Interview mit Jack Terry
„Es war der traurigste Tag in meinem Leben“
Heute vor 75 Jahre wurde Jack Terry aus dem Konzentrationslager Flossenbürg befreit. Im Gespräch erzählt er, was er heute mit dem Ort verbindet und warum er seit 1995 jedes Jahr dorthin zurückkehrt - nur in diesem Jahr nicht.
Von Gabriele Ingenthron Donnerstag, 23.04.2020, 5:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 22.04.2020, 20:29 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Die Nazis nahmen ihm seine Freiheit und töteten seine Familie. Über das Arbeitslager Budzyn und das KZ-Außenlager Wieliczka gelangte Jakub Szabmacher 1944 ins KZ Flossenbürg. Der damals 14-Jährige dachte nur ans Überleben. Seine Befreiung am 23. April 1945 sei alles andere als ein Freudentag gewesen, sagt er im Gespräch. 1945 wanderte der polnische Jude in die USA aus, nannte sich Jack Terry und wurde Psychoanalytiker in New York. Seit 1995 kehrt er jedes Jahr an den Ort seiner Qualen zurück – bis auf dieses Jahr. Das Coronavirus hat die Rückkehr des 90-Jährigen verhindert.
Herr Terry, weckt die Pandemie Erinnerungen bei Ihnen?
Jack Terry: Die Absage der Gedenkfeiern besonders zum 75. Jahrestag der Befreiung des KZ Flossenbürg aufgrund der Coronavirus-Pandemie ist für mich sehr bedeutsam: Die soziale Distanzierung, die Freiheitsbeschränkungen und auch die böse Isolation rufen in mir und in meinen Träumen die Lager hervor. Ich werde auch wieder mit der Isolation und der Einsamkeit in den Lagern konfrontiert. Auch jetzt sind wir alle mit uns selbst allein.
Was sind Ihre tiefsten Erinnerungen an die Lagerhaft im KZ Flossenbürg?
Jack Terry: Mit Flossenbürg verbinde ich Tod, nicht einen kurzen natürlichen Tod, sondern einen demütigenden, quälenden, erniedrigenden und entmenschlichenden Tod. Wir erlitten ein Abhandensein jeglicher Art von minimaler Hygiene, die Allgegenwart von Läusen und Typhus, von chronischem Hunger, bitterster Kälte, konstanter Todesangst, Schlägen, Exekutionen und Mord. Mein Schicksal schien besiegelt durch den Kamin des Krematoriums, wenn die amerikanische Armee nicht gekommen wäre, wie sie es tat.
Wie haben Sie den Tag der Befreiung erlebt?
Jack Terry: Die Befreiung des KZ Flossenbürg am 23. April 1945 war der traurigste Tag meines Lebens. Es war zum ersten Mal seit Jahren, dass ich mir erlaubte, an andere Dinge zu denken als an mein Überleben. Um es genau zu sagen: den Verlust meiner gesamten Familie. Für mich begann damals der niemals endende Prozess des Trauerns. Die jährlichen Überlebendentreffen sind zum Teil eine Art gemeinsamer Trauer. Genauso wie wir als Individuen versuchen, immer wieder unsere nicht heilen wollenden Wunden aufzuarbeiten, falls dies überhaupt möglich ist.
Wie haben Sie Ihren erste Rückkehr nach Flossenbürg erlebt?
„Bis dato habe ich das Gefühl, dass die Welt immer noch nicht genug gelernt hat aus unserer Vergangenheit, dem Holocaust. „
Jack Terry: Ich kehrte 1995, zum 50. Jahrestag der Befreiung, nach Flossenbürg zurück und erkannte den Platz kaum wieder. Die Lageranlage war vollständig vernachlässigt. Man hatte eindeutig versucht, den ungeheuerlich verbrecherischen Schauplatz zu vertuschen. Der Appellplatz, auf dem wir zweimal am Tag für Stunden in der schneidenden Kälte des Oberpfälzer Windes stehen mussten, nur um gezählt zu werden. Auf diesem Appellplatz war jetzt die Fabrik eines multinationalen Unternehmens. Und wo die Baracken standen, waren Familienhäuser gebaut worden. Für mich war das ein offensichtlicher, beschämender Versuch einer Verschleierung und Verleugnung dessen, was hier geschehen war. Ich war sehr enttäuscht und beabsichtigte, niemals mehr zurückzukehren. Aber ich tat es – jedes Jahr.
Was war Ihre Motivation?
Jack Terry: Ich wollte helfen, diese Verschleierung und Verleugnung rückgängig zu machen. Diesen ehemaligen beispiellosen Ort des Schreckens in eine geeignete Gedenkstätte für diejenigen zu verwandeln, die hier ums Leben kamen. Und vor allem für kommende Generationen einen speziellen Lernort entstehen zu lassen, einen gut dokumentierten Geschichtsort für das, was hier geschah, und an den anderen Plätzen dieser sogenannten zivilisierten Welt.
Hat die Menschheit aus dem Holocaust gelernt?
Jack Terry: Bis dato habe ich das Gefühl, dass die Welt immer noch nicht genug gelernt hat aus unserer Vergangenheit, dem Holocaust. Und was mich am meisten irritiert, ist das neuerliche starke Aufkommen des Judenhasses. Wieder! Aktuell Feuilleton
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