Völkermord an Herero und Nama
Polenz: „Die Grausamkeiten in Erinnerung rufen, die Deutschland verübt hat“
Anfang des 20. Jahrhunderts ermordeten deutsche Kolonialtruppen Zehntausende Angehörige der Herero und Nama im heutigen Namibia. Historiker bezeichnen diese Gräueltaten als "ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts". Seit 2015 gibt es Gespräche über eine Wiedergutmachung. Verhandlungsführer Ruprecht Polenz erklärt im Interview, warum die Gespräche so lange laufen und warum es keine Entschädigung gibt.
Von Mey Dudin Mittwoch, 29.01.2020, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 28.01.2020, 15:58 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Herr Polenz, die Verhandlungen dauern deutlich länger als ursprünglich geplant: Bisher gab es sieben Runden, die letzte war vor mehr als einem Jahr in Namibia. Wann geht es weiter?
Ruprecht Polenz: Wir bereiten ein Treffen für Februar oder März vor, zu dem die namibische Seite nach Berlin kommen wird. Verhandelt wird über ein Paket aus mehreren Komponenten. Ein Teil ist weitgehend abgeschlossen und zwar der, dass wir die damaligen Ereignisse in einer gemeinsamen Sprache benennen und beschreiben wollen. Dabei wird auch der Begriff Völkermord vorkommen und es werden die Grausamkeiten in Erinnerung gerufen, die Deutschland verübt hat. Die gemeinsame Sprachregelung kann beispielsweise in einen Resolutionstext fließen, der von den Parlamenten verabschiedet werden könnte. Der Text beschreibt die Grundlage dessen, wofür wir um Entschuldigung bitten wollen.
Warum wurde eine Entschuldigung nicht schon längst ausgesprochen?
„Wir Deutsche haben sehr viel Schuld auf uns geladen in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Aber persönliche Entschädigungen wurden nach 1945 so geregelt, dass nur Menschen sie bekommen haben, die selber in Konzentrationslagern gelitten hatten oder in Zwangsarbeit gezwungen worden waren.“
Ruprecht Polenz: Wir hätten lieber gestern als heute um Entschuldigung gebeten. Für die namibische Seite ist es wichtig zu wissen, was daraus folgen soll. Wir sprechen beispielsweise über eine gemeinsame Erinnerungskultur, die von einer deutsch-namibischen Zukunftsstiftung erarbeitet werden könnte. Schulbuchprojekte wären möglich, Erinnerungsorte im öffentlichen Raum oder ein Jugendaustausch. Außerdem reden wir über Maßnahmen in Gebieten der Herero und Nama, in denen die Spätfolgen des Völkermords spürbar sind. Dort soll es eine bessere Gesundheitsversorgung geben, preiswerteren Wohnraum und bessere berufliche Chancen. Thema ist auch die weitere Überführung menschlicher Gebeine.
Wären als Wiedergutmachung auch individuelle Entschädigungen möglich?
Ruprecht Polenz: Nein. Wir Deutsche haben sehr viel Schuld auf uns geladen in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Aber persönliche Entschädigungen wurden nach 1945 so geregelt, dass nur Menschen sie bekommen haben, die selber in Konzentrationslagern gelitten hatten oder in Zwangsarbeit gezwungen worden waren. In Namibia haben wir es jetzt mit der Urenkelgeneration zu tun. Es ist also keine Rechtsfrage über die wir sprechen, sondern eine politisch-moralische Frage.
Sind Nachkommen der Überlebenden an den Verhandlungen beteiligt?
Ruprecht Polenz: Die namibische Delegation ist von der namibischen Regierung zusammengesetzt. Der Verhandlungsführer Dr. Zed Ngavirue ist Herero. Manche sind unzufrieden darüber, weil sie nicht dabei sind, und beklagen sich laut. Aber es ist die Angelegenheit der namibischen Seite.
Wann werden die Verhandlungen abgeschlossen sein?
Ruprecht Polenz: Von uns aus möglichst bald, aber es ist schwer zu sagen. Es hängt davon ab, mit welchem Ergebnis die namibische Seite zurückkommt. Wenn es soweit ist, werden wir alle Ergebnisse auf einen Schlag veröffentlichen. (epd/mig) Aktuell Interview Politik
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