Rohingya in Myanmar
„Der Völkermord dauert an“
Vor einem Jahr hat der Internationale Gerichtshof verfügt, dass Myanmar die verfolgte muslimische Rohingya-Minderheit vor Völkermord schützen müsse. Kritiker sagen, es sei nichts passiert.
Von Nicola Glass Freitag, 22.01.2021, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 21.01.2021, 14:44 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Sämtliche Forderungen haben laut Tun Khin nichts gefruchtet. „Die Menschenrechtsverletzungen dauern an, auch der Völkermord an uns“, sagt Präsident der Organisation zur Verteidigung der Rechte der Rohingya (Brouk) im englischen Exil über die Lage in seiner Heimat Myanmar. Vor einem Jahr, am 23. Januar 2020, ordnete der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag an, dass Myanmar die muslimische Minderheit vor Verfolgung und Völkermord schützen müsse. Doch nach wie vor würden Rohingya verhaftet und getötet, betont Tun Khin. Zwar sind die Anordnungen des höchsten UN-Gerichts bindend, doch hat es keine Handhabe, sie durchzusetzen.
Initiiert hatte den Vorstoß Gambia, das im Namen der „Organisation für Islamische Zusammenarbeit“ eine Völkermord-Klage gegen Myanmar eingereicht hatte. Inzwischen wird das westafrikanischen Land von Kanada und den Niederlanden unterstützt. Recherchen hätten jedoch ergeben, dass Myanmar sich nicht an die gerichtlichen Verfügungen halte, betont Tun Khin. Weil das Militär Zivilisten als Schutzschilde missbrauche, würden sogar Kinder getötet.
Die etwa 600.000 Rohingya, die heute noch im westlichen Bundesstaat Rakhine leben, seien in Internierungslagern oder Dörfern eingesperrt, kritisiert Human Rights Watch. Die Gewalt gegen sie und ihre Verfolgung seien Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Vorwand: Kampf gegen Terrorismus
Eine der brutalsten Kampagnen gegen die muslimische Minderheit begann, nachdem die Rohingya-Miliz Arsa im August 2017 Polizei- und Grenzposten überfiel. Unter dem Vorwand des „Kampfes gegen den Terrorismus“ begann die Armee eine Offensive, bei der Tausende Menschen starben und mehr als 740.000 Rohingya ins benachbarte Bangladesch flohen. UN-Ermittler sprechen von Völkermord, an dem die zivile Regierung von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi mitschuldig sei.
Seit 2019 wird Rakhine von einem weiteren Konflikt erschüttert: Regierungstruppen führen Krieg gegen die buddhistischen Rebellen der „Arakan Army“, Leidtragende sind Zivilisten aller Glaubensrichtungen. Trotz kürzlicher Friedensgespräche scheint keine Lösung in Sicht.
Ausharren in überfüllten Camps
In Bangladesch harren die Geflüchteten in überfüllten Camps aus. Zwei Brände haben dieser Tage Hunderte Unterkünfte sowie vier Schulen zerstört. Zuvor hatte die vom Ansturm und der Not der Flüchtlinge überforderte Regierung Bangladeschs trotz internationaler Proteste damit begonnen, Rohingya auf die unwirtliche Insel Bhasan Char zwangsumzusiedeln. Denn mehrere Versuche, die Verfolgten nach Myanmar zurückzuschicken, schlugen fehl.
Zwar wollen die Rohingya wieder in ihre Heimat, fordern aber eine sichere Rückkehr sowie die Staatsbürgerschaft, die Myanmar ihnen verweigert. Myanmar sei moralisch und rechtlich verantwortlich, diese Krise zu beenden, aber nicht bereit, ernsthafte Schritte für eine sichere, nachhaltige und würdige Rückkehr zu schaffen, kritisierte der neue UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte in Myanmar, Tom Andrews. Die bisherige Politik der Weltgemeinschaft habe versagt. Man brauche gemeinsame Anstrengungen, um die Rechte der Rohingya einzufordern.
Juristische Aufarbeitung
Wenigstens gibt es neben dem Verfahren des Internationalen Gerichtshofs weitere Schritte zu einer juristischen Aufarbeitung. Auch der ebenfalls in Den Haag ansässige Internationale Strafgerichtshof ermittelt. Zwar ist Myanmar kein Mitgliedsstaat des Tribunals, dafür aber Bangladesch. Zudem könnte es bald ein Verfahren in Argentinien geben: Die britische Rohingya-Organisation Brouk von Tun Khin hat Klage gegen Myanmars de-facto-Regierungschefin Suu Kyi und hochrangige Militärs eingereicht – rechtlich vertreten vom argentinischen Anwalt Tomás Ojéa Quintana, von 2008 bis 2014 UN-Sonderberichterstatter für Myanmar.
Ermöglicht wird dies durch das Prinzip „universeller Rechtsprechung“. So kann die Justiz eines Landes bestimmte schwere Verbrechen verfolgen, auch wenn diese nicht in ihrem Hoheitsgebiet begangen wurden. Damit käme Argentinien dem Weltstrafgericht nicht in die Quere. Quintana sieht das Begehren der Rohingya nach Gerechtigkeit untermauert: Erst kürzlich hätten Staatsanwälte des Strafgerichtshofs dem argentinischen Gericht eine Nachricht geschickt, dass die beiden Fälle einander bestärkten. (epd/mig) Aktuell Ausland
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