeigt: Was CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt in unerträglicher AfD-Manier als aggressive Anti-Abschiebe-Industrie diffamierte, ist wichtiger denn je, um die vielen fehlerhaften BAMF-Bescheide durch unabhängige Gerichte überprüfen und aufheben zu lassen. Die Fehlerquote des BAMF ist viel zu hoch – denn es geht beim Asylrecht um schwere Menschenrechtsverletzungen, nicht selten um Fragen von Leben und Tod.
Freifahrtschein für mangelhaftes Behördenhandeln
Dennoch sind die Bundesregierung und das BAMF der Meinung, dass die Überprüfung der negativen Bescheide den Gerichten überlassen werden könne. Eine interne Überprüfung ablehnender Bescheide des BAMF werde deshalb nicht benötigt. Diese Haltung ist unverantwortlich und kommt einem Freifahrtschein für mangelhaftes Behördenhandeln gleich. Außerdem hat sie eine weitere Überlastung der Verwaltungsgerichte zur Folge, die schon jetzt kaum in der Lage sind, die vielen Klagen zu bewältigen.
Bei Herkunftsländern mit hohen gerichtlichen Aufhebungsquoten muss das BAMF zudem seine internen Weisungsvorgaben überarbeiten. Die Verschärfung der Entscheidungspraxis in Bezug auf Afghanistan etwa war eine direkte Folge der politischen Vorgaben zur verstärkten Abweisung afghanischer Asylsuchender mit Verweis auf angeblich sichere Fluchtalternativen im Land.
- vgl. Bundestagsdrucksachen 19/1371, Frage 14c und 18/12623, Frage 11b
- vgl. Bundestagsdrucksachen 19/1371, Frage 14, 18/12623, Frage 11 und 18/8450, Frage 11
- vgl. Bundestagsdrucksache 19/1371, Frage 16c
- vgl. Bundestagsdrucksache 19/1371, Frage 14
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