Interview mit Initiatoren
Petition gegen rassistisches Stadtwappen in Stuttgart-Möhringen
Im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung wird auch in Deutschland verstärkt über Rassismus diskutiert. Das ist auch dringend erforderlich, sagen die Initiatoren einer Petition, die sich gegen rassistische Darstellungen stellen.
Von Lisa Pollmann Freitag, 03.07.2020, 5:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 02.07.2020, 12:59 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Das Wappen des Stadtbezirks Stuttgart-Möhringen ist rassistisch konnotiert. Auf dem Wappen ist neben anderen Symbolen eine „Mohrin“, eine groteske Skizzierung einer Schwarzen Person aus der Kolonialzeit, abgebildet. Einige Stuttgarter wollen diese „systematische Verharmlosung rassistischen Gedankenguts“ nicht weiter hinnehmen und haben in einer Petition an die zuständige Bezirksvorsteherin eine Änderung des Wappens gefordert. In der Petition, die bereits über 10.000 Mal unterzeichnet wurde, fordern die Initiatoren die Stadt Stuttgart zu einer klaren antirassistischen Positionierung auf. Inzwischen haben sich auch Politiker in einem interfraktionellen Antrag für eine Änderung ausgesprochen. Im Gespräch erklären Hauptinitiator Okan Alaca und seine Mitstreiterin Rahel N., wie es zur Petition gekommen ist, die Wirkmacht rassistischer Darstellungsformen und wie sie Alltagsrassismus in Deutschland erleben.
Wie sind Sie auf das Stadtwappen aufmerksam geworden? Was ist die Geschichte hinter Ihrer Petition?
Okan Alaca: Ich habe über einen Freund vom Wappen erfahren. Er hatte das Stadtwappen von Stuttgart-Möhringen im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung im Instagram gepostet. Das war das erste Mal, dass mir das Problem bewusst geworden ist. Wir haben dann gemeinsam eine Petition auf der Plattform Change.org gestartet und weitere Freunde mit ins Boot geholt.
Wie wirken sich rassistische Darstellungsformen in öffentlichen Symbolen auf die Identifikation und Integration von in Stuttgart lebenden Black and People of Color (BPoC) aus?
Okan Alaca: Für mich persönlich gibt es zwei Ebenen. Mich hat es schockiert, dass das zuständige Bezirksamt das Wappen jahrzehntelang genutzt hat. Die Nutzung eines rassistischen Stadtwappens scheint also von Weißen Menschen als nicht problematisch betrachtet zu werden. Zum anderen finde ich das Signal gegenüber Schwarzen Mitbürgern unserer Stadt schlimm, da bewusst eine rassistische Darstellungsform beibehalten wird.
Rahel N.: Das Wappen befindet sich auch an der Straßenbahn. Auch wenn ich das Wappen damals nicht bewusst wahrgenommen habe, möchte ich es nun entfernt haben. Für mich ist die Darstellung einer „Mohrin“ herabwürdigend und symbolisiert keinerlei Wertschätzung. Ich finde es schlimm, dass man auf diesen Umstand aufmerksam macht und als Antwort bekommt, man müsse prüfen, ob das Wappen rassistisch sei oder nicht, anstatt wahrzunehmen, dass sich Menschen daran stören. Es macht mich fassungslos, dass Menschen das nicht verstehen und auch trotz Hinweis nicht handeln wollen. Stattdessen wird die Handbremse angezogen. Man wolle den geschichtlichen Hintergrund verstehen, dabei ist es doch eigentlich eine ganz klare Sache. Offiziell wurde das Wappen mit der Eingemeindung Möhringens als Stuttgarter Stadtbezirk zwar abgeschafft, trotzdem wird es noch genutzt. Das Wappen findet sich zum Beispiel auch immer noch im Rathaus.
Wie hat die zuständige Bezirksvorsteherin, an die Sie die Petition gerichtet haben, bisher reagiert?
Okan Alaca: Ich kann primär das wiedergeben, was ich aus der Lokalpresse erfahren habe. Wir konnten noch kein Gespräch führen, haben mittlerweile aber Antwort auf eine Mail erhalten, die wir knapp zwei Wochen nach unserem Petitionsaufruf an die Bezirksvorsteherin verfasst haben. Uns wurde mitgeteilt, dass man offen für Anregungen und ein persönliches Gespräch mit uns sei. Die Initiative zur Kontaktaufnahme ging allerdings von uns aus.
Offenbar gab es schon vor Ihrer Petition eine Arbeitsgruppe zum Stadtwappen. Was wissen Sie darüber?
Okan Alaca: Ja, es scheint schon vor unserer Petition eine Arbeitsgruppe existiert zu haben. Wir haben davon auch aus den Lokalmedien erfahren, wissen aber nicht, wann und aus welchem Anlass die Arbeitsgruppe gegründet wurde. Wir möchten erfahren, welche Personen Teil dieser Arbeitsgruppe sind und warum Personen aus der Zivilgesellschaft erst zu einem späteren Zeitpunkt in die Diskussion mit einbezogen werden sollen. Die Arbeitsgruppe sollte sich dringend öffnen und mit betroffenen Personen in den Dialog treten. Wir haben zum Beispiel auf die „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“ (ISD) in Stuttgart verwiesen und hoffen, dass es zu einem Dialog zwischen Betroffenen und dem zuständigen Bezirksamt kommt.
