Bosnien

Flüchtlinge müssen bei minus 15 Grad im Freien schlafen

Flüchtlinge in Bosnien müssen bei bis zu minus 15 Grad im Freien schlafen. Die EU kritisiert in einem eigenen Bericht die örtlichen Behörden. Doch auch die EU selbst steht in der Kritik. Ein Mainzer Arzt beschreibt die Behausung als "unglaublich".

Von Montag, 18.01.2021, 5:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 17.01.2021, 16:36 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Im bosnischen Flüchtlingslager Lipa oder in der Umgebung müssen laut einem EU-Bericht rund 1.900 Menschen bei bis zu minus 15 Grad Celsius im Freien schlafen, wie die Zeitung „Welt“ am Freitag meldete. Einige Migranten wiesen laut dem Bericht Corona-Symptome auf, heiße es in dem internen EU-Papier weiter, das laut der Zeitung vor wenigen Tagen erschienen ist. Die EU kritisiert die Zustände rund um das Lager des EU-Beitrittskandidaten Bosnien-Herzegowina schon seit Längerem und auch öffentlich. Der Bericht liefert Einzelheiten.

So werde festgestellt, dass sich die inzwischen von der bosnischen Armee zur Verfügung gestellten 20 beheizten Zelte häufig in einem mangelhaften Zustand befänden. „Unglücklicherweise sind nicht alle Zelte in einem perfekten Zustand, und die Migranten beklagen, dass Wasser durch Löcher eindringt und die Luft verschmutzt ist, weil die Heizsysteme mit Kraftstoff angetrieben werden und keine Ventilatoren vorhanden sind“, zitiert „Welt“. Es habe ein Hungerstreik von Migranten stattgefunden, der am 5. Januar beendet worden sei.

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Die EU gibt in ihrem Bericht den bosnischen Behörden die Schuld. Sie seien „nicht dem Rat und den Bewertungen der EU, von internationalen Partnern und anderen Organisationen gefolgt“, obwohl die Union Bosnien-Herzegowina alle nötigen Finanzen bereitgestellt habe. Die Grünen-Fraktionschefin im Europaparlament, Ska Keller, sieht dagegen eine Mitverantwortung der EU. Die in Bosnien gestrandeten Flüchtlinge, „wurden oft unter Gewaltanwendung und illegal aus Kroatien zurückgedrängt“, sagte Keller der „Welt“.

Situation in Bosnien schlimmer als auf Lesbos

Bereits zuvor hatte der Mainzer Artz Gerhard Trabert darauf hingewiesen, dass die Situation der Flüchtlinge im Norden von Bosnien-Herzegowina noch dramatischer als in den berüchtigten Flüchtlingslagern auf Lesbos sind. „Wie hier die Menschen hausen, ist unglaublich“, sagte der Vorsitzende des Hilfsvereins „Armut und Gesundheit in Deutschland“ dem „Evangelischen Pressedienst“ aus der Stadt Bihac. Die Männer aus Ländern wie Afghanistan und Pakistan hätten oft keine Winterkleidung. Viele hausten in Ruinen oder leerstehenden Fabrikhallen ohne Wasser und Strom.

„Viele tragen Flipflops und besitzen weder Schuhe noch Strümpfe“, sagte der Arzt, der seit Jahren regelmäßig zu Hilfseinsätzen in Krisenregionen reist. Vor Ort, wenige Kilometer von der EU-Außengrenze zu Kroatien entfernt, habe es in den vergangenen Tagen kräftig geschneit, die Flüchtlinge versuchten, sich mit offenen Feuern vor dem Erfrieren zu retten: „Es würde mich nicht wundern, wenn hier Menschen sterben.“ Einige der Männer hätten infizierte Wunden, unter Flüchtlingen grassiere die Krätze, außerdem gebe es viele Menschen mit Atemwegserkrankungen. Eine medizinische Versorgung vor Ort existiere nicht.

An den Arbeitsbedingungen für Hilfsorganisationen übte Trabert scharfe Kritik. Zwischen staatlichen Behörden und Nichtregierungsorganisationen gebe es keine Kooperation, dafür sehr viel Misstrauen. So hätten die bosnischen Behörden ihm bislang nicht erlaubt, mit seinen Arztmobilen Kranke zu behandeln. „Dabei könnten wir hier wirklich etwas tun“, erklärte Trabert. An die EU-Staaten appellierte er, sich auf eine Aufnahme der Menschen zu verständigen, statt sie weiter ihrem Schicksal zu überlassen. „Es erschüttert und macht wütend, wenn man dann in Deutschland die Statements von Politikern wie Friedrich Merz liest“, sagte Trabert. Merz hatte sich Anfang Januar strikt dagegen ausgesprochen, weitere Flüchtlinge aus griechischen oder bosnischen Elendslagern aufzunehmen. (epd/mig) Aktuell Panorama

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