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Lars Castellucci, Migration, Integration, SPD, Bundestag, Politik
Prof. Dr. Lars Castellucci ist migrations- und integrationspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

Seenot

Die Rettung liegt an Land

Wir müssen Ausbrechen aus der kurzfristigen Betrachtung der Flüchtlingsfrage. Die Lösung liegt nicht auf den Schiffen, sondern an Land. Sie besteht aus einem Dreiklang aus Sicherheit, Versorgung und Perspektiven. – Ein Gastbeitrag von Dr. Lars Castellucci, migrationspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

Von Dr. Lars Castellucci Mittwoch, 10.07.2019, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 11.07.2019, 17:52 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Gerade konnten 65 aus Seenot gerettete Menschen von der unter deutscher Flagge fahrenden „Alan Kurdi“ in Malta an Land gehen, schon befindet sich das Schiff wieder im nächsten Einsatz. Kurz durchatmen, schon beginnt das Drama von neuem. Seit Monaten läuft es so. Wiederkehrend und absehbar findet ein unwürdiges, öffentliches Tauziehen darum statt, wer den längeren Atem hat: Die Helfer und ihre Schützlinge oder die Regierungen, die diese Situation mit dem Rückzug von der internationalen Militärmission erst herbeigeführt haben. Kann es so schwer sein, ein paar Dutzend Migranten aus der Not in Sicherheit zu bringen, zumal Städte und Kommunen eines wachsenden Netzwerks bereit sind, die Menschen von den Booten aufzunehmen?

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Vorschläge hierzu liegen auf dem Tisch. Über 250 Organisationen haben bereits im April einen Notfallplan des Europäischen Flüchtlingsrats unterstützt, darunter Brot für die Welt, Misereor, der Deutsche Caritasverband, Diakonie Deutschland, Amnesty International und Ärzte ohne Grenzen.

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Demnach sollten aufnahmebereite Mitgliedsstaaten der Europäischen Union aus Seenot gerettete und in EU-Mittelmeeranrainerstaaten gestrandete Schutzsuchende in einem geordneten Verfahren aufnehmen. Für die Städte und Kommunen, die sich bereiterklärt haben, müsse eine Möglichkeit geschaffen werden, freiwillig zusätzliche Schutzsuchende aufzunehmen. Jede Unterstützung und Ausbildung der sogenannten libyschen Küstenwache müsse eingestellt werden, Rückführungen nach Libyen sollten unterbleiben, denn dort sind sie systematisch Folter, Versklavung und Gewalt ausgesetzt. Ein solcher Plan gründet auf Menschenrechten, ohne die Europa seinen Sinn verliert, setzt auf eine Koalition der Willigen und auf demokratische Beteiligung, indem nur diejenigen in eine Verteilung einbezogen werden, die dies ausdrücklich wünschen. Dieser Plan verdient Unterstützung. Doch er erhält sie bislang nicht.

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Denn zwei Gruppen stehen sich unversöhnlich gegenüber: Lebensrettung und Menschenrechte sagen die einen, Erpressung und Schleuseraktivitäten die anderen. Um endlich Bewegung in die Angelegenheit zu bekommen, müssen wir versuchen, den Standpunkt der anderen zu verstehen, auch wenn wir ihn nicht teilen. Ein Teil der Kritik an der Seenotrettung entzündet sich daran, dass das Geschäftsmodell der Schlepper unterstützt würde. Außerdem würde es sich um illegale Migranten, nicht um Flüchtlinge handeln. Es ist eine Schande, wenn solche Argumente vorgebracht werden, um das Nichtstun zu rechtfertigen. Seenotrettung ist Menschenpflicht, ohne Wenn und Aber. Private Rettungsmissionen erfüllen nur die Aufgaben, die die internationale Staatengemeinschaft nicht bereit ist zu erfüllen. Sie verdienen Respekt und Unterstützung, nicht Anklagen und Behinderung ihrer Arbeit.

Wenn wir Lösungen finden wollen, dann müssen wir die Gegenargumente gleichwohl ernst nehmen, auch wenn sie und die Personen, die sie äußern, schwer erträglich sind. Wollen wir nicht alle lieber eine Welt ohne Schlepper? Und macht es nicht Sinn, Schutzsuchenden aus politischer Verfolgung oder Bürgerkrieg Schutz zu gewähren und sie gleichzeitig zu unterscheiden von denen, die aus sehr nachvollziehbaren Gründen ein besseres Leben suchen (und für die wir dann legale Wege der Arbeitsmigration eröffnen sollten)? Derzeit wird versucht, den Schleppern das Handwerk zu legen, indem die Seenotrettung unterbrochen wird: Die EU-Mission Sophia ist beendet, private Seenotrettung wird massiv behindert, viele weitere Schiffe umfahren die Zonen weitläufig. Diese Strategie ist so wirksam wie tödlich. Wenn Menschen in Not geraten, müssen sie gerettet werden. Dabei zählt nicht, wer sie sind, nicht, wer ihre Lage herbeigeführt hat, es zählt allein, dass sie Menschen sind und Hilfe bedürfen. Dafür braucht es umgehend eine staatliche Rettungsmission, statt einer Behinderung der privaten Helfer. Und dafür braucht es wiederum einen Verteilmechanismus, an dem sich mehrere Staaten beteiligen und bei dem die aufnahmebereiten Städte und Kommunen eine tragende Rolle spielen können. Das wird aber nur erreichbar sein, wenn wir aus der kurzfristigen Betrachtung ausbrechen und den Blick weiten für eine wirkliche Lösung der Problematik. Und diese liegt nicht auf den Schiffen, sie liegt an Land. Sie besteht aus einem Dreiklang aus Sicherheit, Versorgung und Perspektiven zur sicheren und legalen Weiterreise über Kontingente für Schutzbedürftige sowie legalen Wegen der Arbeitsmigration, wie sie beispielsweise mit dem neuen deutschen Einwanderungsgesetz eröffnet werden.

