Das Gefühl, gehasst zu werden
Was rechte Anschläge mit Opfergruppen machen
Die Folgen rechtsextremer Anschläge sind für die Opfergruppen oft verheerend. Das Zusammenspiel aller Umstände führt dazu, dass sie das Gefühl bekommen, gehasst und verfolgt zu sein.
Von Ikram Errahmouni-Rimi Mittwoch, 19.08.2020, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 19.08.2020, 20:14 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
Sechs Monate sind es nun her, dass in Hanau zehn Menschen mitten aus ihrem Leben gerissen worden sind. Der Täter erschoss sie kaltblütig in einem Kiosk und zwei Shisha-Bars. Für die meisten Opfer handelte es sich bei den Orten um Rückzugsorte. Sichere Orte, an denen man gemeinsam freie Zeit verbringt, ungestört ist und in der Sprache sprechen kann, die man sprechen will. Diese identitätsstiftenden Orte sind für viele Menschen mit Einwanderungsgeschichte wichtig und selbstermächtigend. Allerdings sind sie für Opfergruppen rechten Terrors auch gefährlich.
Auch der Attentäter aus Halle wählte für seine schreckliche Tat keine zufälligen Orte. An Jom Kippur, dem wichtigsten jüdischen Feiertag, versuchte er erst eine Synagoge zu stürmen. Als ihm das nicht gelang, erschoss er auf der Straße Jana L. und in einem türkischen Schnellrestaurant dann Kevin S. Das Eindringen in die stark besuchte Synagoge ist ihm glücklicherweise nicht gelungen. Nicht auszudenken, was er ansonsten angerichtet hätte. Auch muslimische Gotteshäuser sind in Deutschland Ziel von Anschlägen. 2019 wurde in Deutschland durchschnittlich an jedem zweiten Tag eine Moschee oder ein Gebäude muslimischer Repräsentation angegriffen.1 Sind also religiöse und identitätsstiftende Plätze für einzelne Communities die eigentlichen Gefahrenorte?
Wir müssen mehr über Hasskriminalität sprechen
In Deutschland wird in kriminologischen Kontexten vermehrt der Begriff Hasskriminalität verwendet, auch wenn er strenggenommen nicht ganz zutreffend ist. Hasskriminalität meint Straftaten, die vorurteilsgeleitet sind. Hierbei entwickeln sich Vorurteile gegenüber sozialen Gruppen zu Ideologien der Ungleichwertigkeit und sog. gruppenbezogen Menschenfeindlichkeit, wie Rassismus, Sexismus, Homo- oder Transphobie, Behindertenfeindlichkeit, Antiziganismus, Antisemitismus oder antimuslimischen Rassismus.
Diese Straftaten heben sich in mehrere Hinsichten von „üblichen Gewaltdelikten“ ab. Studien aus den USA belegen, dass vorurteilsgeleitete Straftaten in ihrer Ausübung massiver und gewalttätiger sind als andere Straftaten. Das hat zur Folge, dass mehr Opfer heftig zu Schaden kommen oder gar sterben als im Zusammenhang mit anderen Gewaltdelikten. Doch das ist nicht alles. Opfer von sog. Hasskriminalität werden in der Regel völlig willkürlich ausgewählt. Allein auf Basis ihrer tatsächlichen oder nur zugeschriebenen Zugehörigkeit einer sozialen Gruppe werden sie stellvertretend für eben diese gesamte Gruppe angegriffen.
„Nach einem Drohbrief oder Angriff an die eigene religiöse Gemeinde überlegt man sich genau, ob man beispielsweise am kommenden Freitag zum Freitagsgebet erscheinen will. Das ist, was vorurteilsgeleitete Straftaten gegen alle Minderheiten auslösen sollen. Das Gefühl gehasst und verfolgt zu sein.“
Dieses Vorgehen hat im Umkehrschluss nicht nur eine Wirkung auf die unmittelbaren zu Schaden gekommenen, sondern auf alle Mitglieder der Community. Täter senden durch solche Taten klare Botschaften: „Es kann Euch überall und jederzeit treffen“. Sie sollen deutlich machen, dass weder das Freitagsgebet noch der Schabbat in der Synagoge oder der Mokka im Café sicher ist. Wichtige und identitätsstiftende Orte werden plötzlich gefährlich. Betroffene Opfergruppen werden eingeschränkt und das hat Auswirkungen. Viele Angehörige der Opfergruppen werden im Zusammenhang mit Hasskriminalität depressiv, haben Angstzustände oder entwickeln Suchtkrankheiten. Häufig sind sie so sehr von Ängsten geprägt, dass sie ihre wichtigen Orte meiden oder gar nicht mehr aufsuchen. Nach einem Drohbrief oder Angriff an die eigene religiöse Gemeinde überlegt man sich genau, ob man beispielsweise am kommenden Freitag zum Freitagsgebet erscheinen will. Das ist, was vorurteilsgeleitete Straftaten gegen alle Minderheiten auslösen sollen. Das Gefühl gehasst und verfolgt zu sein. Das Gefühl nicht dazuzugehören uns sich erst gar nicht frei bewegen zu können. Das Gefühl, dass es das nächste Mal einen selbst treffen kann. Das ist verfassungsrechtlich deshalb von enormer Bedeutung, weil das für viele Menschen Einschränkungen in wesentliche Grundrechte z.B. in das Grundrecht auf freie Religionsausübung und die Bewegungsfreiheit (Freiheit der Person) bedeutet. Hasskriminalität ist also auch immer ein Angriff auf die Demokratie.
Wie ernst wird Hasskriminalität genommen?
