Gastbeitrag
Einigung der Bundesregierung – ausgerechnet in der Migrations- und Integrationspolitik
Die Große Koalition hat ein umfangreiches Gesetzespaket verabschiedet und dies, ja, ausgerechnet in einem Politikfeld, in dem lange Zeit zwischen den Koalitionspartnern Streit herrschte. Die Rede ist von der Migrationspolitik. Von Prof. Thomas Bauer
Von Thomas Bauer Montag, 24.06.2019, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 26.06.2019, 15:51 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Fußballweltmeisterschaft 1970, Halbfinale zwischen Deutschland und Italien: „Ausgerechnet Schnellinger!“, entfuhr es Reporterlegende Ernst Huberty, als der chronisch torungefährliche und zudem für den AC Mailand in Italien spielende Verteidiger Karl-Heinz Schnellinger in der Nachspielzeit mit seinem ersten und einzigen Länderspieltor den Ausgleichstreffer erzielte. Das Spiel ging dadurch in die Verlängerung und wurde zum Jahrhundertspiel. Ernst Hubertys „ausgerechnet“ entwickelte sich in der Folge zu einer Pflichtvokabel jedes Fußballreporters, um überraschende Wendungen aller Art zu markieren.
Überraschendes hat sich nun auch in der Politik ereignet. Die Große Koalition der chronischen Wahlverlierer CDU, CSU und SPD, die angesichts ihres Abschneidens bei der Europawahl sowie bevorstehender Landtagswahlen stark unter Druck sind, hat ein umfangreiches Gesetzespaket verabschiedet und dies, ja, ausgerechnet in einem Politikfeld, in dem lange Zeit zwischen den Koalitionspartnern Streit herrschte. Die Rede ist von der Migrationspolitik. Nicht weniger als sieben Vorhaben enthält das verabschiedete Paket, das die rechtlichen Rahmenbedingungen in diesem Bereich erheblich ändern wird.
Die tragenden Säulen dieses Pakets sind das Fachkräfteeinwanderungsgesetz und das sog. Geordnete Rückkehr-Gesetz. Sie sollen an zwei zentralen und unterschiedlich gelagerte Herausforderungen im Bereich der Migrationspolitik ansetzen. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz soll dafür sorgen, dass Deutschland ausländische Fachkräfte, die schon allein aufgrund des demografischen Wandels zunehmend gebraucht werden, leichter und v.a. schneller und unbürokratischer anwerben kann. Das Geordnete-Rückkehr-Gesetz hingegen soll dazu beitragen, dass Personen, die eigentlich ausreisepflichtig sind und zudem keinem Abschiebestopp unterliegen, das Land auch tatsächlich wieder verlassen. Beide Gesetze markieren somit die Extrempole eines austarierten Gesamtpakets, das sich einfachen und daher beliebten politischen Klassifikationen der Öffnung bzw. Schließung entzieht.
Zentrale Innovation des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes ist es, die Zuwanderungsmöglichkeiten von beruflich qualifizierten Fachkräften aus Drittstaaten an die von Ausländern mit akademischer Qualifikation anzugleichen. Für Fachkräfte mit Universitätsabschluss gehört Deutschland bereits seit einigen Jahren zu den liberalsten Ländern weltweit. Durch das Gesetz wird es Unternehmen nun deutlich erleichtert, auch Fachkräfte mit beruflicher Qualifikation anzuwerben, denn die bisherige Beschränkung dieser Option auf ausgewählte Mangelberufe entfällt künftig. Darüber hinaus erweitert das Gesetz die Möglichkeit, zur Nachqualifikation und zur Anerkennung im Ausland erworbener Qualifikationen nach Deutschland zu kommen.
Angesichts der Entscheidung, die Einreise weiterhin grundsätzlich davon abhängig zu machen, dass eine im Ausland erworbene Qualifikation den Standards des deutschen dualen Systems entspricht, ist dies nur folgerichtig. Denn gerade der Nachweis einer gleichwertigen Qualifikation stellt ein erhebliches Zuwanderungshindernis dar und wird aller Voraussicht dazu führen, dass über die neu geschaffenen Optionen nur wenige beruflich qualifizierte Fachkräfte einwandern werden.
