Rücktritt gefordert
Verfassungsschutzpräsident Maaßen unter Druck nach Zweifel an „Hetzjagd“
Verfassungsschutzchef Maaßen hat Zweifel an der Darstellung von "Hetzjagden" in Chemnitz. Dafür gebe es keine belastbaren Informationen. Er spricht von "gezielter Falschinformation". Dass er das wiederum selbst nicht belegt, löst Kritik aus. Er soll zurücktreten.
Montag, 10.09.2018, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 13.09.2018, 16:59 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Die Debatte über die rechtsradikalen Demonstrationen und ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Chemnitz dauert an. Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen geriet im Wochenende weiter in die Kritik, weil er „Hetzjagden“ bestritt und die Echtheit eines Videos dazu anzweifelte. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer und weitere SPD-Politiker forderte seine Entlassung.
Altbundespräsident Joachim Gauck forderte Demokraten auf, sich strikt von rechtsextremen Gruppen wie sie in Chemnitz aufgetreten sind, abzugrenzen. Ein Dialog mit solchen Gruppen sei unmöglich, denn sie wollten Sieg und Meinungsherrschaft, ohne überzeugen zu wollen, sagte Gauck am Sonntag bei einem Kirchenjubiläum in Kaiserslautern. In eine Gruppe berauschter Menschen wie in Chemnitz mit Verständnis, Nachdenklichkeit und Vernunft einzudringen, sei kaum möglich.
Generalstaatsanwaltschaft Dresden widerspricht Maaßen
SPD-Chefin Andrea Nahles, sagte dem „Tagesspiegel“, es gebe Zweifel, ob Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und Maaßen für ihre Ämter geeignet seien. Nach Angaben der „Bild am Sonntag“ bekräftigte Maaßen am Samstag bei einem Treffen mit Ministeriumsvertretern seine Bedenken gegen das Video. Den Angaben zufolge stammt es von einer Gruppe namens „Antifa Zeckenbiss“, die es von einer rechtsextremen Website habe.
Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden widersprach Maaßen. „Wir haben keine Anhaltspunkte dafür, dass das Video ein Fake sein könnte“, sagte Oberstaatsanwalt Wolfgang Klein „Zeit online“. Auch laut der Redaktion „ARD-Faktenfinder“ gibt es keine Hinweise auf eine Fälschung des Videos. „Für ein Fake liegen keine Indizien vor“, hieß es am Freitag im Faktencheck-Portal der „Tagesschau“. Die Videos wirkten nach Prüfung verschiedener Kriterien echt. Faktoren wie Ort, Zeit und Wetterverhältnisse stimmten mit denen anderer Videos exakt überein.
Nach Informationen der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ stimmten sich das Bundesinnenministerium und das Bundesamt für Verfassungsschutz ab, bevor Maaßen behauptete, es gebe keine belastbaren Informationen zu rechtsextremistischen Hetzjagden. Das Ministerium erklärte der Zeitung, man wisse von keiner Absprache.
SPD-Reisegruppe bestätigt Hetzjagden
Eine sozialdemokratische Reisegruppe aus Marburg bestätigte dagegen Berichte über Hetzjagden in Chemnitz. Drei Zeugen berichteten der Zeitung, sie seien am 1. September nach einer friedlichen Demonstration unter dem Motto „Herz statt Hetze“ von 15 bis 20 Männern im Laufschritt bestürmt, angegriffen und geschlagen worden. Einige Mitglieder ihrer Gruppe seien geflohen. Die Angreifer hätten ihnen mit dem Ruf „Deutschland-Verräter!“ nachgesetzt.
Zu den Fliehenden habe auch ein Mitglied der Reisegruppe gehört, das den Angreifern „nicht deutsch genug aussah“. Diesem Mann seien die Angreifer mit den Worten „den schnappen wir uns“ hinterhergerannt, allerdings ohne ihn zu erreichen.
Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) bestätigte laut der Zeitung, dass er über diesen Vorfall informiert war, als er am 5. September in einer Regierungserklärung bestritt, dass es in Chemnitz „Hetzjagden“ oder einen „Mob“ gegeben habe. Er habe seine Formulierung aber dennoch gewählt, weil „Demokraten durch Wortwahl zur Beruhigung beitragen“ sollten. Trotzdem seien die geschilderten Vorfälle „schlimm“ und müssten aufgeklärt werden.
Experte: Das ist eine Vermeidungsstrategie
In der Diskussion um den Begriff „Hetzjagd“ sieht der Politikberater Hillje eine Vermeidungsstrategie. Dabei gehe es um Begrifflichkeiten statt um grundlegende gesellschaftliche Probleme, sagte Hillje dem „Evangelischen Pressedienst“. Eine kleinteilige Diskussion über einen Begriff wie „Hetzjagd“, für den es keine rechtliche Festlegung gebe, verschleiere „den Kern des Problems“. Dessen seien sich Kretschmer und Maaßen bewusst.
Für eine gründliche Aufarbeitung und eine zielführend Debatte über die Geschehnisse in Chemnitz seien dagegen zwei Aspekte besonders wichtig: „Rechtsextremismus und eine neue Form der Menschenfeindlichkeit“ müssten als gesellschaftliche Probleme identifiziert und diskutiert werden, sagte Hillje. Zudem vermisse er eine offene Debatte über die sozialen Herausforderungen rund um das Thema Flucht und Migration.
Am 26. August war beim Chemnitzer Stadtfest ein 35 Jahre alter Deutsch-Kubaner im Streit erstochen worden. Dringend tatverdächtig sind drei Asylbewerber. Rechte Gruppen instrumentalisierten die Tat für ausländerfeindliche Demonstrationen. Dabei kam es zu Ausschreitungen und Attacken gegen ausländisch aussehende Personen. (epd/mig) Leitartikel Politik
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„Angriff auf die Verfassung
Geheimdienst-Maaßen will mehr Macht“
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