Fluchtursache Nr. 1
Wie Corona sich auf Klimapolitik auswirkt
Corona hat den Fahrplan der UN-Klimagespräche durcheinandergebracht. Das nimmt dem internationalen Kampf gegen die Erderwärmung den Schwung. Die Pandemie bietet aber auch eine Chance: Konjunkturhilfen, die den Klimaschutz voranbringen - und indirekt auch Fluchtursachen bekämpfen.
Von Stefan Fuhr Donnerstag, 14.05.2020, 5:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 13.05.2020, 15:03 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Es sollte ein Jahr der klimapolitischen Wegmarken werden: Das Pariser Klimaabkommen sieht vor, dass die Staaten 2020 neue, möglichst ehrgeizigere nationale Ziele zur Reduktion von Treibhausgasen auf den Tisch legen. Doch der für November geplante UN-Gipfel in Glasgow, auf dem die Umsetzung dieser Vorgabe überprüft werden sollte, ist wegen der Corona-Pandemie verschoben, ein Ersatztermin offen. Pausiert die internationale Kooperation im Kampf gegen die Erderwärmung – und damit auch der Kampf gegen Fluchtursachen?
„So lange niemand weiß, wann der nächste Klimagipfel stattfindet, werden die Staaten keine neuen nationalen Ziele zur CO2-Reduktion vorlegen“, sagt der Leipziger Klimaökonom Reimund Schwarze. Appelle, der britischen Verhandlungsführung, die neuen Selbstverpflichtungen möglichst bald zu nennen, seien bisher wirkungslos verpufft.
Die Europäische Union (EU) hat eine Nachschärfung ihres Klimaschutz-Zusage für 2030 zumindest in Aussicht genommen: Die EU-Kommission, die einen ehrgeizigen „Green Deal“ für eine klimaneutrale Wirtschaft ersonnen hat, strebt eine Erhöhung des Zieles von bislang 40 auf 50 bis 55 Prozent CO2-Reduktion an. Offiziell beschlossen ist die Verschärfung aber noch nicht.
Kein besonderer Wille
Viele andere G20-Staaten lassen derweil keinen besonderen Willen erkennen, ihre Bemühungen zügig zu verstärken. Dazu zählen notorische Klimaschutz-Bremser wie Saudi-Arabien und Australien. Die USA haben sich ohnehin vom 2015 ausgehandelten Pariser Klimavertrag abgewandt. Auch ob sich der größte CO2-Produzent der Welt, China, bald zu mehr Klimaschutz bekennt, ist ungewiss. Eine Gelegenheit dazu wäre der für September in Leipzig geplante EU-China-Gipfel – ob der stattfindet, hängt vom weiteren Verlauf der Pandemie ab.
Für den Care-Klimaexperten Sven Harmeling ist allerdings nicht alleine entscheidend, dass der Zeitplan zur Vorlage neuer Klimaziele für 2030 „sklavisch“ eingehalten wird. „Wichtig ist jetzt, dass die Billionensummen, die in der Corona-Krise als Konjunkturhilfen in der Diskussion sind, in nachhaltige Entwicklung und nicht in die Förderung fossiler Industrien fließen.“ Denn wenn diese Gelder falsch investiert würden, könne das durch die formale Festlegung ehrgeiziger Klimaziele schwer wettgemacht werden.
Merkel für klimafreundliche Konjunkturhilfen
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich zu diesem Ansatz bekannt: Beim Petersberger Klimadialog Ende April sprach sie sich für klimafreundliche Konjunkturhilfen aus. Nach den Worten von Klimaökonom Schwarze werden auch die meisten andere EU-Länder mitziehen. Widerstand wie aus den Kohleländern Tschechien und Polen bleibt demnach die Ausnahme. „In Europa können wir uns darauf verlassen, dass der Green Deal der Europäischen Kommission das Regelwerk für den Wiederaufbau nach der Corona-Krise wird“, sagt Schwarze.
„Wenn man hingegen das gesamte Weltgefüge betrachtet“, ergänzt der Klimaökonom, „sehen wir in der Krise Zerfallstendenzen, nicht nur bei der Klimapolitik.“ Das zeige sich etwa am Verhalten der USA, die ihre Zahlungen an die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gestoppt haben.
„Noch eine Schippe drauflegen“
Neben der Anhebung der Klimaziele soll 2020 eine weitere wichtige Vorgabe umgesetzt werden: Im Pariser Abkommen haben sich die reichen Länder verpflichtet, ab diesem Jahr jährlich 100 Milliarden US-Dollar für Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel in armen Staaten zur Verfügung zu stellen. Laut Care-Experte Harmeling ist dieses Ziel in Reichweite – „aber die Industriestaaten müssen noch eine Schippe drauflegen“.
Laut Abkommen sollen sich die 100 Milliarden Dollar etwa zu gleichen Anteilen aus staatlichen Töpfen und privaten Quellen speisen. Das Problem derzeit: Es stehen mehr Mittel privater Investoren als staatliche Gelder zur Verfügung, wie Schwarze erläutert. „Das führt dazu, dass mehr Geld in den renditeträchtigen Ausbau Erneuerbarer Energien fließt als in Anpassungsmaßnahmen, die für die Entwicklungsländer aber Priorität haben.“
Klima: Fluchtursache Nummer eins
Für den Bau von Deichen oder für Schutzvorkehrungen gegen Wirbelstürme brauchen die armen Staaten also mehr Entwicklungshilfe. Ob die Industriestaaten ihre Mittel dafür wesentlich erhöhen, ist angesichts der Corona-Folgen für die eigenen Volkswirtschaften indes fraglich.
Weltweit ist die Zahl der Menschen, die vor Naturkatastrophen fliehen höher als die Zahl der Flüchtenden vor Gewalt und Konflikten, wie aus einer UN-Sudie hervorgeht. Experten warnen vor Massenmigration, wenn die Erderwärmung nicht begrenzt wird. (epd/mig) Aktuell Wirtschaft
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