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Mevlüde Genç

Vorbild für Verständigung und Versöhnung

Seit 25 Jahren ist für Mevlüde Genç nichts mehr wie vorher. Der Brandanschlag von Solingen nahm ihr fünf geliebte Menschen und ihre Lebensfreude. Dennoch wirbt sie beharrlich für Verständigung und ein friedliches Zusammenleben aller Menschen. Von Ingo Lehnick

Von Ingo Lehnick Freitag, 25.05.2018, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 31.05.2018, 17:51 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Die Welt von Mevlüde Genç wurde vor 25 Jahren zerstört. Zwei ihrer Töchter, zwei Enkelkinder und eine Nichte starben, als am 29. Mai 1993 ihr Haus in Solingen von vier jungen Neonazis in Brand gesteckt wurde. „Bis heute habe ich die Nacht des Anschlags vor Augen und höre die Schreie meiner Kinder, die in den Flammen verbrannten“, sagt die 75-Jährige. „Der Schmerz über ihren Verlust ist immer in meinem Herzen und wird bis zu meinem Lebensende nicht aufhören. Er hat dazu geführt, dass ich keine Lebensfreude mehr empfinden kann.“

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Verbittert ist Mevlüde Genç trotzdem nicht: Kein Hass, keine Rachgedanken, keine Anklage gegen das Land oder die Stadt, in der sie seit 48 Jahren lebt, kamen seit dem grauenvollen Verbrechen über ihre Lippen. Stattdessen ruft sie immer wieder zu gegenseitigem Respekt, friedlichem Miteinander und Mitmenschlichkeit auf. „Lasst uns Freunde sein“, sagte sie schon kurz nach dem Anschlag und trat für Versöhnung ein. Zwei Jahre nach der Tat nahm sie die deutsche Staatsbürgerschaft an.

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Symbolfigur für Verständigung und Toleranz

Mevlüde Genç wurde zu einer Symbolfigur für Verständigung und Toleranz. Ihre Haltung brachte ihr viel Respekt und eine Reihe von Auszeichnungen ein, darunter 1996 das Bundesverdienstkreuz. Im Jahr 2012 gehörte sie zu den Prominenten, die den Bundespräsidenten mit wählten.

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Für den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU) ist es „ein großes Verdienst von Mevlüde Genç, dass sie trotz ihres Schmerzes und ihrer Trauer schon einen Tag nach dem Anschlag, bei dem sie fünf Familienangehörige verlor, zur Mäßigung aufrief und sagte: Das waren nicht die Deutschen, sondern vier Einzeltäter.“ Durch diese besonnene Reaktion habe sie maßgeblich dazu beigetragen, die angespannte Lage nach dem Anschlag zu entschärfen. „Das Verhalten von Frau Genç sollte Vorbild für uns alle sein, nie zu generalisieren“, sagte Laschet.

Das Schlimmste, was einer Mutter passieren kann

Wie schafft es diese Frau, trotz ihrer traumatischen Erlebnisse immer wieder für ein positives Miteinander zu werben? „Diese Kraft hat mir mein Schöpfer gegeben“, sagte sie dem epd. „Der Verlust der eigenen Kinder ist das Schlimmste, was einer Mutter passieren kann.“ Sie wolle nicht, dass auch andere Menschen dieses Leid erfahren müssen. „Deswegen habe ich gesagt: Lasst uns alle zusammen für Versöhnung, Menschenfreundlichkeit und ein friedliches Miteinander eintreten, damit solche Taten nicht noch einmal verübt werden.“

Ihren Enkelkindern verschwieg Mevlüde Genç anfangs die Wahrheit über den furchtbaren Anschlag. Sie wolle „bis heute nicht ins Detail gehen, um uns nicht zu belasten“, erzählt die 18-jährige Enkelin Özlem Genç dem epd. Erst nach und nach habe sie die Geschehnisse und die Bedeutung des 29. Mai 1993 begriffen. „Den Schmerz fühle ich genauso stark wie meine Oma, obwohl ich den Anschlag nicht erlebt habe“, sagt Özlem.

Deutschland ist meine Heimat, genauso wie die Türkei

Stolz ist sie darauf, wie ihre Großmutter „bei allen Menschen darum wirbt, dass wir einander mit Respekt und Toleranz begegnen und friedlich und geschwisterlich zusammenleben“. Dieses Vorbild habe ihr eigenes gesellschaftliches Denken und ihr Handeln geprägt: „Ich bin offen zu allen Menschen und mache damit sehr gute Erfahrungen.“ In Solingen, wo sie geboren und aufgewachsen ist, fühle sie sich wohl und sicher. „Solingen ist meine Heimat und Deutschland ist meine Heimat, genauso wie die Türkei“, sagt die 18-Jährige.

Heute wohnt die Familie Genç in einem videoüberwachten Haus, das mit Versicherungs- und Spendengeldern gebaut wurde. Den türkischen Herkunftsort Mercimek, nach dem in Solingen ein Platz benannt ist, verließ Mevlüde Genç mit 27 Jahren. Nicht eine Sekunde habe sie nach dem Brandanschlag daran gedacht, in die Türkei zurückzugehen, sagt sie: „Solingen ist zu meiner Heimat geworden und ich möchte hier bleiben, bis ich sterbe.“ (epd/mig) Feuilleton Leitartikel

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