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Das unbekannte Wesen: der migrantische Vater
Der migrantische Vater. Die sind ja so schlecht zu erreichen. Die haben ja so patriarchale Vorstellungen. Die, die, die. Der Verband binationaler Familien und Partnerschaften hat diese Schubladen geöffnet und verblüffende Entdeckungen gemacht.
Donnerstag, 26.03.2020, 5:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 25.03.2020, 19:13 Uhr Lesedauer: 8 Minuten |
Der Verband binationaler Familien und Partnerschaften hat sich einem Thema genähert, das im öffentlichen Bewusstsein kaum Betrachtung findet: der migrantische Vater. Die „verblüffende Entdeckung“, die Alexandros Stathopoulos, Geschäftsführer der Region Frankfurt des Verbandes, gemacht hat: Zwar sind „die Hälfte aller Eltern Papas. Die allermeisten Angebote richten sich jedoch an Mamas. Väter finden in vielen Angeboten für Familien gar nicht statt.“ Wenn man dann auf Väter schaut, die in Deutschland nicht sofort als Deutsche wahrgenommen werden, wird es richtig dünn. Und so fragt der Geschäftsführer: „Was macht das mit ihnen und ihrem Väterbild?“
Auslöser des vom Hessischen Ministerium für Soziales und Integration geförderten Projekts1 war zum einen die begründete Annahme, dass es für diese Gruppe nur wenige Angebote gibt. Zum anderen das klischeehafte Bild von migrantischen Vätern. Oft heißt es: „Die sind ja so schlecht zu erreichen. Die haben ja so patriarchale Vorstellungen. Und immer so dieses ‚die, die, die‘.“ Genau diese Schubladen, in der migrantische Väter oft festsitzen, wollte der Verband öffnen. Zudem ging es auch darum sichtbar zu machen, dass sie in der Regel dieselben Sorgen, Freuden und Herausforderungen haben wie alle anderen Väter auch. Aus diesem Grund wollte der Verband im Projekt als ersten Schritt eine Bestandsaufnahme machen, wie mit diesen Vätern bereits gearbeitet wird.
Eine erste Erkenntnis: Anekdoten über „Problemväter“ bilden nicht die ganze Wirklichkeit ab. Oft wird jedoch aus diesen anekdotischen Einzelfällen geschlussfolgert: „Jeder, der so ausschaut wie dieser eine Extremfall, der muss genau so sein.“ Alexandros Stathopoulos sieht da ein generelles Problem. „Das ist ja seit Jahren ein Trend, dass man alle Themen, die man in der Gesellschaft nicht haben will, einfach auf Ausländer überträgt. Das ist seit der Silvester-Nacht beim Sexismus so und auch beim Antisemitismus. Es ist bei ganz vielen Themen so, dass sie gerne ausgelagert werden. Alles, was man in der Gesellschaft nicht haben will, ist einfach auf den bösen, fremden Mann abzuwälzen. Und das ganz viele Männer überhaupt nicht so sind, wird komplett ignoriert. Die werden alle in einen Topf geworfen.“
Eine zentrale Frage der durchgeführten Studie war, ob es besondere Herausforderungen und besondere Bedarfe bei migrantischen Vätern gibt. Die befragten Expert*innen sagen: „Nö, eigentlich nicht. Die haben genau dieselben Fragen wie andere Papas auch.“
Coole Projekte
Der Verband hat sich Projekte angeschaut, die bereits mit migrantischen Vätern arbeiten. Eins davon ist „Papa Plus“ vom Mehrgenerationshaus Gallus in Frankfurt. In der Einrichtung gibt es Erzieher, die selber Väter sind und eine Migrationsgeschichte haben. So dass die Väter vor Ort einen unmittelbaren Zugang haben. So entfällt insbesondere die sprachliche Hürde. Wenn Begriffe vorkommen, die emotional sind oder kompliziert, dann gibt es Möglichkeiten, es in der eigenen Sprache zu sagen. Die Väter werden sehr stark eingebunden und können selber Veranstaltungen organisieren. Und so bilanziert Alexandros Stathopoulos: „Cooles Projekt, weil die Väter als Experten ihrer Kinder wahrgenommen werden.“