In Deutschland werden vorurteilsgeleitete Straftaten als sog. politisch motivierte Kriminalität (PMK) erfasst. Bei der Aufnahme einer Strafanzeige können Polizeibeamt:innen eine solche Tat in einem System dokumentieren. Über die Landeskriminalämter werden dem Bundeskriminalamt diese Daten zur bundesweiten Erfassung und Auswertung übermittelt. Doch da liegt bereits die erste Problematik. Das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena (IDZ) stellt in seinen Publikationen zu Hasskriminalität fest, dass es bei der Erfassung große Unterschiede gibt. So meldet das BKA für das Jahr 2018 1.078 vorurteilsmotivierte Gewalttaten für das gesamte Bundesgebiet. Der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V. (VBRG) hat für dasselbe Jahr allein für die Region Berlin und die ostdeutschen Bundesländer 1.212 Fälle politisch rechts, rassistisch und antisemitisch motivierter Gewalt registriert. In Anbetracht der Tatsache, dass nicht alle Betroffenen eine Beratungsstelle aufsuchen und noch seltener Strafanzeige zu stellen scheinen, dürfte das Dunkelfeld weitaus größer sein.
„Eine weitere Erklärung für die niedrigen offiziellen Fallzahlen kann das mangelnde Vertrauen von Minderheitengruppen in die Strafverfolgungsbehörden sein. Die unsäglichen „Ermittlungsfehler“ im NSU-Prozess, der Umgang mit Fällen wie der des Oury Jalloh, die jüngsten Drohbriefe, die mit Hilfe von Datenabfragen durch Polizist:innen entstanden sind haben ein Krater hinterlassen…“
Die Polizeibehörden erhalten durch die mangelnde Anzeigebereitschaft betroffener Personen kaum Kenntnis vom Vorkommen von Hasskriminalität. Sofern eine vorurteilsgeleitete Straftat zur Anzeige gebracht wird, erfolgt die Erfassung in die Statistik der Regel durch Polizeibeamt:innen zu Beginn der Ermittlungen. Das allerdings setzt voraus, dass die zuständige Person auch ausreichend sensibilisiert ist, um das Vorurteilsmotiv zu erkennen. Im deutschen Strafrecht gibt es nämlich keinen „Hasskriminalitäsparagraphen“. Erst bei der Strafzumessung werden diskriminierende Motive relevant. So kann, wenn nicht ausreichend sensibilisiert, eine gefährliche Körperverletzung oder eine Beleidigung, die dem Opfer aufgrund der Hautfarbe zugeführt wurde, angezeigt werden, ohne in der Statistik als PMK aufzutauchen.
Eine weitere Erklärung für die niedrigen offiziellen Fallzahlen kann das mangelnde Vertrauen von Minderheitengruppen in die Strafverfolgungsbehörden sein. Die unsäglichen „Ermittlungsfehler“ im NSU-Prozess, der Umgang mit Fällen wie der des Oury Jalloh, die jüngsten Drohbriefe, die mit Hilfe von Datenabfragen durch Polizist:innen entstanden sind haben ein Krater hinterlassen in der Beziehung zwischen Minderheitengruppen und den Strafverfolgungsbehörden. Zu groß ist er, als dass es sich für einen Besuch im Revier drüber springen ließe.
Auf der anderen Seite scheint das Bodenloch nicht groß genug zu sein. Das wird besonders deutlich, wenn man sich die Situation von Minderheiten als Tatverdächtige anschaut. Denn die Anzeigebereitschaft von Menschen der sog. Mehrheitsgesellschaft ist in vergleichbaren Situationen höher, wenn es sich bei den tatverdächtigen Personen um eine als fremd wahrgenommene Person handelt. Wenn sie also beispielsweise Schwarz bzw. nicht weiß ist. Menschen aus Minderheitengruppen werden häufiger angezeigt, zeigen Straftaten gegen sie selbst aber seltener an. Das ist hochproblematisch und lässt zudem Interpretationsspielräume für die Kriminalstatistik zu.
„Sechs Monate nach Hanau bleiben für die Angehörigen und Opfergruppen viele Gefühle zurück. Das Gefühl gehasst zu werden ist eines. Das Gefühl seine Lieblingsorte nicht unbeschwert aufsuchen zu können ist ein Weiteres. Das Gefühl ein Strafantrag verändere nichts oder man würde bei dem Versuch nicht ernstgenommen werden ist alarmierend.“
Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kenan Kurtovic, Vili-Viorel Paun, Fatih Saracoglu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov starben am 18. Februar 2020 stellvertretend für alle als muslimsich, migrantisch, als Sinti:zze und Rom:nja gelesenen Menschen in jeder Deutschen Stadt. Sechs Monate nach Hanau bleiben für die Angehörigen und Opfergruppen viele Gefühle zurück. Das Gefühl gehasst zu werden ist eines. Das Gefühl seine Lieblingsorte nicht unbeschwert aufsuchen zu können ist ein Weiteres. Das Gefühl ein Strafantrag verändere nichts oder man würde bei dem Versuch nicht ernstgenommen werden ist alarmierend.
Die Schicksale der Opfer und Hinterbliebenen sollten Antrieb genug sein, eine ordentliche Erfassung der Taten sicherzustellen. Erst dann wird das Ausmaß vorurteilgeleiteter Straftaten wirklich sichtbar. Denn während in einigen Bundesländern über die Aufrechterhaltung von sog. Gefahrenorten, in denen verdachtsunabhängige Personenkontrollen zulässig sind, debattiert wird, kann man sich die Frage stellen: Was ist mit unseren Gefahrenorten? Es ist an der Zeit diese Gefühle sehr ernst zu nehmen.
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