"Helm ab - zum Gebet"
Mohamed und Azeez dienen als Bundeswehrsoldaten im Wachbataillon
Inwieweit der Islam zu Deutschland gehört, ist in der Politik eine immer wiederkehrende Diskussion. Die Bundeswehr hat derzeit etwa 1.600 Muslime in ihren Reihen - zwei von ihnen sind Mohamed und Azeez, die im Wachbataillon in Berlin dienen. Von Mey Dudin
Von Mey Dudin Dienstag, 04.09.2018, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 09.09.2018, 19:39 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Es ist ein sonniger Vormittag in Berlin, als die Soldaten der Protokollkompanie des Wachbataillons den großen Zapfenstreich proben. Der verdiente Inspekteur der Luftwaffe tritt in den Ruhestand und soll mit militärischen Ehren verabschiedet werden. „Helm ab – zum Gebet!“, ruft der Kommandierende. Bei der eigentlichen Zeremonie folgt daraufhin das Musikstück „Ich bete an die Macht der Liebe“ und alle Anwesenden gehen in sich. Bei der Probe wird das nur angedeutet. Einer der Soldaten auf dem Exerzierplatz der Julius-Leber-Kaserne ist Shervan Mohamed, 20 Jahre alt – und Muslim. Dass Soldaten auch mal Gebete sprechen, zum christlichen Gott, das stört ihn nicht. „In meiner Familie wird der Islam locker gelebt“, sagt er.
In der Julius-Leber-Kaserne, die nach einem deutschen Widerstandskämpfer benannt ist, sind 1.000 Soldaten des Wachbataillons untergebracht. Hier leistet Shervan Mohamed seinen Dienst. Wenn selbst Politiker immer noch diskutieren müssen, wie der Islam eigentlich zu Deutschland passt – wie ist es dann erst bei der Bundeswehr? Muslim sein in der deutschen Armee, im Ernstfall zur Waffe greifen und das Land verteidigen, geht das? Shervan Mohamed kennt solche Fragen. „Feindseligkeiten“, sagt er, „habe ich deswegen nie erlebt.“
Von rund 170.000 deutschen Berufs- und Zeitsoldaten gehören etwa 1.600 dem muslimischen Glauben an, ganz genau weiß man das nicht, da die Angabe freiwillig ist. Es gibt immer wieder auch Diskussionen darüber, ob sie in der Bundeswehr benachteiligt werden. Zuletzt bezeichnete es der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, als „Schande“, dass es nach Jahren der Diskussion noch immer keinen Militär-Imam gebe, wie es zum Beispiel in Österreich, den Niederlanden, Norwegen, Frankreich und Großbritannien der Fall ist.
Empfang von Staatsgästen
Das Wachbataillon, in dem Mohamed dient, ist die Visitenkarte der Bundeswehr, die Soldaten mit den schicken, grau-schwarzen oder blauen Uniformen Repräsentanten Deutschlands. Ihr Leitspruch „Semper Talis“ bedeutet im übertragenen Sinne „immer beständig“. Streng verboten sind die „drei B“: Bauch, Bart, Brille. Mohamed trägt Kontaktlinsen. Beim Empfang von Staatsgästen marschiert er im Ehrenspalier am roten Teppich auf.
Mohameds Eltern stammen aus einer Region, um die zuletzt in diesem Jahr heftig gekämpft wurde: Sie sind Kurden aus Afrin in Nordsyrien. Geboren wird Mohamed in Berlin. In der zehnten Klasse steht er vor der Entscheidung, wie es in seinem Leben weitergehen soll. Er entscheidet sich für die Bundeswehr. Heute ist er bei der Luftwaffe. „Meine Eltern unterstützten mich von Anfang an“, sagt er.
„Ich bin sehr stolz“
Kayode Azeez, 28, gehört ebenfalls zum Wachbataillon. Er leistet seinen Stabsdienst im Büro und kümmert sich um die Beschaffung, vom Unterhemd bis hin zum Spind. Azeez kommt aus Nigeria und hat eine dunkle Hautfarbe. „Ich bin in Berlin der erste farbige Soldat, der die Unteroffizierslaufbahn eingeschlagen hat“, sagt er. „Ich bin sehr stolz darauf: Schon wieder die Nummer eins.“ Auch er ist Muslim.
Über Azeez kann man wohl sagen, dass er schon sein ganzes Leben gekämpft hat. Er wächst in der nigerianischen Millionenstadt Ibadan auf, ohne Vater, denn kurz nach Azeez‘ Geburt macht sich dieser auf nach Deutschland und holt sechs Jahre später auch die Mutter nach. Azeez bleibt in Nigeria, lebt bei Verwandten und Freunden der Eltern. Mit elf kommt er schließlich auch nach Deutschland. „Ich musste alles komplett neu lernen“, erinnert er sich. Die Sprache, die Kultur, alles ist anders. Er beißt sich in der Schule durch und macht sein Fachabitur.