Ein weiteres Projekt lautet „Daddy be Cool“ vom Paritätischen Bildungswerk. In dem Projekt „bekommen die Jungs die Möglichkeit, nicht nur die coolen Macker zu sein, sondern auch ihre fürsorglichen Seiten an sich zu entdecken.“ Der Höhepunkt ist, wenn Papas mit Babys in ihrer Elternzeit in die Klasse kommen und darüber gesprochen wird wie es ist, Vater zu sein. Die Väter, oft auch selbst mit Migrationsgeschichte, melden zurück: „Was die Jungs mich gefragt haben, wie die mich wahrgenommen haben, was sie an mich adressiert haben, das ist mir noch nie passiert. Wie ich als Vater meine Rolle sehe, wie ich meinen Job hier mache, wie ich die Fingernägel von meinem Baby schneide und wie ich es wickle – das hat bisher niemanden interessiert, dass ich das mache.“
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Ein drittes Projekt ist „Väter stark für Kinder“ vom Verband binationaler Familien und Partnerschaften in Leipzig. Das Ziel war Angebote für Väter mit Migrationsgeschichte zu entwickeln. Daraus ist eine Vätergruppe entstanden, die zusammen Zelten gingen oder Ausflüge unternahmen. Zentral war dabei, ein Angebot für „Gleichgesinnte“ zu schaffen – gerade in Leipzig. Wo sie sich nicht erklären müssen, wo sie einen vertrauten und geschützten Raum haben, um sich auszutauschen. „Da hat mein Kollege in Leipzig, relativ schnell festgestellt: Die Fragen als Väter sind jetzt gar nicht so anders. Es ging immer darum, was kann ich tun, um ein guter Vater zu sein. Hinzu kam jedoch: Alle haben aber mehr oder weniger extreme Diskriminierungserfahrungen erleben müssen. Und das ist für sie eben ein Riesenthema. Und dadurch hat sich dieses Projekt eigentlich ein wenig umgewandelt. Zur Reflexion von Männlichkeitskonstruktionen und antimuslimischen Rassismus.“
Räume schaffen
Und auch Alexandros Stathopoulos macht gerade bei People of Colour und Schwarzen Vätern die Erfahrung, dass sie zwar selber Rassismus kennen und sich mittlerweile ein dickes Fell angelegt haben. Bei den Kindern wird es jetzt aber wieder zum Thema. „Das ist ein riesen Betroffenheitsgefühl, das ist auch ein bisschen ein Ohnmachtsgefühl. Was mach ich denn da? Wie kann ich denn da meine Kinder stärken? Es macht einen echt hilflos, wenn das eigene Kind Diskriminierung erfährt.“
Der Geschäftsführer zieht deswegen die Schlussfolgerung: Es geht darum, Räume zu schaffen. „Männern fehlen oft einfach nur die Räume, das Fürsorgliche, das Sanfte ausleben zu können – um es nicht im Heimlichen zu tun. Es ist so zentral, Väter zum Erzählen kommen zu lassen. Auch die Bühne, und nicht nur den Raum zu geben und zu erzählen, was sie eigentlich umtreibt. Das wäre für uns ein Ansatz, um den Blick zu schärfen. Was sind eigentlich migrantische Väter? Wie divers sind die eigentlich? Und ja, hinter jedem von ihnen steckt ein echter einzelner Mensch und nicht eine Gruppe von fiesen Patriarchen, die zu Hause mit der Faust auf den Tisch hauen. Das ist wirklich eine Schublade. Eine Schublade, die wir gerne aufmachen würden, um Menschen, die darin feststecken, ein bisschen rauszuhelfen. Zeigen, wer sie wirklich sind, können sie dann am besten selbst.“
Alexandros Stathopoulos selbst beschäftigt ein Thema schon lange: „Zugehörigkeit ist eine schwierige Sache, man ist immer in einem Rechtfertigungsdruck.“ Das beschreibt wohl sehr gut, wie sich sehr viele Menschen in diesem Land fühlen: viele Fragen, große Ungewissheit, ständige Rechtfertigung, viele Versuche des Erklärens. Ob das überraschenderweise gute Deutsch, die ständige Buchstabiererei des eigenen Namens oder die spannende Frage, ob man Weihnachten zu Hause feiere. Banale Alltagssituation von Menschen, die nicht als Deutsch gelesen werden. Alexandros Stathopoulos hat in der Grundschule seine Zugehörigkeit gefunden: „Gastarbeiterkind oder Ausländerkind war so eine Gruppe, zu der ich mich zugehört gefühlt habe. Im Kopf so ein bisschen.“ Und begründet das auch mit der Feststellung, dass alle seine Freunde schlechtere Noten oder keine Empfehlung für das Gymnasium bekommen haben. Unglaublich, wie bekannt diese Geschichten sind. Es ist schon fast eine kollektive Erfahrungswelt. Und an diesem Beispiel, das für so viele andere steht, kann Mensch lernen: Ungleiche Behandlung kann zur Gruppenbildung bzw. zu einem negativen Zugehörigkeitsgefühl führen – welches schädlich für alle ist.
