Das Gästezimmer
Erst kommt der Pass, dann kommt sein Mensch
Wenn Künstler aus afrikanischen Ländern kein Visum in die EU erhalten und nicht auftreten können, ist die Empörung groß. Leider bricht sie nur aus, wenn das westliche Publikum auf seine Unterhaltung verzichten muss. Francesca Polistina über privilegierte und unprivilegierte Pässe.
Von Francesca Polistina Freitag, 15.03.2019, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 19.03.2019, 17:28 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Thaier Helal ist ein syrischer Maler. Die Besonderheit seiner Kunst besteht darin, dass er in seinen Werken unkonventionelle Materialien wie Leim und Sand verwendet, um die sensorischen Aspekte der Welt wiederherzustellen. Im Jahr 2015 hätte er an der Eröffnung seiner Ausstellung in London teilnehmen müssen, sein Visumantrag wurde aber abgelehnt. Das gleiche passierte Sorie Kondi und Ehsan Abdollahi: der erste ein Musiker aus Sierra Leone, der zweite ein iranischer Illustrator, der sich auf Kinderbücher spezialisiert hat.
Helal, Kondi und Abdollahi sind nur die sichtbare Spitze eines riesengroßen Eisbergs. Sichtbar, weil sie als Künstler im Westen bekannt und anerkannt sind – anders als die tausenden Namenslosen, die täglich die Flucht nach Europa versuchen. Und weil sie eben bekannt und anerkannt sind, haben die Medien ihre Geschichte erzählt, die übrigens sehr ähnlich verlief: Die drei Künstler, aus Afrika oder dem Nahen Osten, wurden offiziell im Rahmen von kulturellen Veranstaltungen in den Westen eingeladen, die Grenzbehörden stellten sich aber in den Weg und verweigerten oder verzögerten die Ausstellung des Visums ohne klaren Grund. Daraufhin reagierten viele hierzulande mit Empörung: wie konnte überhaupt passieren, dass selbst namhafte Künstler nicht einreisen dürfen?
Empörung
Diese Empörung, schreibt Vik Sohonie im Magazin Africa is a Country, ist legitim und löblich. Sie brach allerdings erst aus, als das westliche Publikum auf seine Unterhaltung verzichten musste – und nicht wegen der Feststellung, dass Visa das Leben von Millionen von Menschen schwerer machen. Außerdem, so Sohonie, entstand diese Empörung nur im Westen. Denn außerhalb des Westens war niemand überrascht.
Dass es privilegierte und unprivilegierte Pässe – häufig auch mächtige und schwache Pässe genannt – gibt, ist heutzutage eine der größten Ungerechtigkeiten weltweit und eine, die normalerweise nicht hinterfragt wird. Selbst deutsche Medien berichten regelmäßig aber meist unreflektiert über den jährlichen Passport Index: schön ist es, dass der deutsche Pass zu den mächtigsten der Welt gehört, laut der Erhebung liegt er sogar auf dem zweiten Platz. Das bedeutet, dass man sich für den nächsten Urlaub in Sri Lanka gar keine Sorge machen muss, obwohl eben Sri Lanka zu den Pässen gehört, die im Index besonders schlecht abschneiden.
Es geht um mehr
Doch warum wird diese offensichtliche Ungerechtigkeit als gottgeben hingenommen und gar nicht infrage gestellt? Ein Grund dafür ist, dass das Thema der globalen Mobilität sofort mit der Migrationsdebatte assoziiert wird, als würde der Pass eben nur diesem Zweck dienen: auszuwandern. In Wirklichkeit geht es dabei um so viel mehr. Die italienische Schriftstellerin somalischer Herkunft Igiaba Scego argumentiert in der Zeitschrift Internazionale, dass Migranten heutzutage unheimlich hohe Summen ausgeben, um sich zu bewegen. Würden sie legal und einfach verreisen dürfen, würde Migration eine Möglichkeit werden: eine von vielen und auf keinen Fall die einzige. Denn die Menschen würden ins Ausland gehen, um zu studieren, zu arbeiten, sich zu spezialisieren oder eben auch um an kulturellen Veranstaltungen teilzunehmen. Einige würden im Ausland bleiben, andere würden in die Heimat zurückkommen, oder irgendwohin anders gehen, oder sich flexibler zwischen mehreren Orten bewegen. „Die Reise – schreibt die Autorin – würde dann wieder zirkulär werden. Jetzt ist sie hingegen eine Falle, und alle verlieren dadurch.“ Denn diejenige, die draußen sind, wollen unbedingt rein, und diejenige, die drinnen sind, haben keine andere Wahl, als drinnen zu bleiben, ob sie es wollen oder nicht.
Die Behauptung, die Auswanderung in den Westen sei das Hauptziel von Millionen von Menschen, ist gleichzeitig falsch und arrogant – und stellt jedoch häufig die Basis für die heutigen Migrationspolitiken in Europa dar. Falsch, weil, wie Studien belegen, Migration in den meisten Fällen ein landesinternes und häufig temporäres Phänomen bleibt; arrogant, weil man den Menschen außerhalb Europas und Nordamerikas unterstellt, sie warten nur darauf, in den Westen zu fliehen. Diese Wahrnehmung, die vor allem von rechten Parteien propagiert wird und generell ein breites Echo in der Bevölkerung findet, führt dazu, dass die Mobilität der Menschen, egal ob vorübergehend oder dauerhaft, massiv eingeschränkt wird – mit Folgen, die man bisher nur wenig erforscht hat.
