Rassismus
Ein weiterer Brief an meine Kinder
Liebe Kinder, ihr habt noch keinen Blick dafür, wie der Hausmeister euch ansieht. Ihr hört noch nicht heraus, wenn Frau G. euch als wild und lebhaft beschreibt, während eure Kumpels als unkonzentriert eingestuft werden. Ein Gastbeitrag von Sami Omar
Von Sami Omar Mittwoch, 31.07.2019, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 05.08.2019, 17:28 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Liebe Kinder,
zieht nicht aufs Land! Wir haben das euretwegen gemacht. Denn der Garten, eure Zimmer, all das ist in der Stadt nicht bezahlbar – nicht für uns. Wenn ihr älter seid, müsst ihr soviel Geld verdienen, dass ihr euch ein Leben in der Stadt leisten könnt. Denn hier, auf dem Land, sieht man uns. Beim Einkauf. Beim Sport. Beim Essen. Beim Spielen. Überall. Das ist nicht immer böse gemeint. Aber so schrecklich. In der Stadt gibt es so viele Menschen mit brauner Haut, dass selbst die, die glotzen wollen, dessen irgendwann müde werden. Deutsche gibt es dort in allen Farben. Auf dem Land gibt es nur gute und schlechte Ausländer. Nichts von beidem sind wir!
Wir haben uns so über eure Zeugnisse gefreut. Ihr seid toll! Wie ihr sprecht. Was ihr fragt. Wie ihr zu Gästen seid. Was ihr seht und hört und versteht. Es tut mir so leid, dass das nicht reichen wird, um euch vor Verachtung und Hass zu schützen. Denkt darüber nach, ob ihr Sch*ße gebaut habt. Wenn ihr keine Schuld habt, geht es fast immer um eure Hautfarbe. Manchmal werdet ihr denken, sie sei der Grund dafür, dass man euch weniger Wert beimisst, als denen, die Weiß sind. Doch das stimmt nicht. Es ist wie mit den Mädchen aus eurer Schule, die es so schwer haben. Immer haben die Schuld, die sie verachten und nicht die Mädchen, die so sprechen, wie sie sprechen, aussehen, wie sie aussehen und küssen, wen sie küssen wollen. Die, die schlecht über sie sprechen, sind auch die, die besser dastehen, wenn sie sie fertigmachen. So funktioniert auch Rassismus.
Ihr habt noch keinen Blick dafür, wie der Hausmeister euch ansieht. Ihr hört noch nicht heraus, wenn Frau G. euch als wild und lebhaft beschreibt, während eure Kumpels als unkonzentriert eingestuft werden. Das ist nämlich etwas, was jeder mal hat – schlecht geschlafen oder keine Lust. „Wild“ und „besonders lebhaft“ sind dagegen Charaktereigenschaften, die schon immer für uns Schwarze Menschen gebraucht wurden und an uns haften blieben. Sie werden auch in den Tier-Dokus gebraucht, die wir manchmal netflixen – und das bedeutet etwas!
Wenn wir so streng sind, mit den Ellenbogen auf dem Tisch beim Abendessen und mit der Kleidung, die nicht unordentlich aussehen soll. Dann, weil wir euch schützen wollen. Das Wort Kultur bedeutet ungefähr, dass alle Menschen in einer Gesellschaft gelernt haben bestimmte Dinge gleich zu tun. Von uns denkt man oft, wir können das nicht. Und wer das nicht kann, gehört nicht dazu. Deshalb der ganze Terz am Esstisch. Als ich so alt war wie ihr jetzt, wurde eure Großmutti manchmal gefragt, ob ich mich benehme und ob ich dasselbe Essen esse, wie der Rest der Familie. All das, weil man annahm, ich sei von Natur aus anders, als eure Onkel und Tanten, die ja alle Weiß sind. Tut mir leid, wenn ich das mit den Benimmregeln manchmal übertreibe, aber wenn ihr groß seid, werdet ihr euch aussuchen können, wo und wann ihr euch danebenbenehmen könnt, weil ihr das im Griff habt. Das nennt man Kultiviertheit und sie hilft manchmal weiter.
