Rassismus bei der Polizei
Bundesregierung plant Studie zu Racial Profiling
Die Debatte um Rassismus innerhalb der Polizei lässt die Debatte um das Racial Profiling aufflammen. Die Regierung will erforschen lassen, inwieweit Verdachtsmomente durch Diskriminierung entstehen. Menschenrechtler fordern ein Verbot der Praxis.
Freitag, 12.06.2020, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 11.06.2020, 17:08 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Die Bundesregierung plant eine Studie zum sogenannten Racial Profiling in Deutschland. Das Bundesinnen- und Bundesjustizministerium seien derzeit in der konzeptionellen Entwicklung dafür, sagte ein Sprecher des Innenministeriums am Donnerstag auf Anfrage dem „Evangelischen Pressedienst“. Die Initiative dafür geht auf das Bundesjustizministerium zurück, wie ein Sprecher von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) sagte. Es sei ein wichtiger Schritt, „um fundierte Erkenntnisse über das Phänomen zu erlangen und darauf aufbauend über mögliche Gegenmaßnahmen zu diskutieren“.
Details zur geplanten Studie wurden noch nicht genannt. Das Studiendesign stehe im Einzelnen noch nicht fest, sagte der Innenministeriumssprecher. Der Sprecher des Justizministeriums erläuterte, eine solche Studie sei Deutschland auch von der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz empfohlen worden.
Die Debatte um Rassismus und Polizeigewalt hatte auch in Deutschland die Diskussion um Diskriminierung durch Beamte neu entfacht. Betroffene erheben immer wieder den Vorwurf, allein wegen ihrer Hautfarbe von der Polizei verdächtigt und kontrolliert zu werden. Diese Praxis wird als Racial Profiling bezeichnet.
Polizei-Maßnahmen aufgrund der Hautfarbe
Die Praxis ist geächtet. „Es ist nicht akzeptabel, dass polizeiliche Maßnahmen an Abstammung, Hautfarbe oder Rasse anknüpfen“, erklärte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums in der vergangenen Woche. Er räumte dabei aber ein, dass es „in Einzelfällen“ dazu komme.
Info: Wenn Menschen allein wegen ihrer Hautfarbe oder anderer äußerer Merkmale ins Visier der Polizei geraten, verdächtigt oder kontrolliert werden, bezeichnet man dies als Racial Profiling.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte hatte bereits 2013 eine Studie zum Racial Profiling veröffentlicht, in der konkrete Gesetzesänderungen vorgeschlagen werden. Unter anderem setzt sich das Institut für eine Streichung eines Absatzes im Bundespolizeigesetz ein, das Kontrollen zur Verhinderung unerlaubter Einreisen unter anderem an Bahnhöfen erlaubt. In der Praxis bedeute das eine Auswahl nach Hautfarbe oder anderen äußeren Merkmalen, hieß es zur Begründung.
Institut fordert unabhängige Wissenschaftler
Das aktuelle Studienvorhaben begrüßte das Institut grundsätzlich, forderte aber gleichzeitig, dass unabhängige Wissenschaftler dabei die Möglichkeit haben müssten, die bestehende Polizeipraxis zu untersuchen. Von entscheidender Bedeutung sei außerdem, dass bei Konzeption und Ausführung Rassismusbetroffene oder deren Vertretungen mitwirken können, sagte der damalige Studienautor Hendrik Cremer dem „Evangelischen Pressedienst“. Er forderte auch eine gesetzliche Verankerung des Verbots von Racial Profiling.
Auch die Grünen-Bundestagsabgeordnete und frühere Polizeibeamtin Irene Mihalic sprach sich für die Erforschung rassistischer Diskriminierung bei der Polizei aus. „Wir brauchen wissenschaftliche Untersuchungen über das Ausmaß von rassistischen oder verfassungsfeindlichen Einstellungen innerhalb einer Minderheit der Polizei, damit wir tatsächlich mal fundiert darüber reden können“, sagte sie im ARD-„Morgenmagazin“.
Türkische Gemeinde beklagt latenten Rassismus
Fahrt aufgenommen hatte die Debatte um Rassismus innerhalb der Polizei nach einem Interview von SPD-Chefin Saskia Esken. Sie hatte in einem Zeitungsinterview einen „latenten Rassismus in den Reihen der Sicherheitskräfte“ beklagt. Zwar stehe die große Mehrheit der Polizisten solchen Tendenzen sehr kritisch gegenüber und leide unter dem potenziellen Vertrauensverlust, der sich daraus ergebe. Bei der Aufarbeitung von Fällen ungerechtfertigter Polizeigewalt dürfe aber nicht der Eindruck entstehen, dass der Korpsgeist eine größere Rolle als die Rechte von Bürgern spiele.
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoğlu, unterstützt die Kritik der SPD-Chefin. „Sie hat auf ein Problem aufmerksam gemacht, auf das wir seit langem aufmerksam machen“, sagte Sofuoğlu dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“. „Dass wir in der Polizei einen latenten Rassismus haben, das wissen wir seit den NSU-Morden.“ Damals sei vieles vertuscht worden. „Da wird nicht immer mit sauberen Mitteln gearbeitet.“ Zugleich wies er auf bestehende Fortschritte hin. Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) mittlerweile von Rassismus sprächen, sei ebenso ein Fortschritt wie die Tatsache, „dass das Thema überhaupt diskutiert wird“.
Gerichtsurteile gegen Racial Profiling
Deutsche Gerichte haben das Racial Profiling in Entscheidungen immer wieder verurteilt. 2016 entschied das Oberwaltungsgericht in Koblenz, dass eine Personenkontrolle von Zugreisenden allein aufgrund ihrer Hautfarbe eine rechtswidrige Diskriminierung ist und gaben damit einer Familie Recht, die als einzige in einem Regionalzug ihre Ausweise vorzeigen sollte. 2018 wehrte sich vor dem Oberwaltungsgericht Münster erfolgreich ein schwarzer Mann gegen Polizisten, die ihn am Bochumer Bahnhof kontrolliert hatten. Die Beamten begründeten die Kontrolle mit der Bekämpfung von Drogenkriminalität.
Auch wenn das Racial Profiling in Deutschland eigentlich ausgeschlossen sein soll, eröffnet nach Einschätzung des Deutschen Instituts für Menschenrechte das Bundespolizeigesetz dennoch eine Tür für die diskriminierende Praxis. Dies erlaubt in Paragraf 22, Absatz 1a, dass „zur Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet“ Personen kontrolliert werden dürfen, etwa an Bahnhöfen. Weil es dabei um Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz geht, bleibe in der Praxis nur eine Auswahl anhand „phänotypischer Merkmale“, kritisierte das Institut bei einer Vorstellung einer Studie bereits im Jahr 2013. Es fordert eine Abschaffung des Paragrafen. (epd/mig) Leitartikel Politik
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In Osnabrück wurde das Racial Profiling von zwei Polizisten in ziviler Kleidung angewendet, sie fuhren schnell und mit Blaulicht in einem Audi, wie ein „Sturmangriffskommando“, auf zwei junge, männliche, afghanische Flüchtlinge zu und kontrollierten diese und ihre Rucksäcke mitten auf der Straße, einer Wendeschleife, vor mehreren Zeugen vor dem Laden „Möwe“.