Antidiskriminierungsstelle
Rassismus seit Beginn der Corona-Pandemie
Seit Beginn der Corona-Pandemie sind bei der Antidiskriminierungsstelle mehr als 100 Fragen eingegangen wegen Benachteiligungen. Rassismus gebe es im privaten Umfeld, in der Öffentlichkeit, auf der Arbeit – und sogar bei staatlichen Maßnahmen.
Freitag, 08.05.2020, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 08.05.2020, 12:10 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Einkaufswagenpflicht, Masken, Verbot für Kinder: Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes erreichen Beschwerden einzelner Gruppen wegen besonderer Einschränkungen während der Corona-Pandemie. Wie die Stelle in Berlin mitteilte, sind seit Beginn der Pandemie mehr als 100 Fragen eingegangen, die eine Benachteiligung etwa wegen des Alters, einer Behinderung oder der Herkunft sehen. „Die Bedrohung durch das Virus macht nicht alle gleich – manche Gruppen haben nun noch mehr mit Ausgrenzung, Hass und Benachteiligung zu kämpfen“, sagte der kommissarische Leiter der Antidiskriminierungsstelle, Bernhard Franke.
In erster Linie schilderten Menschen, denen eine asiatische Herkunft zugeschrieben wird, dass sie mit Bezug auf das Virus diskriminiert und beleidigt werden. Die Vorfälle reichen den Angaben zufolge von rassistischen Äußerungen auf der Straße bis hin zu ernsthaften Drohungen. Vielfach sei Menschen in der Öffentlichkeit „Corona“ hinterhergerufen worden, oder sie seien in Geschäften gar nicht erst bedient worden. Diese Diskriminierungen machten auch vor dem privaten Umfeld der Betroffenen nicht halt.
„Ich weiß, wo du wohnst“
„So berichtete uns eine Frau mit chinesischem Hintergrund, dass ein Nachbar sie jedes Mal, wenn sie mit ihrem Hund spazieren ging, abpasste, um sie mit ‚Corona‘ anzusprechen. Ein junger Mann aus Malaysia erhielt von seinem Nachbarn einen Zettel. Darauf stand, er solle nach China zurückgehen, er habe Deutschland an den Galgen gehängt“, heißt es in einem Papier der Antidiskriminierungsstelle.
Erschreckend sei auch der Fall einer Wissenschaftlerin chinesischer Herkunft. Sie habe an die Adresse ihres Arbeitsplatzes an einer Universität E-Mails erhalten, in denen der anonyme Absender ihrem Kind wünschte, am Coronavirus zu sterben. Stellvertretend für alle Chinesen sei ihr außerdem die Schuld an dem Virus gegeben worden, sie wurde beleidigt und aufgefordert, nach China zu gehen. Schließlich sei bedroht worden: „Ich weiß, wo du wohnst“.
Racial Profiling
Wie die Antidiskriminierungsstelle weiter ausführt, können auch staatliche Maßnahmen unverhältnismäßig und rassistisch diskriminierend sein. So etwa im Fall einer Studentin südkoreanischer Herkunft, die ihr Austauschjahr in Deutschland frühzeitig beenden musste und sich im Zug auf dem Weg zum Flughafen befand, um die Rückreise anzutreten. „Obwohl sie dem Zugpersonal auf dessen Frage hin mitgeteilt hatte, sich vollkommen gesund zu fühlen, wurde sie von der Polizei aus dem Zug geholt. Sie wurde erneut befragt, ob sie krank sei oder Kontakt zu kranken Personen gehabt habe. Schließlich erschienen zwei Ärzte in Schutzausrüstung, die sie ebenfalls befragten“, berichtet die Antidiskriminierungsstelle.
Dadurch habe die Studentin nicht nur ihren Zug verpasst, sondern sich auch vor den Menschen auf dem Bahnsteig bloßgestellt gefühlt, die die Szene neugierig beobachteten und sie sogar fotografierten. „Eine Polizeikontrolle, die ausschließlich an äußere Merkmale anknüpft, ist verboten. Sie verstößt gegen das Diskriminierungsverbot nach Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz. Daher haben verschiedene Verwaltungsgerichte in Deutschland ein derartiges, auch als ‚Racial Profiling‘ bezeichnetes, Vorgehen der Polizei für rechtswidrig erklärt“, so die Antidiskriminierungsstelle.
Ältere und Behinderte
Von Diskriminierung sind den Angaben zufolge aber auch Ältere oder Behinderte betroffen. An die Antidiskriminierungsstelle wendete sich beispielsweise ein Mann mit Gehhilfe, der nicht wie vorgeschrieben einen Einkaufswagen im Supermarkt benutzen konnte und deswegen nicht eingelassen wurde. Um die Verhältnismäßigkeit zu wahren, seien Ausnahmen in Einzelfällen angezeigt, mahnt die Antidiskriminierungsstelle. Sie weist auch darauf hin, dass die Maskenpflicht Menschen mit Hörbehinderung beeinträchtigt, die aufs Lippenlesen angewiesen sind.
Geschildert wurden auch Fälle, in denen Kinder nicht in Baumärkte gelassen wurden, was Alleinerziehende vor Probleme stelle. Zudem kritisiert die Antidiskriminierungsstelle, dass in manchen Antragsformularen für staatliche Hilfsgelder nur die Geschlechter „weiblich“ und „männlich“ angegeben werden können. Das Personenstandsgesetz ermöglicht inzwischen auch „divers“ als drittes Geschlecht für Menschen, die sich keinem der beiden anderen zugehörig fühlen. (epd/mig) Leitartikel Panorama
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