Interview mit Mala Reinhardt
Rassismus – „so eine Art gesellschaftliche Stille“
Die Doku "Der Zweite Anschlag" zeigt rassistische Gewalt aus der Opferperspektive. Regisseurin Mala Reinhardt zeigt den Film derzeit in vielen deutschen Städten. Für MiGAZIN hat sie mit Kai Stoltmann über die Kontinuität von rassistischem Terror und die Reaktionen auf den Film gesprochen.
Von Kai Stoltmann Dienstag, 16.04.2019, 5:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 22.04.2019, 14:04 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Der Dokumentarfilm „Der Zweite Anschlag“ von Mala Reinhardt schildert die Auswirkungen rassistischer Gewalt aus der Perspektive der Opfer. Die Protagonisten des Filmes sind Überlebende und Angehörige von rechten Anschlägen – wie beispielsweise die Betroffene des Pogroms von Rostock Lichtenhagen Mai Phương Kollath, der Überlebende des Möllner Brandanschlags Ibrahim Arslan und Osman Taşköprü, dessen Bruder vom NSU ermordet wurde. Auf Basis von Interviews entwickelt „Der zweite Anschlag“ ein Bild der teils traumatischen Erlebnisse, welche die Protagonisten durchlebt haben.
Wieso hast du dich entschieden, einen Dokumentarfilm über die Auswirkungen von rassistischer Gewalt zu drehen?
Mala Reinhardt: Am Anfang war noch nicht ganz klar, dass es ein Dokumentarfilm werden würde. Wir hatten im Team begonnen, uns mit Rassismus und rechter Gewalt auseinanderzusetzen und haben dabei gemerkt, dass das Thema allgegenwärtig ist. In unserem Umfeld und in den Medien wird immer wieder darüber gesprochen, aber trotzdem gibt es so eine Art gesellschaftliche Stille dazu. Wir haben uns gefragt, woher das Unvermögen eigentlich kommt, mit diesem Thema umzugehen und wir waren dann schnell an dem Punkt, dass uns die Perspektive der Betroffenen gefehlt hat. Es gibt viele Berichte über die Täter und deren Leben, aber nur sehr wenig über die Erfahrungen der Betroffenen nach den Ereignissen. Dann haben wir angefangen, daran zu arbeiten und die ersten Kontakte geknüpft, woraus sich der Film dann im Prozess zu einem längeren Dokumentarfilm zusammengesetzt hat.
Auf welche Probleme seid ihr bei der Umsetzung eures Filmes gestoßen?
Mala Reinhardt: Ein Problem war die finanzielle Lage, weil wir keine Filmförderung für das Projekt hatten. Von Freunden und Bekannten haben wir sehr viel Unterstützung bekommen. Das gilt auch für zahlreiche Menschen, die sich an der Crowdfunding-Kampagne beteiligt haben, weil sie unser Projekt inhaltlich unterstützen wollten. Aber es war natürlich konstant ein Problem, dass wir mit wenig Geld arbeiten mussten, um die Dreharbeiten inklusive der Fahrtkosten in mehrere Städte abdecken zu können. Es hat viel Energie und Zeit eingenommen, die Organisation eines solches Projektes ohne eine richtige Finanzierung durchzuführen.
Wie habt ihr den Kontakt zu Betroffenen hergestellt und wie wurde seitens der Betroffenen auf eure Anfrage reagiert?
Mala Reinhardt: Wir hatten zuerst einen Kontakt zu Ayşe Güleç, die auch ein Teil des NSU-Tribunals in Köln war. Trotzdem hatten wir großen Respekt davor, die Betroffenen anzusprechen. Wir wussten auch, dass es einige Betroffene gibt, die aufgrund ihrer schlechten Erfahrungen nicht mehr mit der Presse reden wollten. Wir hatten zunächst die Befürchtung, wenn wir mit unserer Kamera auftauchen und Fragen stellen, auch als Presse wahrgenommen zu werden. Deswegen waren wir vorsichtig und haben uns gut mit den Betroffenen abgesprochen. Letztlich hat es uns als Team den Zugang ermöglicht, dass wir mit sehr viel Zeit gekommen sind. Wir hatten viel Zeit, um den Kontakt im Vorfeld aufzubauen und wir waren auch während des ganzen NSU-Tribunals anwesend. Bis heute haben wir den Kontakt mit allen Protagonisten aufrecht erhalten. Alle Protagonisten sind darüber informiert, was wir tun und präsentieren den Film jetzt mit uns zusammen. Dadurch ist ein gewisses Vertrauen uns gegenüber entstanden.
Welche Parallelen haben sich in den Erzählungen der Betroffenen gezeigt?
