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Österreich

Rechts-konservative Politik mit grünem Anstrich

Vor rund einem Monat wurde in Österreich die „Dokumentationsstelle Politischer Islam“ ins Leben gerufen. Seither mehrt sich die Kritik.

Von Dienstag, 25.08.2020, 5:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 01.10.2023, 12:56 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Ursprünglich war im Programm der aktuellen österreichischen Regierung von einer „Forschungs- und Dokumentationsstelle für Antisemitismus, für den religiös motivierten politischen Extremismus (politischer Islam) und für den Rassismus im 21. Jahrhundert“ die Rede. Übriggeblieben ist eine „Dokumentationsstelle Politischer Islam“, die Mitte Juli ihre Arbeit aufgenommen hat. Das scheint zwar bezeichnend für ein Land, in dem in den letzten 20 Jahren gleich zweimal – von 2000 bis 2005 und von 2017 bis 2019 – die rechtspopulistische FPÖ die Staatspolitik mitbestimmt hat. Interessant ist es jedoch trotzdem, denn aktuell bildet die konservative ÖVP eine Koalition mit den Grünen – ein Modell, das deutsche Medien unter Verweis auf Österreich immer wieder auch für die BRD ins Spiel bringen.

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Institutionalisierter Generalverdacht

Nachdem die Regierung aus ÖVP und FPÖ infolge der sogenannten Ibiza-Affäre Mitte 2019 zerbrochen war, bildete sich Anfang diesen Jahres die neue schwarz-grüne Bundesregierung. Liest man deren Koalitionsvereinbarung, so stellt man fest, dass das Schlagwort „Islam“ 15 Mal vorkommt, ausschließlich im Zusammenhang mit „Extremismus“ und/oder staatlicher Überwachung und Reglementierung. Schon damals stellte der Politikwissenschaftler und Herausgeber des Jahrbuchs für Islamophobieforschung, Farid Hafez, fest, dass die neue Koalition in Sachen Islam-Politik in die Fußstapfen der Vorgängerregierung trete.

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Ähnlich sieht es Murat Gürol vom Netzwerk muslimische Zivilgesellschaft. Er stellt dabei gegenüber MiGAZIN heraus, dass die ÖVP seit 1987 in allen Regierungen saß und damit der Migrations- und Islampolitik des Landes maßgeblich ihren Stempel aufdrücken konnte, was den gesamtgesellschaftlichen Diskurs weit nach rechts verschoben habe. Das sogenannte Islamgesetz von 2015 sei dabei eine Zäsur gewesen, welche seither die Richtung für die Politik gegenüber Muslimen vorgebe: „Die Verdächtigung von allem, was muslimisch ist.“

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Das gelte zum einen für die von Rechts-Konservativ verabschiedete Ausweitung des Kopftuchverbots für Schüllerinnen, die Grün-Konservativ gleich zu Beginn der Regierungszeit bestätigt und umgesetzt hat. Und zum anderen für die „Dokumentationsstelle Politischer Islam“, die mit einem Startkapital von einer halben Million Euro bedacht wurde. Diese werde „letztenendes dazu führen, dass jegliche muslimische Meinungsäußerung kriminalisiert wird.“ Zwar werde behauptet, eine Grenze zwischen dem Islam als Religion und dem „politischen Islam“ als „extremistischer Ideologie“ zu ziehen. Da es aber keine Definition gebe, sei diese Grenzziehung de facto nicht vorhanden. Somit handle es sich lediglich um eine Einrichtung, die der Überwachung von Muslimen ein wissenschaftliches Mäntelchen umhängen solle. Damit seien sowohl die Wirkung als auch die dahinterstehende Absicht klar rassistisch.

Religion, Kultur oder Ideologie?

Mit dieser Einschätzung ist er nicht allein. Farid Hafez bezeichnet die Dokustelle als „Institutionalisierung des Generalverdachts“. Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ), die als offizielle Vertretung der rund eine Million Muslime in Österreich, anders als in Deutschland, vom Staat als solche anerkannt ist, hat bereits die Zusammenarbeit mit der Stelle abgelehnt. Zuvor hatte sie eine wissenschaftliche Konferenz einberufen, um eine mögliche Arbeitsdefinition des Begriffs „politischer Islam“ festzulegen. Das Ergebnis bestätigt, was viele Politik- und Islamwissenschaftler schon länger problematisieren: Eine einheitliche wissenschaftliche Definition gibt es nicht. Dafür aber ist der Terminus, wie auch der des „Islamismus“, längst zum viel gebrauchten Kampfbegriff verkommen.

