Hessischer Landtag
Sonntagsreden beim Gedenken an die Opfer des Hanau-Anschlags
Am Dienstag gab es im hessischen Landtag Sonntagsreden für die Hinterbliebenen und Opfer des rassistischen Anschlags in Hanau. Die Linke fordert derweil Antworten auf drängende Fragen: Der Polizeinotruf funktioniere bis heute nicht. Betroffene fordern Taten statt "warme Worte".
Von Birol Kocaman Mittwoch, 03.02.2021, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 03.02.2021, 10:14 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Rund ein Jahr nach dem rassistischen Anschlag in Hanau hat der hessische Landtag am Dienstag der Opfer gedacht. Landtagspräsident Boris Rhein (CDU) versprach den Familien der Getöteten: Diese niederträchtige Tat wird nicht in Vergessenheit geraten. In der Gedenkstunde, an der Hinterbliebene teilnahmen, forderte Rhein ein entschiedenes Eintreten aller auch schon gegen Ansätze von Menschenhass, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit. Nach Rheins Rede erhoben sich die Abgeordneten zu Ehren der Ermordeten für eine Schweigeminute.
Bei dem Anschlag am 19. Februar 2020 hatte der rechtsextremistisch motivierte Täter neun Menschen mit ausländischen Wurzeln erschossen, bevor er am Ende seine Mutter und sich selbst tötete. Das Attentat von Hanau ist die Eskalation rassistisch und rechtsextremistisch motivierter Anschläge in Deutschland in jüngster Zeit, erklärte Landtagspräsident. Er erinnerte an die vorausgegangenen Anschläge der NSU und in Halle sowie den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und sagte: Wir erkennen, dass wir 76 Jahre nach der Schoah ein offensichtliches und bedrohliches Problem mit Rechtsextremismus und Rassismus haben. Hier – ausgerechnet in Deutschland.
Rhein fügte hinzu: Die Morde von Hanau haben uns wachgerüttelt, sie haben uns die Augen geöffnet. Sie sind eine Zäsur. Wer heute noch wehret den Anfängen rufe, meine es sicher gut, habe aber offenbar nicht verstanden, dass wir mittendrin sind. Wir haben es zu tun mit den alten bösen Geistern in neuen Gewändern.
Linke fordert Antworten
Sechs Hinterbliebene und ein Überlebender des Anschlags von Hanau saßen während der Gedenkfeier vor Beginn in der Mitte des Plenarsaals im Wiesbadener Landtag. Rhein verlas die Namen aller neun Mordopfer vom 19. Februar 2020 und sagte: Für uns alle bleibt diese Nacht ein unauslöschbares Datum. Es gebe keine Worte, die das Unbegreifbare beschreiben könnten, auch heute nicht.
Derweil fordert die Linke im Hessischen Landtag von der Landesregierung Antworten auf drei Themenkomplexe. Es stehe unter anderem die Frage im Raum, ob der Terroranschlag hätte verhindert werden können, wenn dem behördenbekannten, mehrfach psychisch und straffällig gewordenen Tobias R. die Erlaubnis zum Besitz von Waffen nicht erteilt worden wäre.
Versperrter Fluchtweg und Rolle des Täter
Ein weiterer Themenkomplex befasst sich der Linke zufolge mit der Frage, warum bisher seitens der Behörden keine Strafverfahren eingeleitet wurden. „Zum einem sei angeblich der Notausgang an einem der Tatorte verschlossen gewesen, sodass spätere Opfer hätten nicht flüchten können.
Zum anderen sei die Rolle des Vaters von Tobias R. bis heute völlig ungeklärt. Obwohl er sich analog zu seinem Sohn ebenfalls rassistisch-wahnhaft äußere und möglicherweise Straftatbestände erfüllt sein könnten, werde er offenbar nicht als Beschuldigter geführt“, heißt es in einer Erklärung der Linksfraktion.
Polizeinotruf funktioniert bis heute nicht
Schließlich sei auch noch ungeklärt, warum der polizeiliche Notruf in der Tatnacht „angeblich“ nicht funktioniert habe. Eines der späteren Todesopfer, Vili Viorel Păun, habe den Täter verfolgt, dabei mehrfach den Notruf gewählt, um den Täter und seinen Aufenthalt zu melden, sei aber nicht durchgekommen.
Medienberichten zufolge bestehen diese technischen Mängel wohl bis heute fort, erklärte Linkspolitiker Hermann Schaus. „Wir verlangen endlich Antworten von den Behörden und von Innenminister Peter Beuth (CDU) auf diese Fragen. Ein Jahr nach dem Terror von Hanau haben die Opfer und die Öffentlichkeit ein Recht darauf.“
Zum Jahrestag verspricht Beuth besseren Polizei-Notruf
Zumindest auf die letzte Frage ging der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) ein und bestätigte indirekt die Medienberichte. Er räumte ein, dass es in der Tatnacht einen Engpass beim polizeilichen Notruf in Hanau gab. Es ist richtig, dass die Polizeistation in Hanau nur eine begrenzte Anzahl von Anrufen in dieser Nacht entgegennehmen konnte, sagte er und nannte technische Gründe dafür, dass Anrufe nicht weitergeleitet wurden.
Dennoch habe die Polizei aber unmittelbar nach dem ersten Notruf gehandelt und sei ein bis zwei Minuten später an dem einen und nach drei bis vier Minuten an dem zweiten Tatort gewesen. Das Problem mit der Erreichbarkeit werde nun mit der Weiterleitung von Notrufen an das zuständige Polizeipräsidium gelöst.
„Taten statt warmer Worte“
Abdullah Unvar, Cousin von Ferhat Ünvar, einem der neun Hanau-Opfer, schrieb am Dienstagnachmittag im Kurznachrichtendienst Twitter: „Wir die Familie Unvar waren heute nicht zu Gast im Hessischen Landtag, wir brauchen keine warmen Worte oder Lippenbekenntnisse, wir fordern von der #hessischenRegierung Taten statt Worte. Seit ca. 12 Monate erfahren wir über die Medien das Versagen vom 19.Februar 2020…“ (epd/mig)
Wir die Familie Unvar waren heute nicht zu Gast im Hessischen Landtag, wir brauchen keine warmen Worte oder Lippenbekenntnisse, wir fordern von der #hessischenRegierung Taten statt Worte. Seit ca. 12 Monate erfahren wir über die Medien das Versagen vom 19.Februar 2020… https://t.co/wlCwrcIFCS
— Abdullah Unvar (@UnvarAbdullah) February 2, 2021
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