Das Zweite Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht bildet in dem Migrationspaket politisch und rechtlich den Gegenpol zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Während es diesem darum geht, die rechtlichen Rahmenbedingungen so zu verbessern, dass die kommen, die kommen sollen, soll durch das Geordnete-Rückkehr-Gesetz sichergestellt werden, dass die gehen, die gehen müssen. Die von der Bundeskanzlerin in diesem Bereich schon vor zwei Jahren eingeforderte nationale Kraftanstrengung wird nun also in Gesetzesform geliefert. So ist im Gesetzentwurf die Kürzung von Sozialleistungen von Ausreisepflichtigen, die sich Mitwirkungspflichten widersetzen und aufenthaltsbeendende Maßnahmen durch eigenes Verhalten verhindern, ebenso vorgesehen wie die Einführung einer Spezialduldung für eben diese Gruppe. Ausländern mit einer solchen Duldung sind die Geduldeten grundsätzlich offenstehenden (und im Rahmen eines ebenfalls im Rahmen des Pakets beschlossenen Gesetzes weiter ausgebauten) Möglichkeiten der Erwerbstätigkeit und der Legalisierung ihres Aufenthalts durch die Nutzung von Bleiberechtsmöglichkeiten verschlossen.
Problematisch in dem Gesetzentwurf ist der Plan, Ausländerinnen und Ausländer bei einer kurz bevorstehenden Abschiebung unter bestimmten Bedingungen auch in regulären Gefängnissen unterbringen zu dürfen. Der Europäische Gerichtshof hatte 2014 eine gemeinsame Unterbringung von Ausreisepflichtigen mit Straftätern untersagt. Die Bundesregierung beruft sich jedoch auf eine europarechtliche Notstandsklausel und möchte angesichts der vergleichsweise wenigen Abschiebehaftplätze bis Juli 2022 Ausreisepflichtige auch in regulären Haftanstalten unterbringen. Unklar ist weiterhin, welche Folgen die auf den letzten Metern im parlamentarischen Verfahren ergänzte verlängerte Aufenthaltspflicht bestimmter Gruppen in Erstaufnahmeeinrichtungen haben wird.
Personen mit negativem Asylbescheid sollen das Land grundsätzlich also wieder verlassen – allerdings eröffnet ein weiteres Gesetz aus dem Paket, das Gesetz über Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung, eigentlich ausreisepflichtigen Personen wiederum die Möglichkeit, regulär in Deutschland zu bleiben und ihren Aufenthalt zu legalisieren. Gebunden ist dies an den Nachweis, dass sie mit den Behörden kooperiert haben und Eigenleistungen zur Integration nachweisen können. Verstärkt wird damit ein seit längerer Zeit beobachtbarer Trend der Prämierung integrationsspezifischer Eigeninitiative. Diese soll nun soweit gehen, dass man durch ein besonderes Eigenengagement bei der Integration eine eigentlich bestehende Ausreisepflicht übertrumpfen kann.
Hinzu kommen mit einer Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und dem Ausbildungsförderungsgesetz zwei Gesetze, für die das Bundesministerium für Arbeit und Soziales federführend war, und die vom Bundesinnenminister auf den Weg gebrachten Gesetze flankieren. Hier wird der spätestens mit dem Integrationsgesetz von 2016 begonnene Ansatz weiterentwickelt, Asylbewerberinnen und -bewerber sowie Geduldete, bei denen eine kurzfristige Ausreise nicht zu erwarten ist, im Rechtskreis des Sozialgesetzbuchs genauso zu behandeln wie Deutsche oder Ausländer mit sicherem Aufenthaltsstatus. Der Gleichklang von ‚Fördern und Fordern‘ mag abgedroschen klingen. Die im Rahmen des Pakets aber nun erfolgte Klarstellung, dass auch Asylbewerberinnen und Asylbewerber sowie Geduldete zum Kreis der Förderberechtigten gehören, Förderangebote dann aber auch annehmen müssen, passt in den pragmatischen Gesamttenor der Maßnahmen.
Die Bundesregierung hat ohne Zweifel ein enormes Paket an Regelungen auf den Weg gebracht, dessen Wirkungen genaue Beobachtung verdienen. Und das in den notorisch umstrittenen Bereichen Migration und Integration – ausgerechnet. Aktuell Meinung
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