Es gibt Menschen, die Religion politisch instrumentalisieren und umgekehrt solche, die aus ihrer Religion nicht nur Ethik, sondern auch politisches Handeln ableiten. Über den jeweiligen Inhalt ist damit noch nichts gesagt: Man kann aus seinem christlichen Glauben heraus Kreuzzüge und Ketzerverbrennungen genauso befürworten, wie Pazifismus und Soziallehre. Und man kann den Glauben sowohl für Krieg als auch für Frieden instrumentalisieren. Mit der Gleichsetzung von „politischem Islam“ und „religiösem Extremismus“ wird jedoch von vornherein jegliches muslimisches Engagement unter Verdacht gestellt. Diese Vermischung von Religion und „Extremismus“ wird noch ergänzt durch das, was Rassismusforscher „Rassifizierung von Kultur“ nennen: Menschen werden feste Eigenschaften aufgrund der in ihrer vermeintlichen Herkunftsregion vorherrschenden Kultur zugeschrieben. Im Fall von Personen mit Wurzeln im Nahen Osten bedeutet das konkret, diese seien per se alles, was „dem Islam“ unterstellt wird: rückständig, gewalttätig, intolerant und frauenfeindlich.

Grüne Unschuld?

Mittlerweile kommt auch Kritik vom grünen Koalitionspartner an der von Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) vorgestellten Dokumentationsstelle. Der Integrationssprecher der Grünen, Nikolaus Kunrath, beklagte, dass deren Arbeit auf den „religiösen Extremismus“ und dabei ausschließlich auf den „politischen Islam“ reduziert worden sei. Raab konterte, dass sie sich dabei auf den entsprechenden Passus im Koalitionsvertrag bezogen habe, in dem der „politische Islam“ hervorgehoben worden sei. Dem dürften die Grünen wenig entgegensetzen können. Murat Gürol glaubt auch nicht, dass sie das wirklich wollen: „Es mag vielleicht einzelne Stimmen geben, die sagen, das ist nicht in Ordnung. Aber im Allgemeinen, glaube ich, wird es von den Grünen und auch von der Sozialdemokratie gerne mitgetragen.“ Trotz gegenteiliger Aussagen von Grünen-Politikern spricht auch Susanne Raab von einem „breiten Konsens“ innerhalb der Koalition, was etwa die mögliche Ausweitung des Kopftuchverbots auf Lehrerinnen angeht.

In den letzten Monaten unter Schwarz-Grün tat sich Wien auch in Sachen Flüchtlingsabwehr hervor: Hier sitzt nämlich das International Centre for Migration Policy Development (ICMPD), das im Auftrag der EU Tunesien zu einem europäischen Außenposten gegen Geflüchtete aufbaut und dem Deutschland im Mai beigetreten ist. Zudem fand in der Hauptstadt im Juli ein Gipfel statt, auf dem die 18 teilnehmenden Staaten eine bessere Zusammenarbeit bei der Abwehr und Rückführung von Flüchtlingen, die über die Mittelmeer- und Westbalkanroute kommen, beschlossen. Der Asyl- und Menschenrechtsexperte der österreichischen Diakonie, Christoph Riedl, hatte in diesem Zusammenhang kritisiert, Österreich sei „bei den Hardlinerpositionen immer ganz vorne mit dabei.“ Alles freilich unter Ägide eines ÖVP-Politikers, nämlich von Innenminister Karl Nehammer. Den passenden Kommentar hatte Simon Kravagna schon im Januar im Magazin Biber formuliert: Die Grünen könnten „mit einer restriktiven Migrationspolitik bestens leben, solange sie selbst ihre Hände in Unschuld waschen können“, vermutete er.

Von „rot-grünem Multikulti“ kann in Österreich also nicht die Rede sein. Multikulti als eine positive Idee sei in der Tat längst tot, meint Murat Gürol. Dabei sieht er auch die Rolle der politischen Linken problematisch: „Viele haben aus einem dogmatischen Säkularismus oder aus Vorurteilen gegenüber Muslimen den Kampf für eine antirassistische und friedliche Gesellschaft aufgegeben“, zum Teil hätten sie sogar selbst islamfeindliche Positionen übernommen. Auch die Betroffenen würden sich zu wenig zur Wehr setzen: „Die Muslime hier versuchen den Ball möglichst flach zu halten und möglichst wenig aufzufallen.“

Auf die Frage, ob noch mit weiterem Protest vonseiten der muslimischen Community zu rechnen sei, gibt er zu bedenken, dass das Thema nun mitten im Sommerloch aufgekommen sei und Corona noch hinzukäme. Doch zeigt er sich hoffnungsvoll, dass es zumindest von Teilen der Community noch Protestaktionen geben werde. Insgesamt scheint er allerdings eher resigniert auf die Lage in Österreich zu blicken. Das Land sei schon deutlich weiter nach rechts gerückt, als etwa die BRD. Darum hat der gebürtige Baden-Württemberger, der seit Mitte der 2000er in Wien lebt, auch eine klare Meinung, was Schwarz-Grün als Modell für die Bundesrepublik angeht: „Hinsichtlich Minderheitenpolitik sollte diese Regierung kein Vorbild für Deutschland sein!“ Aktuell Ausland

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