Bundesverfassungsgericht
BND muss Grundrechte von Ausländern auch im Ausland achten
Das Bundesverfassungsgericht hat die Abhörpraxis des BND im Ausland gekippt. Bis Ende 2021 gelten die derzeitigen Regeln vorerst weiter, müssen bis dahin allerdings geändert werden. Reporter ohne Grenzen begrüßt Urteil als Quittung für die Regierung.
Mittwoch, 20.05.2020, 5:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 19.05.2020, 15:57 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Der Bundesnachrichtendienst (BND) muss auch die Grundrechte von Ausländern im Ausland achten. Die derzeitige anlasslose Massenüberwachung von E-Mails und Telefonaten durch die Auslands-Fernmeldeaufklärung des BND verstößt gegen das im Grundgesetz geschützte Telekommunikationsgeheimnis und die Pressefreiheit, urteilte am Dienstag das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Bis Ende 2021 hat der Gesetzgeber nun Zeit, die grundsätzlich mögliche BND-Auslandsaufklärung verhältnismäßig und mit Kontrollmechanismen neu zu gestalten. (AZ: 1 BvR 2835/17)
Beschwerdeführer in Karlsruhe waren „Reporter ohne Grenzen“, überwiegend investigativ arbeitende ausländische Journalisten aus den Niederlanden, Slowenien, Aserbaidschan, Mexiko, Großbritannien und Nordmazedonien sowie ein Rechtsanwalt. Sie wandten sich gegen die Anfang 2017 in Kraft getretene Novelle des BND-Gesetzes. Das Gesetz ermöglicht die anlasslose und verdachtsunabhängige Überwachung ausländischer Datenströme. Die Klage wurde unterstützt von der Gesellschaft für Freiheitsrechte, dem Deutschen Journalisten-Verband (DJV), der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di, Netzwerk Recherche und dem Journalisten-Netzwerk n-ost.
Eigentlich ist die Kommunikation von Journalisten – etwa mit Informanten und anderen Quellen – gesetzlich geschützt. Der Bund ging jedoch davon aus, dass dieser Schutz nicht für Ausländer im Ausland gilt. Um Deutschland vor Gefahrenlagen aus dem Ausland bewahren zu können, wertet der BND daher mit Hilfe spezieller Suchbegriffe millionenfach E-Mails, Chats oder Telefonate aus, zum Beispiel über den Internetknotenpunkt in Frankfurt am Main.
Keine Überwachung ohne konkreten Anlass
Die Beschwerdeführer fürchteten, dass damit ihre Quellen offengelegt werden und Informanten aus Angst vor staatlichen Repressalien sich gar nicht mehr an Journalisten wenden. So könnten autoritäre Regime an sensible Informationen gelangen, zumal der BND seine Erkenntnisse auch an ausländische Nachrichtendienste weitergibt.
Das Bundesverfassungsgericht urteilte, dass der BND die Datenströme ohne konkreten Anlass nicht überwachen darf. Erstmals stellten die Richter klar, dass die in der Verfassung verankerten Grundrechte auch für Ausländer im Ausland gelten. Diese schützen immer dann, „wenn der deutsche Staat handelt und damit potenziell Schutzbedarf auslösen kann“, wie etwa bei den BND-Überwachungsmaßnahmen.
Reporter ohne Grenzen: Regierung bekommt Quittung
Info: 2017 war bekanntgeworden, dass der Bundesnachrichtendienst von 1999 an zahlreiche Journalisten im Ausland überwacht hat. Der BND habe mindestens 50 Telefon- und Faxnummern oder E-Mail-Adressen von Journalisten oder Redaktionen als eigene Selektoren geführt, berichtete der Spiegel unter Berufung auf interne Dokumente. Selektoren sind festgelegte Suchmerkmale, mit denen Geheimdienste Informationen aus Datenströmen filtern. Journalistenorganisationen kritisierten das Vorgehen des BND.
„Reporter ohne Grenzen“ erklärte, die Entscheidung setze „neue Standards im internationalen Menschenrechtsschutz und für die Freiheit der Presse“. Die Bundesregierung bekomme mit dem Urteil „die Quittung für ihre jahrelange Weigerung, die digitale Massenüberwachung einzuhegen“, sagte Geschäftsführer Christian Mihr.
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte wertete das Urteil als „großen Erfolg“, der weit über den konkreten Fall hinausreiche. „Dass deutsche Behörden auch im Ausland an die Grundrechte gebunden sind, stärkt die Menschenrechte weltweit erheblich – und auch die Glaubwürdigkeit Deutschlands in der Welt“, unterstrich die Gesellschaft. Der DJV und die dju sprachen von einem Sieg für die Pressefreiheit.
Auslandsaufklärung muss verhältnismäßig sein
Das Bundesverfassungsgericht erklärte, die Auslandsaufklärung des BND und auch dessen Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten sei im Grundsatz zulässig. Allerdings müsse die Auslandsaufklärung verhältnismäßig sein. Die Gründe und Gesichtspunkte einer gezielten Überwachung einer Person müssten gesetzlich klar festgelegt werden.
Die Verfassungsrichter verlangten zudem die Einrichtung einer unabhängigen „gerichtsähnlichen Kontrolle“ der BND-Auslandsüberwachung, damit die Grundrechte auch eingehalten werden. Eine zusätzliche administrative Kontrolle solle den gesamten Prozess der BND-Überwachung „stichprobenmäßig prüfen“.
Grünen fordern Konsequenzen
Der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Konstantin von Notz, forderte, die Bundesregierung müsse nun „schnellstmöglich die entsprechenden Konsequenzen ziehen“. Befugnisse geheimdienstlicher Überwachungspraxis müssten gesetzgeberisch weiter eingehegt und die parlamentarische Kontrolle effektiviert werden.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte teilte mit, die Kontrolle der Überwachung von Nicht-Deutschen im Ausland sei zentral für eine Neuregelung. Hierzu müssten die zuständigen Aufsichtsgremien uneingeschränkten Zugang zu Dokumenten, IT-Systemen und Anlagen bekommen sowie personell und technisch angemessen ausgestattet sein. Dies gelte auch dann, wenn dabei die Interessen ausländischer Partnerdienste betroffen sind. (epd/mig) Aktuell Recht
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