Rassismus
Bundesregierung verteidigt „Stammbaumforschung“
Die Debatte um Ermittlungen zum Migrationshintergrund von Tatverdächtigen nach den Krawallen in Stuttgart geht weiter. Die Bundesregierung verteidigt das Vorgehen, ein Kriminalpsychologe widerspricht. Derweil erntet die Stuttgarter Polizei Kritik für einen Tweet.
Dienstag, 14.07.2020, 5:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 13.07.2020, 23:08 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Die Bundesregierung hat die Ermittlungen der Stuttgarter Polizei zum Migrationshintergrund von Tatverdächtigen nach den Krawallen von Ende Juni verteidigt. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte am Montag in Berlin, dass es in der Nacht vom 20. auf den 21. Juni in Stuttgart einen Gewaltexzess gegeben habe, „wie er in dieser Form bisher unbekannt war“. Die Polizei forsche dieses „Phänomen“ nun unter allen möglichen Perspektiven aus, um Straftaten zur Anzeige zu bringen sowie um zu prüfen, ob künftig Präventionsstrategien entwickelt werden zu können. Unterstützt wurde diese Position von der Polizeigewerkschaft, Einwände kamen hingegen von einem Kriminalpsychologen.
Der Stuttgarter Polizeipräsident Franz Lutz hatte in der vergangenen Woche angekündigt, dass bei den Ermittlungen zu den Ausschreitungen von 400 bis 500 meist jungen Männern auch bei den Tatverdächtigen mit deutschem Pass die Abstammung recherchiert werde. Daran gab es heftige Kritik von SPD-Politikern, Grünen und Linken.
Seibert kritisiert Begriff: „Stammbaumforschung“
Der Innenministeriumssprecher betonte, dass bei Jugendlichen und Heranwachsenden Präventionsaspekte von besonderer Bedeutung seien. Deshalb sei es „polizeiliches Standardvorgehen“, dass auch das soziologische Umfeld miteinbezogen werde. Es mache einen deutlichen Unterschied, ob jemand erst seit einigen Wochen im Land sei oder hierzulande geboren worden sei und eine starke Bindung an die Gesellschaft habe.
Regierungssprecher Steffen Seibert kritisierte den Begriff „Stammbaumforschung“ in der Debatte. Dieses historisch belastete Wort verbiete sich in dem Zusammenhang, sagte er.
Kriminalpsychologe kritisiert Ermittlung
Der Kriminalpsychologen Thomas Bliesener erklärte, Ermittlungen zum Migrationshintergrund von Tatverdächtigen wie in Stuttgart taugten aus seiner Sicht nicht zur Prävention. „Den Migrationshintergrund der Eltern bei den Standesämtern abfragen, bringt da nichts“, sagte der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen in Hannover dem epd.
Damit polizeiliche Präventionsmaßnahmen wirken können, müsse vielmehr auf die Motivation von Straftätern und die konkreten Lebensumstände geschaut werden und nicht darauf, welchen Pass die Täter oder ihre Eltern hätten, betonte Bliesener. So spiele beispielsweise bei Flüchtlingen deren Bleibeperspektive in Deutschland eine Rolle dafür, ob sie strafrechtlich eher in Erscheinung treten, und nicht die Frage, woher sie stammen. Auch Faktoren wie beengte Wohnverhältnisse, der Umgang innerhalb der Familie und die Reaktion von Angehörigen auf Straftaten könnten für die polizeiliche Präventionsarbeit wichtig sein.
Stuttgarter Polizei erntet Kritik für Tweet
Derweil sorgte die Stuttgarter Polizei mit einem Posting im Kurznachrichtendienst Twitter für Empörung. Sie schrieb: „Die Lebens- und Familienumstände können sich auf das Strafmaß und die anschließenden Präventionsmaßnahmen auswirken. Die Nationalität der Eltern wird auch bei „deutschen“ jugendlichen Tatverdächtigen geprüft.“
Linke-Bundestagsabgeordneter Niema Movassat kommentierte den Tweet wie folgt: „Gibt es irgendwann mal eine Erklärung, was sie mit „Deutsche“ meinen? Sie merken ja, dass ihr Tweet nachhaltig Sorgen ausgelöst hat. Ich frage mich bspw, ob ich Stuttgart noch betreten kann oder damit rechnen muss, als Bürger 2. Klasse behandelt zu werden von der Polizei.“
Nein, das stimmt nicht. Die Lebens- und Familienumstände können sich auf das Strafmaß und die anschließenden Präventionsmaßnahmen auswirken. Die Nationalität der Eltern wird auch bei "deutschen" jugendlichen Tatverdächtigen geprüft.
— Polizei Stuttgart (@PP_Stuttgart) July 12, 2020
Gewerkschaft der Polizei: Herkunftsrecherche sinnvoll
Der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Baden-Württemberg, Hans-Jürgen Kirstein, bezeichnete die Herkunftsrecherche dagegen als sinnvoll. Polizeiliche Arbeit enthalte immer das Erstellen von Täterprofilen. „Wenn wir einen Dunkelhäutigen suchen, dann weil die Täterbeschreibung so ist und nicht, weil wir Spaß daran hätten, anders Aussehende zu kontrollieren“, sagte er dem SWR.
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte Ende Juni ebenfalls detaillierte Informationen zum Hintergrund der Täter der Stuttgarter Krawallnacht verlangt. „Wenn das bestimmte Milieus sind, die jetzt aus Migranten-Communitys oder so kommen – das sind wichtige Dinge, mit denen kann man dann was anfangen“, sagte er. (epd/mig) Leitartikel Politik
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Es mag spitzfindig wirken jedoch ist der Ausdruck „Stammbaumforschung“, seitens der Polizei, in der betreffenden Sitzungen nicht genannt worden. Darüber hinaus hat sich der grüne Ministerpräsident dafür stark gemacht, dass die Polizei entsprechende fehlende Hintergrundinformationen recherchiert. In den Vernehmungen haben etliche Tatverdächtige keine Angaben zu ihrer Nationalität machen wollen und dadurch ergab sich die Motivation auch über das nähere familiäre Umfeld Informationen zusammenzutragen.
„Bedanken“ sollten wir uns bei den „hochkompetenten“ Journalisten der Stuttgarter Zeitung und der Stuttgarter Nachrichten, die in diesem Fall den Begriff „Stammbaumforschung“ in die Welt gesetzt und als Fakt dargestellt haben.
Eine entsprechende Notiz würde diesem Artikel gut tun.
https://www.faz.net/2.1652/stuttgarter-krawallnacht-das-wort-stammbaumrecherchen-fiel-gar-nicht-16857804.html
https://www.faz.net/2.1652/krawalle-in-stuttgart-regierung-gegen-begriff-stammbaumforschung-16859346.html
Abschließend möchte ich nochmal daraufhinweisen, dass die Polizei doch bitte ihre Ermittlungen zu Ende bringen soll. Für unterschiedliche sozioökonomische Milieus unterschiedliche Präventionsansätze aus den Ermittlungen ableiten zu wollen, finde ich persönlich sehr lobenswert.