Ihr hört ja jetzt meine Musik mit und versteht, das Schwarze Rapper das N*-Wort sagen, über das ich so oft schimpfe. Ich habe keine gute Entschuldigung dafür. Als ich anfing diese Musik zu hören, waren diese Rapper fast die einzigen Schwarzen Menschen, die selbstbewusst gegen Regeln verstoßen haben. Und das hat mich beeindruckt. Das Wort haben meine Schwarzen Freunde und ich dann auch zueinander gesagt. Es war, wie ein geheimer Code, den nur wir benutzen durften. Und das tat irgendwie gut. Ich benutze das Wort nicht mehr. Tut ihr es auch nicht. Lasst es uns wie mit F**ze und Bi*** und all den anderen hässlichen Worten machen: Wenn der Track super ist, hören wir ihn und lassen den Schrott beim Mitsingen aus.
Vor ein paar Tagen wurde ein Mann aus Eritrea angeschossen. Von einem Nazi. Wir waren ja im Auto, als im Radio darüber gesprochen wurde. Da hat eine Frau gesagt, dass der Mann angeschossen wurde, weil er Schwarz ist. Ihr versteht doch, dass das Blödsinn ist, oder?! Denn das ist ja nichts Schlechtes! Er wurde angeschossen, weil ein böser Mann ihm etwas Böses wollte. Den Grund, den er sich dafür ausgesucht hat, war die Hautfarbe des Opfers. Ich weiß, dass ihr das checkt und erkläre es euch trotzdem. Lebt damit!
Der neue Fußball hat übrigens 25 Euro gekostet. Ich bekomme also 6,25 Euro von jedem von euch. Verliert ihn nicht wieder!
To the bang bang boogie
Say up jump the boogie
to the rhythm of the boogie the beat
Love, Papa Leitartikel Meinung
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Toller Beitrag! Sollten sich viele durchlesen und dann über die Vorurteile im Kopf mal nachdenken. Es wäre um vieles einfacher, wenn es diese Vorurteile und inneren Barrieren nicht gäbe!!!
Lieber Sami Omar,
mich stimmt dieser Brief an Ihre Kinder traurig.
So viel Fatalismus klingt daraus.
Soll das Ihre Kinder stärken für die Unwägbarkeiten in diesem Leben?
Geben Sie ihnen damit nicht das Gefühl, ewig Opfer zu sein?
Wir Erwachsene sollten Kindern nicht die Hoffnung nehmen auf eine Welt,
in der alle Menschen gleichwürdig miteinander leben können.
„I have a dream……“
Liebe Ute,
Das ist nicht Fatalismus sondern Realität. Schwarze wissen das aus Erfahrung. Wir haben uns das nicht ausgesucht, aber ob wir wollen oder nicht, wir sind Experten auf dem Gebiet. Ca. im KiGa-Alter beginnt es, mit dem Wahrnehmen eine Minderheit in der Mehrheitsgesellschaft zu sein. Ich hätte mir gewünscht in meiner Kindheit hätte es mehr POCs gegeben welche mich in jener Navigation auf dem Terrain unterstützen hätten können. Mittlerweile komme ich an den meisten Tagen klar, dass einzige was mich immer noch nervt, ist wenn Weiße grundsätzlich besser wissen was Rassismus ist als Schwarze und wie man damit in dieser Gesellschaft umgehen sollte. Schlaue Tipps von nicht Betroffenen braucht niemand.
@Kemi-Ka
Verwundert mich, dass Sie meine Erinnerung an M.L.King und seinen Traum von einer Welt, in der Menschen sich gleichwürdig begegnen, als ’schlaue Tipps für Betroffene“ einsortieren.
Ist Ihnen nicht daran gelegen, die von Ihnen wahr genommene Realität zu verändern? Welche Vorstellungen haben Sie, wie diskriminierende, ausbeutende Gewaltverhältnisse sich wandeln können?
Ich hab von M.L. King tatsächlich mehr gelesen als nur ein paar Reden. Amerikanische Historiker haben sein Bild wunderbar erträglich und und für Weiße überhaupt nicht bedrohlich wirkend verzerrt. Sollten sie vllt. mal mehr über King gelesen haben als die paar Allgemeinplätze… Hey, vllt werden sie sogar erfahren, dass die „I have a dream“- Rede, eine bereits über ein Jahr alte Rede war, bevor sie in der Hauptstadt gehalten wurde und die ursprünglich geplanten Themen nicht angesprochen wurden, weil es zu radikal und düster war.. Aber was erzähle ich… wenn Weiße schlaue Tipps haben , dann wissen jene es sicher besser als ich…
@Kemi-Ka – An Aufklärung und Weiterdenken immer interessiert, daher Danke für Ihre Hinweise. Mir ist nicht am „Besserwissen“ , sondern weiterhin an der Frage gelegen, wie das gute Leben für ALLE auf den Weg kommen kann ?!