„Meine Mutter hat geweint“
Als er sich anschließend für den Militärdienst entscheidet, muss er Überzeugungsarbeit leisten. „Meine Mutter hat geweint“, sagt er. Doch sie hatte einen falschen Eindruck. „In Afrika ist es anders: Wenn du Soldat bist, gehst du in den Krieg.“ Dass er sich für die Bürotätigkeit entschieden hat, beruhigt sie. „Wenn ich hier im Büro sitze, sitze ich höchstwahrscheinlich auch beim Auslandseinsatz im Büro“, sagt der Unteroffiziersanwärter – Kampfeinsätze sind also unwahrscheinlich.
Eigentlich würde er sehr gerne ins Ausland. „Wenn ich die Möglichkeit hätte, würde ich mich freuen“, sagt er. Nach Nigeria zum Beispiel, wo eine Beratergruppe der Bundeswehr die dortigen Streitkräfte im Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität unterstützt, mit Ausbildung und Technik wie etwa Patrouillenboote.
Pragmatismus
Was seine Religion angeht, ist Azeez – wie auch sein Kamerad Mohamed – pragmatisch. Die fünf Gebete am Tag werden nach Dienstschluss nachgeholt. „Das hat mein Vater auch immer so gemacht“, sagt er. An Ramadan werde dann gefastet, wenn es möglich sei, denn „bei einem Marsch mit 15 Kilogramm Gepäck nichts zu trinken, ist schlicht unmöglich“. Und in der Kantine ist das Angebot reichhaltig genug, so dass Schweinefleisch nicht auf dem Teller landet.
Mehr als die Hälfte der Soldaten bei der Bundeswehr gehört dem Christentum an. Für die Seelsorge stehen bundesweit knapp 100 evangelische Militärgeistliche und etwa 70 römisch-katholische Militärseelsorger bereit. Für jene, die eine andere Religion haben, gibt es seit drei Jahren die Zentrale Ansprechstelle für Soldatinnen und Soldaten anderer Glaubensrichtungen (ZASaG). Dort wird ihnen bei Bedarf seelsorgerische Betreuung vermittelt.
Ehrenamtliche Modelle
Und auch wenn die Bundeswehr durchaus einen Bedarf sieht, Militär-Imame zu berufen, gibt es nach wie vor keinen. Mohamed und Azeez sagen aber, ein solcher habe ihnen bislang noch nicht gefehlt. Doch was ist, wenn ein muslimischer Soldat in eine emotionale Notlage gerät – nach einem Kampfeinsatz etwa oder wenn ein guter Kamerad gefallen ist? Hat man dann nicht doch das Bedürfnis, mit jemandem zu sprechen, der einen genau versteht, womöglich dieselbe Religion hat?
Schon die Frage, wer mögliche muslimische Seelsorger entsenden sollte, kann aber nicht so einfach geklärt werden. Das liegt unter anderem auch daran, dass es keinen verbindlichen Ansprechpartner gibt. Während evangelische und katholische Kirche Buch führen über Mitglieder, über Synoden und Bischofskonferenzen bindende Beschlüsse fassen können, gibt es bei Muslimen eine Vielzahl von Moscheegemeinden und Verbänden. Deswegen werden beim Thema Seelsorge in der Bundeswehr nun ehrenamtliche Modelle diskutiert sowie die Idee, dass Beiräte aus Mitgliedern verschiedener Islam-Verbände zuständig sein sollen.
Beten für Frieden und Versöhnung
Azeez behilft sich anderweitig. „Bisher konnte der Spieß immer helfen“, sagt er über seinen Feldwebel, der als die „Mutter der Kompanie“ gilt. Im Zweifel würde er aber auch mit einem Pfarrer sprechen. Er sei schließlich auch zur militärischen Pilgerfahrt nach Lourdes mitgefahren, dem Wallfahrtsort in den französischen Pyrenäen, wohin seit 60 Jahren jedes Jahr Soldaten aus aller Welt reisen. In dem Ort, wo im Jahr 1858 die 14-jährige Bernadette Soubirous von Marienerscheinungen berichtete, beten die Soldaten für Frieden und Versöhnung.
„In meiner Familie kann sich jeder seine Religion aussuchen“, sagt Azeez. Sein Vater sei zwar Muslim, seine Mutter aber Christin. Als Kind wurde er christlich erzogen, und als er mit elf nach Deutschland kam, wandte er sich dem Islam zu. „Ich als der einzige Sohn meines Vaters stehe ihm natürlich zur Seite“, sagt er. Weihnachten ist für ihn dennoch immer ein ganz besonderer Tag: Azeez feiert nämlich am 24. Dezember Geburtstag. (epd/mig) Leitartikel Panorama
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