Nebenan
Deutschland – Land der Einzeltäter
Wenn Ahmed sich in die Luft sprengt in der Hoffnung auf 72 Jungfrauen in der Ewigkeit, wird seine Psyche nicht in Frage gestellt. Komplett bescheuert sind immer nur die Nazis – und die Hessen-CDU.
Von Sven Bensmann Dienstag, 25.02.2020, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 24.02.2020, 13:38 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Schon wieder. Hanau zeigt allen, die es sehen wollen, dass die rechte Szene sich im Netz radikalisiert. Dass sie sich bewaffnet. Und dass sie in zunehmendem Maße tödliche Gewalt einsetzt.
Dem entgegen steht eine seit 75 Jahren aufrecht erhaltene Erzählung, dass alle Nazis seit Hitler eigentlich Einzeltäter waren. Hitler, dieser Dämon, der Verführer der Deutschen, hat ganz allein Millionen Juden ermordet und Kriege in Ost und West geführt. Gundolf Köhler, Beate Zschäpe, Lutz Bachmann – alles Einzeltäter, keine Netzwerke. Gott sei Dank müssten wir uns doch sonst damit beschäftigen.
Volker Bouffier nun, dieser Kronprinz von Roland Koch, in dessen Hessen der Attentäter von Hanau aufgewachsen ist, konnte deshalb auch geknickt und doch voller Inbrunst erklären, dass wir gegen dieses Klima vorgehen müssten, in dem diese Einzeltäter wachsen und dabei auf die AfD zeigen. Dass er und sein Vorgänger oft deutschlandweit durch ihre Panikmache vor Linken und Ausländern aufgefallen sind, genau das Klima also geschaffen haben, in dem AfD und Pegida nun gedeihen – natürlich auch, weil Merkel vom hessischen Landesverband ein Bekenntnis zum Grundgesetz eingefordert hatte – ist da längst vergessen.
Ob Bouffier hie und da lichte Momente erlebt, in denen ihm plötzlich gewahr wird, dass die AfD auch nur ein lauwarmer Aufguss ebendieser Hessen-CDU der 90er ist, dass er und sein Landesverband genau den Hass gesät hat, denn sein Bundesland nun erntet, ist natürlich nicht überliefert – dieses Gefühl, dass jenem ähneln dürfte, langsam den Verstand zu verlieren und daran als bewusstes Subjekt teilzunehmen, ohne etwas ausrichten zu können, von dem Demenzkranke gelegentlich berichten, es sei ihm jedoch gewünscht. Ich kann nur hoffen, dass Volker Bouffier in diesen Tagen dann doch gelegentlich allein vor dem Kamin sitzt und ein „Diese Menschen habe auch ich getötet.“ in seinen Rotwein schluchzt.
Reden wir trotzdem von einem anderen Einzeltäter als Volker Bouffier. Reden wir von dem Mörder aus Hanau. Dieser „psychisch gestörte“ Einzeltäter erfüllt eigentlich alle Kriterien: Ein ungelöster Mutterkonflikt, der ihn davon abhält, mit 43 Jahren endlich bei Mami auszuziehen, gleichzeitig aber dafür sorgt, nach einem Amoklauf erst mal wieder zu Mami zurückzufahren und erst sie, dann sich selbst aus dem Leben zu schießen. Das auch international mittlerweile weitverbreitete Gejammer des InCel-Untermenschen (von „involuntary celibate“, dt: „unfreiwillig ungepimpert“) davon, dass ihn keine in Mamis Kartoffelkeller ranlassen wollte. Die Kompensation durch Übermenschenideologie und Hass auf Frauen und Ausländer („Der Feminismus ist schuld, dass Frauen jetzt eine Wahl haben und sich andere Männer als mich suchen, ausländische Männer.“). Und natürlich jene Episode, bei dem er einen Hellseher kontaktierte, weil er die Geheimdienste hinter sich wähnte – auf deren Blindheit gegenüber Rechtsterroristen man sich weiter blind verlassen kann – und diesem zu irre daherkam. Ich möchte das noch einmal betonen: Ein Typ, der meint, in die Zukunft gucken und mit Geistern und Toten reden zu können, hielt den Hanauer Täter für komplett bescheuert. So weit muss man es auch erst einmal bringen.