Mala Reinhardt: Was bei allen deutlich wurde, ist so eine gewisse Frustration oder auch Resignation, wie im Nachgang der Taten mit ihnen umgegangen wurde. Was die Betroffenen nun selber aus ihren Erlebnissen gezogen haben, ist dagegen sehr unterschiedlich. Es gibt Menschen, die aktiv mit den Ereignissen umgehen wie beispielsweise Ibrahim Arslan, der in die Schulen geht und dort als Zeitzeuge auftritt, um die nächsten Generationen über seine Erlebnisse zu informieren. Dann gibt es aber auch Personen wie Osman Taşköprü, der eher sagt, dass es zu viel für ihn ist, weil es emotional bis heute ein so wunder Punkt ist. Bei ihm hat es lange gedauert, bis er anfing darüber zu sprechen und auch aktuell hat er sich wieder etwas aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, weil es immer noch eine sehr belastende Situation ist für ihn. Mai Phương Kollath dagegen hat eine andere Option gewählt, indem sie ihre Erlebnisse künstlerisch verarbeitet. Sie steht auf der Bühne, sie hat auch jetzt ein neues Stück, das in der letzten Woche Premiere hatte.
Wir würdest du den Umgang der Sicherheitsbehörden mit den Betroffenen beschreiben?
Mala Reinhardt: Was wir im Film ganz stark machen, ist die Perspektive der Betroffenen auf diese Frage, obwohl es bestimmt auch andere Perspektiven auf diesen Aspekt gibt. Sie ist geprägt von dem Gefühl, dass sie von der Polizei nicht ernst genommen wurden. Zum Teil wurden Anschuldigungen gegen die Familien selbst gerichtet, die für die Betroffenen, die gerade ihre Angehörigen verloren hatten, extrem belastend waren. Zum Teil kamen auch Hinweise aus den Communities selbst, es könnte sich um Nazis handeln. Dem wurde beispielsweise beim NSU nicht nachgegangen, während andere Hinweise verfolgt wurden. Da ist so eine Disbalance, wem Gehör geschenkt wurde.
Welche Reaktionen habt ihr bisher auf den Film bekommen?
Mala Reinhardt: Bisher haben wir überwiegend positive Reaktionen bekommen, wenn man das im Kontext dieses Filmes so sagen kann. Ich denke, der Film regt zum nachdenken an. Nach den Screenings kommen häufig nur wenig Fragen zu den Details. Ganz häufig herrscht nach dem Film so eine gewisse Ratlosigkeit. Das hat damit zu tun, dass das Publikum von den gezeigten Dingen eigentlich weiß. Wir wissen, dass diese Taten passieren und wir wissen, dass die Betroffenen existieren, aber jetzt sind sie nochmal auf die Leinwand gebracht worden. Dabei wurde ganz explizit nur die Perspektive der Betroffenen gezeigt.
Auf Filmfestivals haben die Menschen nach dem Screenings unsere Protagonisten – insbesondere Özge Pınar Sarp und Mai Phương Kollath – angesprochen und sie konkret gefragt: „Was wünschst du dir?“ oder „Was können wir heute machen?“ Das finde ich auf jeden Fall etwas sehr positives. Die Morde vom NSU und der Anschlag von Mölln sind ganz deutlich rechte und rassistische Taten, aber der Alltagsrassismus von dem Özge Pınar Sarp erzählt, dass ihr Sohn in der Bahn geschlagen wurde, ist auch ein Teil dieses rassistischen Komplexes. Dieser Aspekt ist für viele Menschen erschreckend gewesen, obwohl es natürlich nicht vergleichbar ist mit jenen Taten, bei denen die Angehörigen ermordet wurden. Dazu kommen häufig Fragen, wie man sich im Kleinen engagieren kann. Ich finde es auf jeden Fall positiv, dass Menschen anfangen, über ihre eigenen Alltagserfahrungen nachzudenken und wo sie da ansetzen können.
Im Kontext des NSU-Tribunals wurde die Forderung „Kein Schlussstrich“ gestellt. Was bedeutet diese Forderung für dich?
Mala Reinhardt: Es ist absurd zu denken, dass es jetzt einfach einen Schlussstrich geben könnte. Die meisten Angehörigen hatten in dem Prozess nicht den Eindruck, gehört zu werden. Die Ermordung von Osmans Bruder zum Beispiel liegt jetzt knapp 18 Jahre zurück und trotzdem wird in seinen Erzählungen deutlich, wie viel Emotionalität bis heute darin steckt. Da merkt man bereits, dass unter dieses Thema kein Schlussstrich gezogen werden kann. Zum NSU muss weitergearbeitet werden, obwohl Politik und Justiz den Fall abgeschlossen haben. Es ist wichtig, dass die Betroffenen weiter supportet werden. Aktuell Interview
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„Zum NSU muss weitergearbeitet werden, obwohl Politik und Justiz den Fall abgeschlossen haben.“
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