Denn bisher sind die Statements des Bezirksamts zur geschichtlichen Prüfung des Wappens eher widersprüchlich. Man wisse anscheinend nicht genau, warum die „Mohrin“ ursprünglich überhaupt auf das Wappen gekommen sei. Zeitgleich versucht man mit der Prüfung der geschichtlichen Hintergründe aber zu legitimieren, dass man mit dem Stadtteil Möhringen eine „Mohrin“ assoziiere. Mir kommt es so vor, dass zwar gesagt wird, der Hintergrund des Wappens werde geprüft, aber eigentlich steht schon fest, dass es nicht rassistisch sei.
Rahel N.: Allerdings gibt es auch eine erste positive Zwischenbilanz. Die Bezirksvorsteherin hat dem SWR gegenüber mitgeteilt, dass das Wappen zumindest aktuell nicht für neue Darstellungszwecke verwendet werden soll. Trotzdem ist es natürlich nach wie vor im Stadtbild Möhringens präsent, da bereits existierende Darstellungen ja weiter bestehen.
Wir ordnen Sie das bisherige Verhalten des Bezirksamts ein?
Rahel N.: Tatsächlich hat die Stuttgarter Zeitung schon im Jahr 2013 über das Wappen berichtet. Das Problem besteht also schon länger, es war bereits vor sieben Jahren Thema. Der Artikel war damals schon als Forderung, als eine Art Weckruf formuliert. Es kann doch nicht sein, dass sich in der Zwischenzeit nichts getan hat und dass sich diese Trägheit bis heute fortsetzt. Die jetzt angekündigte geschichtliche Prüfung des Wappens hätte schon vor Jahren passieren müssen.
Angenommen, dass Bezirksamt kommt nach der angekündigten Prüfung zu dem Ergebnis, dass man das Wappen nicht ändern werde. Welche Botschaft wäre damit verbunden und wie würden Sie reagieren?
Rahel N.: Wir werden uns auf keinen Fall auf der Petition ausruhen. Sollte das passieren, müssen wir mehr Druck aufbauen und mehr Menschen mobilisieren. Eine Nicht-Änderung des Wappens wäre eine eindeutige Botschaft. Es würde bedeuten, dass die Meinung und das Empfinden von BPoC nicht wertgeschätzt wird.
Wenn wir auf das große Ganze schauen: Wie nehmen Sie das Thema Rassismus wahr? Wo besteht aus Ihrer Sicht Handlungsbedarf?
Rahel N.: Rassismus äußert sich in Deutschland anders als in den USA. Wir müssen Rassismus im deutschen Kontext formulieren und können nicht einfach die Debatte aus den USA übernehmen. In dem Moment, wo jemand, sei es auf der Arbeit oder im Freundeskreis, abwertend über eine andere Personengruppe spricht, ist das Rassismus. Wir müssen lernen, in solchen Momenten zu reagieren, auch wenn wir nicht konkret davon betroffen sind. Das ist ein sehr sensibles Thema.
Okan Alaca: Rassismus hat viele Ebenen. In Stuttgart, ein wirtschaftlich starker Standort, ist Rassismus sehr latent vorhanden. Meine Mutter, die einen offensichtlich türkischen Akzent hat, wird zum Beispiel bei Behördengängen weniger abwertend behandelt, wenn ich, der keinen Akzent mehr hat, sie begleite. Rassismus betrifft alle Bereiche unseres Alltags: Arbeit, Schule, öffentlicher Raum.
Stichwort Schule: Haben Sie konkrete Vorschläge?
Rahel N.: Wir werden keinen Fortschritt machen, wenn der Kolonialismus in der Schule nicht aufgearbeitet wird. Auch in Bezug auf die Flüchtlingssituation ist das wichtig. Es muss verstanden werden, warum Menschen auf der Flucht sind und nach Europa beziehungsweise Deutschland kommen.
Welches Feedback haben Sie bisher aus der Stuttgarter Bevölkerung zur Petition erhalten?
Okan Alaca: Ich wurde leider schon persönlich auf sozialen Medien angegriffen, da die Petition ja unter meinem Namen veröffentlicht wurde. Insbesondere von jüngeren Personen haben wir aber viel positives Feedback erhalten. Kommentare von älteren Stuttgartern waren unter dem Vorwand der Traditionswahrung leider oft eher kritisch.
Rahel N.: Zum Teil wurde auch argumentiert, dass wir doch wichtigere Probleme als die Änderung eines Wappens hätten. Aber es ist wichtig, mit den vermeintlich kleinen Dingen anzufangen. Und der Widerstand des Bezirksamts zeigt ja, dass es sich anscheinend doch nicht nur um eine Kleinigkeit handelt. Aktuell Interview Panorama
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