Angeklagter Alaa S.
„Und dann kommt die Polizei und fasst nur uns beide“
Der Angeklagte Alaa S. beteuert, er habe den Chemnitzer Daniel Hillig „nicht angefasst“. Die bisherigen Ermittlungen bestätigen Alaa S.‘ Aussage. Ermittler fanden bisher keine Spuren von ihm an der Tatwaffe. Trotzdem hat er Angst – auch vor dem Gericht.
Mittwoch, 21.08.2019, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 26.08.2019, 16:24 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Wenige Tage vor dem möglichen Urteil im Prozess zum Tod Daniel Hilligs konnte das ZDF-Magazin „Frontal 21“ mit dem Beschuldigten Alaa S. ein Telefoninterview führen. Er sitzt seit einem Jahr in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Waldheim in Untersuchungshaft. Der 23-jährige Syrer bestreitet in dem Gespräch, Daniel Hillig in der Nacht zum 26. August 2018 in Chemnitz erstochen zu haben. Er sei aus einem Döner-Imbiss hinausgelaufen, weil er Rufe gehört habe. „Ohne hinter mich zu gucken, bin ich einfach so mit denen abgehauen. Und dann kommt die Polizei und fasst nur uns beide“, berichtete Alaa S.
Der gemeinsam mit Alaa S. festgenommene Yousif A. wurde wenig später aus Mangel an Beweisen wieder freigelassen. Er stellte Strafanzeige gegen Staatsanwalt und Richter. Ein weiterer Tatverdächtiger, Farhad A., ist untergetaucht und flüchtig. Alaa S. beteuert, an der Tötung Daniel Hilligs nicht beteiligt gewesen zu sein: „Ich schwöre bei meiner Mutter, ich habe ihn nicht angefasst. Ich habe überhaupt nicht das Messer angefasst.“ Alaa S. hat bisher im Prozess zu den Vorwürfen geschwiegen.
Angst vor dem Gericht
Alaa S. sagte im Gespräch mit „Frontal 21“, dass er nach einem Jahr Untersuchungshaft kaum noch an ein faires Urteil glaube. „Ich habe Angst vor jedem hier, ich habe Angst vor den Mitgefangenen, ich habe Angst vor den Beamten. Ich habe sogar Angst vor dem Gericht.“
Tatsächlich lastet auf den Prozessbeteiligten ein großer Druck. So hatte die Bürgermeisterin von Chemnitz, Barbara Ludwig (SPD), gesagt, sie hoffe auf eine Verurteilung, „damit die Angehörigen Ruhe finde können“.
International Schlagzeilen
Der Tod von Daniel Hillig hatte Chemnitz international in die Schlagzeilen gebracht, weil bei Demonstrationen und sogenannten Trauermärschen Rechtsextreme Hitlergrüße zeigten, die Polizei und Gegendemonstranten angegriffen. Alaa S. hofft, dass das Gericht sich davon nicht leiten lässt: „Wir sind nicht in Syrien oder in Afghanistan oder im Irak. Ich bin in Deutschland, in einem demokratischen Land.“ Die Wahrheitsfindung müsse an erster Stelle stehen.
Am Montag, 19. August 2019, hatte die Staatsanwaltschaft eine hohe Freiheitsstrafe für den Angeklagten gefordert. In seinem Plädoyer beantragte Anklagevertreter Stephan Butzkies eine Gesamthaftstrafe wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung von zehn Jahren. Die Höchststrafe bei Totschlag beträgt 15 Jahre.
Keine DNA-Spuren
Die Staatsanwaltschaft stützt sich im Wesentlichen auf die Aussagen eines ehemaligen Angestellten eines Döner-Ladens. Der hatte zunächst berichtet, dass er den Angeklagten aus einem Fenster des Imbisses am Tatort gesehen habe, wie er mit schlagenden oder stechenden Bewegungen auf das Opfer eingewirkt habe. Bei späteren Vernehmungen und auch vor Gericht wurden seine Aussagen zunehmend unpräziser.
Im Laufe des Prozesses wurde klar, dass die Polizei keinerlei Spuren von Alaa S. an der Tatwaffe finden konnte. Es fehlen auch DNA-Spuren des Täters am Opfer. Für einige Prozessbeobachter bestehen Zweifel, ob mit Alaa S. der Richtige auf der Anklagebank sitzt.
Warten auf die Wahrheit
Alaa S. sagte, ihn habe die Konfrontation mit der Mutter und der Schwester des Getöteten im Gerichtssaal besonders belastet. „Danach konnte ich nicht mehr schlafen. Der den Sohn getötet hat, dem wünsche ich lebenslang. Ich schwöre auf Allah, ich habe damit nichts zu tun“, sagt Alaa S. im Telefoninterview und fügt hinzu, er könne die Trauer der Mutter nachvollziehen, da er eine Schwester verloren habe und die Gefühle seiner Mutter erlebt habe.
„Seit einem Jahr warte ich nur auf die Wahrheit“, sagt Alaa S. im Interview. Am Donnerstag will die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Chemnitz das Urteil sprechen in einem Fall, der Chemnitz aufgewühlt und dessen Folgen Deutschland aufgeschreckt haben.
Am 26. August 2018 war es am Rande des Chemnitzer Stadtfestes zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen zwei Gruppen gekommen, die eskalierte. Der Deutschkubaner Daniel H. wurde dabei erstochen. Der tödliche Vorfall löste eine Reihe ausländerfeindlicher Proteste in der Stadt aus, die bundesweit für Aufsehen sorgten. Zudem führte die politische Bewertung der Proteste zu einer Krise in der Bundesregierung und zum Rücktritt von Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen. (mig) Leitartikel Panorama
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