Weitere Frauen und Kinder tot
IOM verlangt staatliche Seenotrettung im Mittelmeer
Seit Jahresbeginn sind im Mittelmeer mindestens 157 Menschen ums Leben gekommen. Am Mittwoch wurden weitere Tote gemeldet – darunter viele Frauen und Kinder. Die Dunkelziffer schätzt die IOM deutlich höher. Sie ruft die EU auf, die Seenotrettung im Mittelmeer wiederaufzunehmen.
Von Jan Dirk Herbermann Freitag, 12.06.2020, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 11.06.2020, 15:01 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Die Internationale Organisation für Migration hat die EU zur sofortigen Wideraufnahme der Seenotrettung im Mittelmeer aufgefordert. Viele Bootsflüchtlinge befänden sich in einer aussichtslosen Lage und ihre Leben müssten gerettet werden, sagte IOM-Sprecherin Safa Msehli dem „Evangelischen Pressedienst“ in Genf. Seit Beginn des Jahres seien im zentralen Mittelmeer mindestens 157 Menschen auf hoher See ums Leben gekommen. Die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher liegen.
„Wir müssen von Bootsunglücken im Mittelmeer ausgehen, von denen wir nichts mitbekommen. Wir befürchten das Schlimmste“, sagte Msehli. „Wir haben nur sehr wenige Informationen über die Bewegungen der Boote mit Flüchtlingen und Migranten, die von Libyen oder Tunesien in See stechen.“ Da die Anrainerstaaten und die EU die Seenotrettung eingestellt hätten und die Regierungen die private Seenotrettung stark behinderten, seien Bootsflüchtlinge allein ihrem Schicksal überlassen.
Zahlreiche Tote bei Bootsunglück
Zuletzt sind bei einem Bootsunglück vor der tunesischen Küste mindestens 22 Frauen und drei Kleinkinder ertrunken. Tunesische Retter hätten in der Nähe der Hafenstadt Sfax insgesamt 34 Leichen geborgen, berichtete der italienische Rundfunk am Mittwochabend. Unter den mutmaßlich 52 Menschen an Bord des gekenterten Boots seien mehrheitlich Flüchtlinge aus der Elfenbeinküste und anderen Ländern südlich der Sahara sowie sieben Tunesier gewesen.
Eine der Frauen, deren Leichen wenige Seemeilen vor der tunesischen Küste geborgen wurde, war den Angaben zufolge hochschwanger. Unter den männlichen Todesopfern soll auch ein 48 Jahre alter Tunesier sein, der das überfüllte Boot mit Platz für 20 Menschen bei der Abfahrt von Sfax aus in der Nacht auf Dienstag gesteuert hatte.
Msehli verlangte zudem, dass Migranten und Flüchtlinge nicht mehr nach Libyen zurückgebracht werden dürften. „Diese Rücktransporte müssen enden“, betonte sie. „Libyen ist alles andere als ein sicherer Ort.“ Libyens Küstenwache fange Boote ab und bringe die Passagiere in die berüchtigten Sammellager in dem nordafrikanischen Land. Mehr und mehr Migranten und Flüchtlinge landeten in Lagern, die unter dem Kommando von Schleusern und Schleppern stünden.
EU hat Seenotrettung praktisch beendet
Humanitäre Helfer hätten keinen Zugang zu diesen Lagern, die Insassen seien Gewalt, Hunger und Krankheiten ausgesetzt. Die Sprecherin erinnerte an ein Massaker Ende Mai in einer Schleppereinrichtung südwestlich von Tripolis. Dabei seien 30 Migranten erschossen worden.
Im März 2019 hatte die EU den Einsatz von Schiffen der Operation „Sophia“ ausgesetzt und damit praktisch die Seenotrettung im Mittelmeer beendet. Italien und Malta ließen bereits im vergangenen Jahr private Rettungsschiffe kaum mehr in ihre Häfen. Im Zuge der Corona-Pandemie schlossen die Mittelmeeranrainer die Häfen komplett.
Seenotretter können nicht auslaufen
In den vergangenen Monaten konnten so gut wie keine privaten Seenotretter Einsätze fahren. Zuletzt wurde bekannt, wie Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) durch eine Verschärfung der Sicherheitsverordnungen Schiffe von privaten Seenotrettern am Auslaufen hindert.
Dennoch erreichten Msehli zufolge seit Jahresbeginn rund 6.600 Migranten und Flüchtlinge von Libyen und Tunesien kommend Italien und Malta. Die IOM mit Sitz in Genf gehört zu den Vereinten Nationen. (epd/mig) Aktuell Politik
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