„Wann haben wir Crazy Ahmed, der sich in Syrien mit einem Auto in die Luft gesprengt hat, um die Ewigkeit mit 72 Jungfrauen zu verbringen, eigentlich mal zugestanden, komplett bescheuert zu sein und ihn nicht etwa auf sein Muslimsein reduziert?“
Und damit steht die Analyse eben auch schon fest: Sicher, der Kerl war ein Nazi, hat Ausländer ermordet, weil er Ausländer ermorden wollte, hat Terror verbreitet, weil er Terror verbreiten wollte, aber deswegen handelt es sich doch noch lange nicht um einen rechten Terroristen. Der war ja auch bescheuert und deshalb war es eine Tragödie, aus der wir keine Analysen und keine Handlungsanweisungen für die Zukunft ableiten müssen.
Mal abgesehen davon, dass es sicher nicht schadet, ordentlich bescheuert zu sein, um sich der Nazi-Ideologie anzuschließen: Wann haben wir Crazy Ahmed, der sich in Syrien mit einem Auto in die Luft gesprengt hat, um die Ewigkeit mit 72 Jungfrauen zu verbringen, eigentlich mal zugestanden, komplett bescheuert zu sein und ihn nicht etwa auf sein Muslimsein reduziert? Ist der Akt des Selbstmordattentats aufgrund der ausgelobten Jungfrauen nicht so etwas wie „InCel in a nutshell“?
Warum äußert ein Muslim irgendwo eine fragwürdige Botschaft und sofort ist der Islam insgesamt eine Hass-Ideologie – aber wenn Nazis Menschen umbringen, dann psychologisieren frei ins Blaue, statt Rassismus, Faschismus, Antisemitismus, Sexismus klar als das zu benennen, was sie sind: Hass-Ideologien. Es gibt Millionen Muslime allein in Deutschland, die friedfertig leben und leben wollen – Nazis: not so much. Warum? Genau!
Trotzdem stellen wir uns in Wochen wie diesen an die Seite von Leuten wie Volker Bouffier, laden weiter AfD-Leute in Talkshows ein, um mit ihnen zu reden, leisten uns eine Werte-Union in der CDU, die gar nicht schnell genug zusammen mit dem Patron der Rechtsextremen, Hans-Georg Maaßen, die AfD zur Koalition einladen will. So funktioniert das aber nicht. Dieser rechte Flügel der CDU ist die Einstiegsdroge, die schnell zu Härterem führt.
Rechtsextremismus muss daher überall ausgegrenzt werden – nicht erst da, wo Menschen erschossen werden, sondern, wo ein Volker Bouffier, ein Horst Seehofer, ein Markus Söder, ein Hans-Georg Maaßen und natürlich auch ein Bernd Lucke die Ideologie für das bereiten, was zuletzt in Hanau geschehen ist. Wir können es diesen Leuten nicht durchgehen lassen, wenn sie sich von Taten wie der von Hanau distanzieren. Wer davon redet, die Einwanderung bis zur letzten Patrone bekämpfen zu wollen (wie Horst Seehofer), muss sich nicht wundern, wenn sich Leute finden, die zur Waffe greifen. Nein, er ist sogar direkt verantwortlich, mitschuldig.
Wahrscheinlich bleibt von Hanau aber trotzdem nur das: Wir sind alle geschockt! Was kümmert einen Hassprediger sein Geschwätz von gestern? Was können die dafür, wenn sie jemand beim Wort nimmt? Und wie weit sind die eigentlich mit der Entwicklung eines bezahlbaren Sexroboters, der dann einfach auf Rezept an all die InCels ausgeliefert werden kann? – am Ende scheint nämlich das dann doch das einzige Rezept, um den potenziellen Gewalttätern ihren sexuellen Frust zu nehmen und damit eine Prävention zu betreiben, die nicht erfolgreich von der „bürgerlichen“ Seite des Parlaments hintertrieben wird. Meinung Politik
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„Nach Hanau war schon vor Hanau“
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