Interview mit Lochbihler
EU ordnet Menschenrechte wirtschaftlichen Interessen unter
Die EU präsentiert sich in Sachen Menschenrechte gern als Vorreiterin. Auf der anderen Seite steht die EU selbst in der Kritik. Grünen-Politikerin und frühere Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland, Barbara Lochbihler (59), im Gespräch.
Von Phillipp Saure Dienstag, 23.04.2019, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 28.04.2019, 16:11 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Frau Lochbihler, was kann die EU in anderen Ländern für die Menschenrechte tun?
Barbara Lochbihler: Die EU ist wirtschaftlich sehr stark und hat dadurch in vielen Ländern einen guten Hebel. Beispielsweise hat die EU in der Vergangenheit von Thailand Maßnahmen gegen Menschenrechtsverletzungen und Zwangsarbeit auf thailändischen Fischtrawlern gefordert. Die Androhung eines Importverbots für thailändische Fischereiprodukte im Jahr 2015 hat dort schließlich zu wichtigen Gesetzesreformen geführt. Seit 2012 verfügt die EU auch über eine sehr gute und umfassende Menschenrechtsstrategie samt Aktionsplan. In diesem Rahmen unterstützt sie beispielsweise mit dem „Protect Defenders“-Programm Menschenrechtsverteidiger, die wegen ihrer Arbeit in akuter Gefahr schweben. Sie können durch temporäre Umsiedlung aus der Gefahrenzone herauskommen und geschützt werden.
Wie nutzt die EU ihren Einfluss am besten?
Barbara Lochbihler: Man muss Geduld haben und beobachten, wo sich etwas bewegt. Zum Beispiel war ich letztes Jahr mit einer Parlamentsdelegation in Malaysia. Wir reisten in der Nacht des Wahlsiegs der Opposition an. Erst der Regierungswechsel hat zu den Änderungen geführt, die wir jahrelang gefordert hatten, zum Beispiel zur Abschaffung der Todesstrafe. Man muss also bei jedem Land darauf achten, wo sich Möglichkeiten einer Zusammenarbeit bieten und diese mit der Einhaltung der Menschenrechte verknüpfen.
Setzt die EU sich überall gleich konsequent für die Menschenrechte ein?
Barbara Lochbihler: Nein. Die Menschenrechtspolitik wird oft geostrategischen und vor allem wirtschaftlichen Interessen untergeordnet. Gegenüber China verhält sich die EU völlig anders als gegenüber einem Land, das eine schwache Position hat und von europäischer Unterstützung abhängig ist.
Kann die EU gegenüber einem Giganten wie China etwas ausrichten?
Barbara Lochbihler: Was die EU gegenüber China bei den Menschenrechten bewirken kann, ist tatsächlich sehr begrenzt. Aber man sollte es nicht aufgeben, weil auch die chinesische Regierung generell an einer regelbasierten internationalen Ordnung interessiert ist. Zu dieser internationalen Ordnung gehören die Menschenrechte. Es gibt zwischen der EU und China auch einen formellen Menschenrechtsdialog, zuletzt Anfang April in Brüssel. Dabei kritisierte die EU Repressionen gegen Menschenrechtsverteidiger in China und forderte die Freilassung inhaftierter gewaltloser politischer Gefangener. Druckmittel werden aber nicht eingesetzt.
Was ist mit anderen Ländern, in denen die EU große Interessen hat, wie Saudi-Arabien?
Barbara Lochbihler: Die EU verfügt mit dem sogenannten Gemeinsamen Standpunkt über einen rechtsverbindlichen Rahmen, um Waffenexporte in Kriegs- und Krisengebiete zu kontrollieren. Da Saudi-Arabien maßgeblich in den Krieg im Jemen involviert ist, hat das Europäische Parlament mehrfach ein Waffenexportverbot eingefordert. Daran halten sich jedoch nicht alle EU-Staaten, weil ihnen Geschäfte mit Saudi-Arabien zu wichtig sind. Das Europarlament kritisiert ebenfalls regelmäßig die Repressionen gegen Menschenrechtsverteidiger in Saudi-Arabien. Die Verleihung des Sacharow-Preises Menschenrechte an den saudischen Blogger Raif Badawi durch das Parlament war ein deutliches Signal an die saudischen Herrscher.
Tragen „die EU“ oder die Außenbeauftragte Federica Mogherini die Schuld, wenn Menschenrechte nicht eingeklagt werden?
Barbara Lochbihler: In der EU gilt in der Außenpolitik meist das Konsensprinzip. Dies bedeutet konkret, dass sich der kleinste gemeinsame Nenner durchsetzt. Dabei wäre es durchaus möglich, Entscheidungen auch durch qualifizierte Mehrheiten zu erzielen. Und wir haben Mitgliedstaaten, die sich selbst von den Menschenrechten wegbewegen, indem sie die Justiz gängeln oder die Pressefreiheit infrage stellen. Deshalb bin ich auch für Mehrheitsentscheidungen in der Außenpolitik.
Wo hat die EU menschenrechtlich am stärksten versagt in den letzten Jahren?
Barbara Lochbihler: Auf ganzer Linie hat sie nach 2015 in der Flüchtlingspolitik versagt. Die EU hat ihre Rettungsoperationen im Mittelmeer beendet und tut viel zu wenig für die Flüchtlinge zum Beispiel in Libyen, aber auch auf Lesbos in Europa. Es gibt eine große Gleichgültigkeit, sodass das Recht auf Leben an den Außengrenzen auf der Strecke bleibt und das Mittelmeer zur weltweit tödlichsten Grenze geworden ist. Das schadet auch der eigenen Glaubwürdigkeit, wenn man gegenüber anderen Ländern etwas für die Menschenrechte erreichen will. (epd/mig) Interview Leitartikel Politik
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