Dafür benötigen wir erreichbare, sichere Orte und Hilfen überall entlang der Flucht- und Migrationsrouten, die vom UNHCR geleitet werden und Versorgung, Beratung und Unterstützung bieten. Es gibt nicht die eine Lösung, die überall passen soll. Und es gibt Lösungsvorschläge, die keine sind. Immer wieder gibt es etwa Vorschläge, für die Geflüchteten überall Lager zu errichten. Für Sozialdemokraten verbietet sich dieser Lagerdiskurs, denn Sozialdemokraten sind einst in Lagern ums Leben gekommen. Es muss stattdessen immer um Menschenrechte gehen, also um einen Menschenrechtsdiskurs. Die wenigsten Geflüchteten leben in Camps oder Lagern und diese sollten nur in akuten Notsituationen eine Anlaufstelle auf Zeit sein. Der überwiegende Teil der gemischten Gruppen aus Geflüchteten und Migranten lebt unter prekären Umständen in den Herkunfts- oder Transitländern. Dort benötigen sie einen legalen Aufenthaltsstatus, das Nötigste zum Leben und Perspektiven, wie es mit ihnen weitergehen kann. Ebenso bedarf es einer grundlegenden Versorgung und Unterstützung, wo sie anders nicht gewährleistet wird. Wir müssen die Antwort umdrehen: nicht überlegen, wohin mit den Menschen, sondern zunächst einmal hin zu den Menschen überall dort, wo sie leiden, unterversorgt sind und Perspektiven fehlen.

Die libyschen Detention Camps sind keine dieser Anlaufstellen auf Zeit, sie sind Gefängnisse. Es herrschen dort unwürdige Bedingungen, die die libysche Regierung nicht abstellen kann, weil sie nur über einen sehr kleinen Teil des Landes überhaupt die Kontrolle besitzt. Diese Camps müssen aufgelöst und ihre Insassen evakuiert werden. Dies geschieht bereits über die „Gathering and Departure Facility“ des UNHCR in Tripolis. Der Standort ist schwierig, denn er befindet sich innerhalb des Rings, um den die aktuellen Kampfhandlungen stattfinden, und ist folglich zur Zeit nicht erreichbar, nicht einmal für ausländische Diplomaten. Dennoch kann dieses Zentrum ein Modell sein. Es sollte mit mehr Ressourcen ausgestaltet und an weiteren Orten umgesetzt werden, nicht nur in Libyen. In diese Zentren sollten die Insassen der fürchterlichen libyschen Detention Camps verbracht werden und auch diejenigen, die auf Booten in libyschen Gewässern aufgegriffen werden. Aus diesen Zentren ebenso wie von anderen Anlaufstellen entlang der Flucht- und Migrationsrouten kann dann für die Schutzbedürftigen das sogenannte Resettlement auch nach Europa erfolgen, beispielsweise in die Städte des Netzwerks „Sichere Häfen“. Andere erhalten Hilfen für eine Existenz im bisherigen Transit- oder Herkunftsland. Mit enger Kooperation staatlicher Verwaltungen und Projekten der Entwicklungszusammenarbeit können überdies mittelfristig die Regelungen unseres Fachkräfteeinwanderungsgesetzes so umgesetzt werden, dass auch legale Migration nach Europa für einen Teil der Gestrandeten zur Perspektive wird.

All dies kann nach und nach den Druck mindern, sich mithilfe von Schleppern auf eine gefährliche Reise mit offenem Ausgang zu begeben. Und dies können wir dann bei uns und hoffentlich auch in Europa nutzen, um humanitäre Aufnahmekontingente weiter zu erhöhen. Schlagen wir den Rechtspopulisten, die den Tod von tausenden Menschen in Kauf nehmen, die Argumente aus der Hand. Entwerfen wir legale, geordnete und sichere Verfahren für Schutzbedürftige wie Arbeitsmigranten. Nicht nur für die Menschen in Seenot gilt: Die Rettung liegt an Land. Aktuell Meinung

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  1. balaban sagt:

    Herr Castelucci hat mit seiner SPD alle desaströsen Migrationsgesetze der letzten Zeit durchgepeitscht. Ihnen war nicht mal wichtig, ein ordentliches Anhörunsgverfahren in der Gesetzgebung durchzuführen. Alles eine Farce.
    Das es dabei um Humanität gegangen sein soll, lässt sich nirgends an den Paragraphen nachlesen. In Statemenst wie diesen schon. Doch wen interessiert mein Geschwätz.

    Ich muss nicht verstehen, warum die AFDisierung der Politik als Verständnis für die Gegenseite verkauft wird. Die SPD und besonders Herr Castelucci, haben sich für die nächsten Jahre , wenn nicht Jahrzehnte disqualifiziert. Sie scheinen den Weg der dänischen Sozilademokratie einzuschlagen. Danke für Nix, Herr Castelucci

  2. balaban sagt:

    Ach ja: Hier nachlesen, Herr Castellucci, falls sie immer noch nicht wissen, dass sie nicht in der Opposition sind:

    https://kurzelinks.de/gryh