Im christlichen Abendland
Trauermarsch wenn der Täter Ausländer ist
„Unser schönes Deutschland“ ist voll von Gewalt - im Straßenverkehr, in der Familie, in der Kirche. Selten ist ein Fall Anlass für eine besondere Erregung, außer der Tatverdächtige ist ein Ausländer. Ein Erfolg von Pegida und AfD. Von Suitbert Cechura
Von Prof. Dr. Suitbert Cechura Freitag, 28.09.2018, 5:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 01.10.2018, 15:23 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Eins haben Pegida und AfD geschafft: Bei jedem Kriminalfall wird mittlerweile aufgeführt, ob einer oder mehrere der Beteiligten einen Migrationshintergrund haben. War es vor den Ereignissen der Kölner Silvesternacht 2015/16 Usus, dies bei Meldungen über kriminelle Akte zu unterlassen – weil es ja für die Tat oder das Opfer unerheblich ist, für die polizeilichen Ermittlungen meistens auch –, so wurden Medien und politische Öffentlichkeit in der Folge mit dem Verdacht belegt, sie würden den Bürgern etwas verschweigen.
Der Vorwurf hat offenbar getroffen, seitdem hat sich die Berichterstattung gewandelt und das in doppelter Hinsicht: Zum einen wird vermerkt, wenn ein Beteiligter über eine nicht-deutsche Nationalität bzw. einen Migrationshintergrund verfügt, zum anderen sind Meldungen über Gewalttaten, die zum normalen Alltag gehören und damit oft nur eine Randnotiz bilden, stärker in den Fokus gerückt, wenn sich an ihnen das Ausländerthema festmachen lässt. Den rechten Politikern ist damit schon im Prinzip und für die öffentliche Wahrnehmung entscheidend der Beweis gelungen, dass Migranten die Gefahr erhöhen, Opfer von Gewalttaten zu werden.
Sicher: Armut, Kriegserfahrung und Flucht können zur Verrohung beitragen und unter den Flüchtlingen befinden sich neben traumatisierten, erschöpften und abgestumpften Menschen auch solche, die bereit sind, Gewalt auszuüben. Doch nicht die Tatbestände, die zur Verrohung – keineswegs bloß von Flüchtlingen – führen, sind Gegenstand rechter Kritik, schließlich finden sich auch im rechten Milieu und nicht nur dort gewalttätige Figuren.
Vielmehr soll die Tatsache, dass es hierzulande überhaupt Menschen ausländischer Herkunft gibt, die Gefahr von Gewalttaten erhöhen, alles nach dem Motto: Wenn es die Öffnung der Grenzen nicht gegeben hätte, dann wäre dieser und jener Mensch in Kandel oder Chemnitz noch am Leben. Eine seltsame Logik, die eigentlich gegen den spricht, der den Vorwurf erhebt, denn immer noch werden die meisten Gewalttaten von Deutschen ausgeübt.
Erregung im schönen Deutschland
„Unser schönes Deutschland“, für das nicht allein Rechte mit Fahnen und schwarz-rot-goldenen Emblemen eintreten, ist voll von Gewalt. Bemerkbar schon ganz banal im Straßenverkehr, wo nicht nur bei illegalen Straßenrennen Menschenleben aufs Spiel gesetzt werden. Auch auf der Autobahn, wo Drängler und Raser eigenes und fremdes Leben riskieren, bis hin zu Streitereien um Parkplätze kommt es zu Gewalttaten. Nicht zuletzt die hochgelobte Familie mit ihrem Umfeld ist der gefährlichste Ort der Republik, die meisten sexuellen Vergehen an Kindern finden hier statt und die überfüllten Frauenhäuser dokumentieren die Gewalt in den Familien; nicht selten löschen Eltern in letzter Konsequenz einschlägiger „Familiendramen“ alle Angehörigen aus, weil sie ihr Leben in und mit der misslungen familiären Idylle nicht mehr ertragen. Und wie neuere Enthüllungen gezeigt haben, erweisen sich stinknormale Beschäftigungsverhältnisse, kirchliche Einrichtungen, Sportverbände etc. immer wieder als Brutstätten sexueller Gewalt.
