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Nigeria

Wahlen zwischen Flucht und Todesangst

Für Samstag sind 84 Millionen Nigerianer aufgerufen, einen Präsidenten und ein neues Parlament zu wählen. Doch vor allem im Nordosten und im Zentrum des Landes herrscht Gewalt. Der Staat scheint unfähig, sie einzudämmen.

Von Marc Engelhardt Freitag, 15.02.2019, 5:19 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 18.02.2019, 16:43 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Auf dem staubigen Hof spielen Kinder johlend Fangen, an den Kochstellen schwatzen Frauen in der abschwellenden Hitze des Tages. Nigerianischer Alltag, wären da nicht die Schicksale der gut 600 Geflüchteten, die seit vier Jahren in dem Lager im Zentrum von Yola leben. „Es war um die Mittagsstunde, als die Kämpfer von Boko Haram bei uns im Dorf eingefallen sind“, erinnert sich etwa Rita Bitrus. „Mein Mann wurde vor meinen Augen in Stücke gehackt, die Kinder und mich haben sie mitgenommen.“ Bitrus konnte fliehen, seitdem lebt sie mit ihren sieben Kindern in einer engen Hütte aus Latten und Planen.

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Bitrus kommt aus der Nähe von Gwoza, wo die Terrorgruppe Boko Haram vorübergehend die Hauptstadt ihres Kalifats ausrief. Dort, nur wenige Autostunden von Yola entfernt, herrscht bis heute Krieg. „Da, wo wir gelebt haben, steht kein Haus mehr, alles ist niedergebrannt“, sagt sie. „Und die Regierung tut nichts.“ Es ist diese Regierung, die am kommenden Samstag wiedergewählt werden will. Präsident Muhammadu Buhari behauptet seit einem Jahr, Boko Haram sei besiegt. Vieles spricht aber dafür, dass die Lage im Nordosten Nigerias nicht besser, sondern schlimmer geworden ist.

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6.000 Männer kämpfen für die Terrorbewegung

„Die Regierung lügt, von Anfang bis Ende“, wettert der katholische Bischof von Yola, Stephen Dami Manza. „Erst vor kurzem hat Boko Haram wieder ganze Dörfer in Borno eingenommen, unserer Nachbarprovinz“, sagt er. Die Regierung dementierte die Berichte. „Und dann, ein paar Wochen später, meldete die Regierung stolz, das Militär habe die entsprechenden Gemeinden befreit. Wie passt das bitte zusammen?“

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Was genau geschieht im Nordosten Nigerias, lässt sich nur bruchstückhaft zusammensetzen. Gut 6.000 Männer kämpfen für die gespaltene Terrorbewegung. Vor allem eine der beiden Gruppen, die sich ‚IS der Provinz Westafrika‘ nennt, ist aus libyschen Beständen und selbst denen der nigerianischen Armee gut ausgerüstet und hoch motiviert.

200 Millionen Nigerianer zur Wahl aufgerufen

Anders die Armee: Viele Soldaten sind seit Jahren ohne Pause im Kampfgebiet stationiert. Sie klagen über zu wenig Waffen, Munitionsmangel und die fehlende Militärstrategie. Wenn Boko Haram anrückt, so heißt es, flieht die Armee oft als erstes. Die Bevölkerung lebt in den Städten, wo es immer wieder Attentate gibt, oder ist auf Anweisung der Regierung in Lagern zusammengepfercht worden.

Wie unter solchen Bedingungen eine Wahl stattfinden soll, weiß niemand. 84 der rund 200 Millionen Nigerianer sind zur Stimmabgabe aufgerufen, aber mindestens sieben Millionen haben bisher noch keine Wahlkarte erhalten. Auch Rita Bitrus hat keine, aber ohnehin andere Sorgen. Ob sie jemals nach Hause zurückkehren kann, weiß sie nicht. Lieber würde sie in Yola bleiben, wo es sicher ist und ihre Kinder zur Schule gehen. Bischof Manza, hinter dessen Kirche St. Theresa das Flüchtlingslager steht, hat gerade ein Stück Land aufgetan, auf dem die Flüchtlingen siedeln sollen. Es wäre ein Anfang.

Eine neue Situation

Doch Fonyay Genesis, der die Flüchtlinge betreut und ihnen bei der Überwindung ihrer Traumata hilft, sieht auch Risiken. Zwar hat die Armee Boko Haram nach Norden zurückgedrängt. Rund um Yola und im ganzen Zentrum Nigerias aber verbreiten schwer bewaffnete Nomaden Angst und Schrecken, überfallen Dörfer, zünden sie an und töten die Bewohner. „Das ist eine neue Situation, und die Geflüchteten wissen nicht, wie sie jetzt auch noch das bewältigen sollen.“ Dass die meisten Nomaden Muslime und die Mehrzahl der Bauern Christen sind, macht die Lage noch explosiver.

Dramatisch zugenommen haben auch Entführungen. Die Banden, die vor allem Nigerianer aus der Mittelschicht verschleppen, sollen aus dem Ausland kommen und sind angeblich gut organisiert. Die Polizei jedenfalls kann nichts gegen sie tun. Für ein bisschen Sicherheit sorgen nur Bürgerwehren, für die auch Solomon Johnson kämpft. Der 32-jährige trägt ein altertümliches Gewehr über der Schulter und einen Fellhut auf dem Kopf. „Ich habe dieses Gewehr und einige Zaubersprüche, mit denen ich sie aufhalten kann“, sagt er. „So ersetzen wir die Polizei.“ Vom Staat fehlt im Nordosten Nigerias zu oft jede Spur. Und so fragen sich viele, warum sie überhaupt ihre Stimme abgeben sollen, wenn doch ohnehin nichts passiert. (epd/mig) Aktuell Ausland

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