"Nicht weitergekommen"
Dresden gedenkt Rassismusopfer Marwa El-Sherbini
Die Ägypterin Marwa El-Sherbini ist 2009 in Dresden ermordet worden. Das Motiv war Hass auf Muslime. Zehn Jahre danach resümiert Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrates der Muslime: "Wir sind nicht so entscheidend weitergekommen."
Dienstag, 02.07.2019, 5:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 07.07.2019, 23:32 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Mit einer Gedenkfeier und einer Schweigeminute im Landgericht ist am Montag in Dresden an das Rassismusopfer Marwa El-Sherbini erinnert worden. Etwa 80 Menschen, darunter Vertreter des Freistaates Sachsen und der Stadt, nahmen daran teil und legten an der Gedenktafel im Gerichtsgebäude Rosen nieder. Der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, warnte am zehnten Jahrestag der tödlichen Messerattacke auf El-Sherbini vor Rechtsextremismus, der noch immer häufig unterschätzt werde.
Die 31-jährige Ägypterin Marwa El-Sherbini wurde am 1. Juli 2009 im Dresdner Landgericht nach einer Zeugenaussage vor den Augen ihres Ehemanns und ihres damals dreijährigen Sohnes ermordet. Der Täter wurde später zu lebenslanger Haft verurteilt.
„Jeder Angriff auf welche Religion auch immer ist ein Angriff auf unsere offene Gesellschaft“, sagte Mazyek kurz vor der Gedenkfeier in Dresden. „Europa brennt, Rassismus geht quer durch ganz Europa“, sagte Thüringens Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer, der am Montag zusammen mit Mazyek als Zeitzeuge vor Ort war.
Kramer: „Gewalt wird immer mehr toleriert“
„Gewalt wird immer mehr von der Mitte der Gesellschaft toleriert“, warnte Kramer. Immer häufiger gebe es Übergriffe auf der Straße gegen Menschen, die einfach nur anders aussehen. Es gebe eine „neue Form von Terrorismus“. Dabei würden „blanker Hass und Chaos gesät“. Dem müsse mehr Solidarität untereinander entgegengesetzt werden. „Wir müssen füreinander einstehen“, forderte Kramer, der früher Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland war.
„Der Mord war ein Schock und macht bis heute betroffen“, sagte Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) bei der Gedenkfeier. Marwa El-Sherbini habe sterben müssen, weil ein Nachbar es nicht ertragen konnte, dass sie ihren Glauben selbstbewusst nach außen trug. Sie sei „aus purem Hass“ ermordet worden.
Mazyek: „Wir sind nicht weitergekommen“
Bei dem Angriff auf Marwa El-Sherbini wurde ihr Ehemann schwer verletzt. Der Wissenschaftler lebe inzwischen in den USA und versuche, Abstand zu Europa zu gewinnen, sagte Mazyek. Ihm und seinem inzwischen 13-jährigen Sohn gehe es den Umständen entsprechend gut.
„Wir sind in den vergangenen zehn Jahren nicht so entscheidend weitergekommen“, sagte Mazyek mit Blick auf wachsenden Rechtsextremismus. Rassismus sei über Jahre unterschätzt worden. Es sei zu sehr weggesehen worden. „Wir fordern vom Rechtsstaat, unserer weltoffenen Gesellschaft Schutz zu gewähren und sich stärker mit Rechtsradikalismus auseinanderzusetzen“, betonte er.
International Marwa El-Sherbini-Preis
Zu Ehren der Ägypterin vergibt der Zentralrat der Muslime Ende 2019 erstmals den „International Marwa El-Sherbini-Preis für Zivilcourage“. Die undotierte Auszeichnung gehe an Mevlüde Genc aus Deutschland und Farid Ahmad aus Neuseeland. Beide hätten durch antimuslimischen Rassismus und Hass geliebte Menschen verloren und darauf mit Versöhnung und Zusammenhalt in ihren jeweiligen Gesellschaften geantwortet, sagte Mazyek zur Begründung.
Mevlüde Genç verlor bei einem rechtsextremen Brandanschlag in Solingen 1993 mehrere Angehörige. Farid Ahmad verlor bei dem rechtsextremen Anschlag auf zwei Moscheen in Christchurch im März seine Frau. Der Ort der Preisverleihung steht Mazyek zufolge noch nicht fest.
Am Montagabend war in Dresden auch ein ökumenisches Friedensgebet in der Kreuzkirche am Altmarkt geplant. In dieser Woche stehen noch weitere Gedenkveranstaltungen für Marwa El-Sherbini auf dem Programm, darunter ein Podiumsgespräch in der Stadtbibliothek und ein Mahngang zu Lebensstationen der Ägypterin in Dresden. (epd/mig) Leitartikel Panorama
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