Dies alles gilt als selbstverständlich und ist kein Anlass für eine besondere Erregung, führt in den meisten Fällen nicht zu einer groß aufgemachten Pressemeldung und noch seltener zu einem Trauermarsch durch die Gemeinde. Da muss es schon ein herausragendes Ereignis sein, wo sich etwa Sex und Crime sensationell verbinden – wie beim Horrorhaus in Höxter oder beim Anbieten des eigenen Kindes im Internet zum Missbrauch –, damit die Sache überhaupt in die überregionalen Schlagzeilen gelangt. Die mitfühlenden Bürger sehen sich eben nicht bei jedem Kindstod veranlasst, am Tatort Blumen niederzulegen oder Kerzen aufzustellen. Dafür braucht es schon ein Ereignis, das ihnen als besonderer Anlass zu entsprechender Aufmerksamkeit und Betroffenheit nahegebracht wird.
Bei Gewalttaten unter Beteiligung von Ausländern ist dies inzwischen anders, nicht zuletzt wegen der größeren medialen Aufmerksamkeit, die regelmäßig hergestellt wird. In Windeseile finden sich zahlreiche Bürger ein, die sich von der Tat erschüttert zeigen und ihre Trauer zum Ausdruck bringen wollen – d.h. Leute, die weder das Opfer noch den Täter gekannt haben, den Kontakt zu den getöteten oder verletzten Personen womöglich gemieden oder mit ihnen überhaupt keine Gemeinsamkeit entdeckt hätten.
Und auch die Politik tritt neuerdings regelmäßig an, um ihre Erschütterung und Trauer zu demonstrieren – was der Gipfel der Heuchelei ist. Spätestens hier könnte jeder merken, dass es nicht um Trauer über den Verlust eines geliebten oder geschätzten Menschen geht, sondern dass persönliche Betroffenheit für politische Zwecke demonstriert wird, nämlich zur Betonung der Menschlichkeit, die die eigene Politik auszeichnen soll, so als wäre sie ganz von solchen Gefühlen bestimmt. Eine Heuchelei, die den Politikern natürlich nicht schwerfällt, schließlich schaffen sie es sogar, Trauer und Erschütterung beim Tod von Soldaten zu zeigen, die sie in den Krieg geschickt und damit ihrem Schicksal ausgeliefert haben.
Das christliche Abendland geht unter
Aber nicht nur mit Leib & Leben, Hab & Gut sollen sich die Eingeborenen am Standort D bedroht fühlen, sondern auch und vor allem – Stichwort: Islamisierung – in ihrer Kultur, speziell der christlichen. Dazu ist als Erstes zu sagen: Der Islam ist nicht mit den Flüchtlingen nach Deutschland gekommen, sondern mit den Migranten aus der Türkei, aus Jugoslawien oder den arabischen Ländern. Er hat lange Zeit ein Hinterhofdasein geführt, weil die Moscheen in alten Fabrikhallen oder Lagerhäusern angesiedelt waren und das religiöse Leben von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurde. Zum Streitgegenstand wurde er, als Moscheen gebaut wurden, die als solche in der Öffentlichkeit erkennbar waren, als etwa der Ruf des Muezzins erschallte oder Minarette im Stadtbild sichtbar wurden.
Eine andere Dimension erhielt die Islamdiskussion mit den Terroranschlägen frommer Fanatiker, mit dem Auftreten von Al Kaida oder IS. Seitdem steht der Islam immer auch für islamistischen Terrorismus und für Terrorgefahr. Mit der Öffnung der Grenzen für die Balkanflüchtlinge wurde die Flüchtlingsdebatte dann zu einer Sicherheitsdebatte. Die ausgesetzte Grenzkontrolle galt als Sicherheitsrisiko, weil auf diesem Wege auch Terroristen einreisen könnten. Letzteres zählte und zählt als schwerwiegendes Bedenken, obgleich auch scharfe Sicherheitskontrollen an Grenzen nicht in der Lage sind, den Einreisenden ihre terroristische Absicht anzusehen.
Betont wird in der Debatte um den Islam immer wieder, dass dieser rückständigen Religion der Geist der Aufklärung abgehe und dass sie nicht zur christlichen Tradition Deutschlands passe. Dabei wird die Tradition geradezu auf den Kopf gestellt, wandten sich doch die Aufklärer meistens gegen die Religion überhaupt und gegen deren Autorität im gesellschaftlichen Leben, hoben den Primat der Vernunft hervor und wollten – siehe Voltaires „Écrasez l’infâme“ – keine Toleranz gegenüber dem Glauben walten lassen. Lessings „Nathan der Weise“ mit seinem treudoofen Toleranzappell steht eben nicht für alle Aufklärer! Aktuell Meinung
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