Visa zutiefst rassistisch
Ein weiteres Problem ist, dass das System der Visa zutiefst rassistisch ist. Asiaten und vor allem Afrikaner haben die meisten Schwierigkeiten, ein Visum zu bekommen. Südamerikaner hingegen, die europäische Wurzeln haben und europäische Sprachen sprechen, erhalten in der Regel mehr Bewegungsfreiheit, selbst bei ähnlichen Bedingungen. Ein Zufall? Nein. Nur ein weiteres Zeichen dafür, dass die Pässe nach Farben sortiert werden.
Bertolt Brecht, einer der scharfsinnigsten Schriftsteller, den Deutschland je hatte, schrieb in seinen 1956 erschienen Flüchtlingsgesprächen: „Der Paß ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustand wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustandkommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Paß niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird“. Der historische Kontext war damals sicherlich anders, und anders waren die Migrationspolitiken hierzulande, trotzdem bleibt die Aussage im Kern noch aktuell: erst kommt der Pass, dann kommt sein Mensch. Aktuell Meinung
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Ein wirklich sehr schöner Artikel über das Machtgefälle zwischen der sogenannten Ersten und der Dritten Welt. Sogenannt deswegen, weil Europa sich über andere Regionen stellt, die es aber selbst in diese Situation gebracht hat.
Wie wäre es denn, wenn die afrikanischen Staaten den Europäern die Einreise in ähnlicher Weise wie es die europäischen Staaten praktizieren, verweigern? Ich könnte ja auch in Kenia bleiben und den Einheimischen einfach die Arbeit wegnehmen, nicht wahr?
Hier zeigt sich das Machtgefälle sehr deutlich. Die afrikanischen Staaten sind auf dem Tourismus angewiesen, weil er ein bedeutender Wirtschaftsfaktor ist. Allein der Wegfall der Touristen, die auf dem Kilimandscharo steigen, würde einen immensen wirtschaftlichen Einbruch für Tansania bedeuten.
Anders Europa: Hier ist man der Auffassung, auf die Menschen aus anderen Weltregionen, die sich die Reise leisten können, verzichten zu können. Salopp ausgedrückt: Die paar Leute machen den wirtschaftlichen Kohl auch nicht mehr fett. Da schiebt man lieber eine imaginäre Furcht vor dem angeblich bösen afrikanischen, arabischen Menschen vor sich her, der hier mit einem Touristenvisum in die „Festung Europa“ eindringt und sich erdreistet, einfach zu bleiben. Na so was aber auch.
Erst beutet Europa 500 Jahre lang diverse Weltregionen für seinen Wohlstand aus. Und jetzt möchte man davon gar nichts mehr wissen und verdeutlicht anderen Regionen, dass sie für ihre derzeitige Situation selbst verantwortlich sind.
Die Autorin macht hie zwei wesentliche Fehldeutungen:
1. Migration stellt bei Reisen nur einen untergeordneten Grund dar
2. Die Ablehnung von Visa hat rassistische Gründe
Es gibt Länder mit einem hohen Migrationsdruck. Zwar sind die meisten Flüchtlinge Binnenflüchtlinge, dies liegt aber nicht zwingend an deren Wunsch im Heimatland zu bleiben, sondern auch an den fehlenden Möglichkeiten ins Ausland zu kommen. Vom Istzustand kann insofern nicht auf die Migrationsmotivation geschlossen werden.
Das Auswärtige Amt erstellt jährliche Lageberichte zu jedem Land und dort ist wissenschaftlich aufgearbeitet, u.a. welche Migrationsbewegungen es gibt.
2. Die Autorin behauptet, die Visavergabe sei rassistisch.
Richtig ist, dass südamerikanische Staaten deutlich mehr Bewegungsfreiheit haben als beispielsweise afrikanische Staaten. Dies liegt im Wesentlichen in zwischenstaatlichen Vereinbarungen begründet, die meisten davon schon 40 – 50 Jahre alt.
Grund dafür sind die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den heutigen EU-Staaten und den südamerikanischen Staaten und natürlich auch daran, dass viele Südamerikaner europäische Wurzeln haben und damit Familienbesuche deutlich häufiger vorkamen als seinerzeit zwischen afrikanischen und europäischen Staaten.
Aber das hätte man ja ändern können, heute gibt es viele Afrikaner in Europa und Familienbesuche sind an der Tagesordnung.
Hier kommt aber die Erfahrung der europäischen Staaten dazu. Welche Menschen aus welchen Ländern nutzen Besuchsvisa um dauerhaft auszuwandern?
Hier kommt es dazu, dass Menschen aus bestimmten Staaten, z.B. Nigeria, deutlich häufiger nicht ausreisen im Vergleich zu z.B. Argentiniern.
Wenn dann ein Visaantrag aus einem Land gestellt wird, in das Rückführungen praktisch nicht möglich sind, wird die Rückkehrwilligkeit geprüft.
Dabei nimmt die deutsche Auslandsvertretung folgende Punkte ins Visier:
– Verbleiben Familienmitglieder im Heimatland
– Ist dort nachvollziehbares Einkommen vorhanden
– Hat der Antragssteller dort alle Zelte schon abgebrochen, oder eben nicht.
Zumindest im Fall Abdollahi lagen genau hier die Probleme, er konnte weder im Iran verbleibende Familie, noch die Herkunft seiner Mittel beweisen. Zumindest letzteres wäre möglich gewesen für ihn.
Nun aber das entscheidende: Hier liegen sachliche Gründe für die Ablehnung des Visums vor, rassistische aber nicht.