Eine Gerechtigkeitsfrage
Interessant an dem weiteren Lebensweg von Alexandros Stathopoulos: Die Zugehörigkeitsfrage wurde zu einer Gerechtigkeitsfrage. „Ich konnte es nicht einsehen, dass tatsächlich dieses abstrakte verrückte Konstrukt einer zugeschriebenen Zugehörigkeit, einer Nationalität, eines Passes oder von einer Gruppenzugehörigkeit, die dir zugeschrieben wird, so großen Einfluss darauf haben soll, welche Chancen und welche Möglichkeiten du im Leben hast.“ Das führte ihn zu Pro Asyl und dann zum Verband binationaler Familien und Partnerschaften. „Das fand ich einfach nicht fair. Und dieses Gefühl der Unfairness und der Ungerechtigkeit, das hat mich immer weiter angetrieben. Und das ist eigentlich immer noch das, was mich weiter beschäftigt: Wie kann man es schaffen in der Gesellschaft, Menschen faire Chancen zu geben? Warum muss es da Unterschiede geben? Das sehe ich einfach nicht ein.“ Toll, wenn aus der Unfairness, die man selbst erfahren hat, eine Kraft entsteht, die dazu führt die Gesellschaft besser zu machen.
Der Geschäftsführer sieht seinen Verband und dessen Mitglieder als Brückenbauer, die zwischen den Welten leben. Differenzen aushalten, Konflikte aushandeln, in der Lage sein, zu vermitteln: Alles Kompetenzen, die viele Menschen mit Migrationsgeschichte oder Personen in binationalen oder bikulturellen Beziehungen und Familien tagtäglich lernen.
Zur aktuellen gesellschaftlichen Situation sagt Alexandros Stathopoulos: „Ich finde es total wichtig, dass wir zusammenhalten. Diejenigen, die gerne in einer vielfältigen Welt leben wollen, die gerne in einer modernen, liberalen Welt leben möchten, die müssen zusammenhalten. Da immer einen Blick drauf zu haben, dass man sich nicht in Konkurrenz zueinander sieht, obwohl man eigentlich dieselben Ziele oder ähnliche Wünsche für diese Welt und für diese Gesellschaft hat.“ Und Richtung Männer hat der Geschäftsführer auch noch eine Botschaft: „Man muss auch damit klarkommen, wenn man manchmal Privilegien abgegeben muss. Viele Väter sagen, sie wollen sich mehr einbringen. Wenn es dann aber um‘s Tellerabwaschen geht, nehmen sich viele zurück. Du hast Jahrhundertelang das Privileg genossen, dass Mutti sich kümmert. Wenn du Gleichberechtigung willst, zieh die Handschuhe an und leg los!“
- Der Verband binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e.V. wird im Rahmen der Umsetzung des gemeinsamen Integrationsvertrags vom Hessischen Ministerium für Soziales und Integration gefördert. Ziel dieses Vertrages ist es, Rollenbilder von Männern und Vätern mit Migrationsgeschichte zu differenzieren.
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